Die Poesie der Liste
Am 8. Oktober beginnen die ersten Schlegel-Studientage, die Einblick in die Arbeit der literaturwissenschaftlichen Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule geben
08.10.2014
Die Kunst des Aufzählens ist nur eines von vielen Themen, die auf den ersten Schlegel-Studientagen der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule diskutiert werden. Die mehrtägige Konferenz der im Rahmen der Exzellenzinitiative an der Freien Universität eingerichteten Graduiertenschule findet vom 8. bis 11. Oktober an der Freien Universität und der Humboldt-Universität statt und ist eine Art Spaziergang durch die Weltliteratur. Den Abendvortrag bei der feierlichen Eröffnung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hält – passenderweise – ein Grenzgänger der Literaturen: der russische Autor Vladimir Sorokin.
Wer durch das Programmheft der Schlegel-Studientage blättert, bleibt an vielen Themen und Begriffen hängen: „Gastropoetik“, „Weltliteratur und Literaturunterricht“ oder „Disjunktive Antikenrezeption zwischen Legitimation, Travestie und Trash“. Sie zeigen die große Spannweite der literaturwissenschaftlichen Dissertationen, die im Rahmen der Graduiertenschule entstehen: Die Themen reichen von der Antike bis zur Gegenwart, es werden Literaturen des asiatischen, arabischen, amerikanischen und europäischen Kulturkreises untersucht: „Mit den Schlegel-Studientagen präsentiert sich die Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien erstmals in ihrer großen Vielfalt, einem Konzert der Fächer und Nationalliteraturen, verbunden durch gemeinsame theoretische Fragestellungen“, sagt Irmela Hijiya-Kirschnereit, Professorin für Japanologie und Sprecherin der Graduiertenschule.
Auflegen als künstlerische Praxis
Das gilt auch für das Konferenz-Forum „Poetiken der Enumeration in den Künsten“, das Christian Junge mitorganisiert hat, und das sich mit dem Phänomen der Aufzählung in literarischen Werken und anderen Kunstformen beschäftigt – „eine Kulturtechnik, die wir alle mit unseren To-Do-Listen und Einkaufszetteln täglich selbst in die Praxis umsetzen“, wie der Arabistikdoktorand sagt. Ihm und seinen Mitstreitern sei das Thema in einem privaten Kolloquium aufgefallen, zu dem sich die Nachwuchswissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen trafen. Sie hätten festgestellt, erzählt Christian Junge, dass es trotz ihrer „disparaten Themen“ geradezu „unwahrscheinliche Querverbindungen“ gebe. Wie eben das Phänomen des Aufzählens, das sowohl in dem arabischen Roman, der im Mittelpunkt seiner Dissertation steht – „as-Saq ala s-saq“ („Ein Bein über das andere geschlagen“), entstanden in der Mitte des 19. Jahrhunderts – eine Rolle spielt, als auch in den kombinatorischen Gedichten des französischen Schriftstellers Raymond Queneau im 20. Jahrhundert. Und auch schon bei Homer finden sich Listen: in Form eines Schiffskatalogs.
Es sei eine tolle Möglichkeit, das Thema im Rahmen der Studientage zur Diskussion zu stellen, sagt Junge, und die Formen der Gestaltung zu vergleichen. Ein Vortrag zur künstlerischen Praxis wird von einem DJ des legendären Clubs „Berghain“ bestritten, der über Loops sprechen wird, also die Wiederholung eines (Musik-)Bruchstücks mit jeweils kleinen Veränderungen. In vielen der Foren finden sich solch ungewöhnliche Konstellationen; Vorträge werden von Mitgliedern der Graduiertenschule, aber auch von Alumni, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland gehalten, zum Teil aus Partnereinrichtungen des weltweit vernetzen Doktorandenprogramms. Die Themen reichen dabei von Hungern und Essen in der Literatur über Blut und Tränen in der Frühen Neuzeit bis hin zu der Vermittlung von Weltliteratur im Schulunterricht. Die „Sprachen, Epochen und Kulturen übergreifende Agenda der Graduiertenschule“ verbinde Wissenschaft und Praxis, sagt Irmela Hijiya-Kirschnereit.
„I love Friedrich Schlegel“
Diese Foren sind öffentlich: Studierende, Doktoranden anderer Einrichtungen und andere Interessierte seien willkommen, sagt Anja Hallacker, die seit Frühjahr Geschäftsführerin der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule ist. Darüber hinaus soll die mehrtägige Veranstaltung auch dem Austausch der Mitglieder untereinander dienen. Auf den Schlegel-Studientagen treffen sich die zurzeit 35 Stipendiaten der Graduiertenschule, Doktormütter und –väter der entstehenden Dissertationen sowie Mitglieder des internationalen Beirats, der mit renommierten Literaturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus dem Ausland besetzt ist.
Am Ende der Tagung soll ein Preisträger eines Fotowettbewerbs prämiiert werden: Mitglieder und Gäste der Graduiertenschule waren aufgerufen, sich an einem frei gewählten Forschungs- oder Studienort mit einer Tasche oder T-Shirt mit dem Schriftzug „I-love-Friedrich-Schlegel“ – dem Markenzeichen der Graduiertenschule –, zu fotografieren oder fotografieren zu lassen. Auch diese Bilder sollen zeigen, dass sich Poesie auf allen Erdteilen findet und es sich lohnt, sie gemeinsam zu erforschen – ganz im Sinne des Namensgebers Friedrich Schlegel, der die Literatur aller Epochen und Nationen für „nebeneinander innig zusammenhängend“ hielt, weil „eine immer auf die andere zurückführt“.
Weitere Informationen
Zeit und Ort
Feierliche Eröffnung: Mittwoch, 8. Oktober 2014, 18 Uhr, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Leibniz-Saal, Markgrafenstraße 38, 10117 Berlin. Wegen begrenzter Platzzahl ist leider keine Teilnahme mehr möglich. Öffentliche Konferenz: Panel 1–11 Donnerstag, 9. Oktober und Freitag, 10. Oktober 2014, jeweils von 9 bis 19:15 Uhr, Freie Universität Berlin, Gebäudekomplex Habelschwerdter Allee 45 (Rostlaube), Raum JK27/14 und JK 27/103, 14195 Berlin. Panel 12 Samstag, 11. Oktober 2014, 9 bis 13 Uhr, Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, Auditorium, Geschwister-Scholl-Straße 3, 10117 Berlin. Das Programm im Internetwww.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/friedrichschlegel/aktivitaeten/Studientage/index.html |