Bei diesem Wettkampf ist Doping erlaubt
Bei der Konferenz „Dicty 2014“ stand die neueste Forschung über einen Mikroorganismus im Mittelpunkt – und die schnellste Amöbe wurde gekürt
11.08.2014
Es gibt wohl nicht viele Einzeller, die einen Spitznamen haben. Dass der Mikroorganismus Dictyostelium discoideum von Wissenschaftlern, die sich mit ihm befassen, liebevoll „Dicty“ genannt wird, liegt vermutlich an seinen besonderen sozialen Eigenschaften. Mikrobiologen, Physiker und Mediziner kamen vergangene Woche in Potsdam zusammen, um sich über neueste Forschungsergebnisse zu diesem Kleinstorganismus auszutauschen. Wie interessant dieser ist, erzählt der promovierte Mikrobiologe Sascha Thewes von der Freien Universität Berlin im Campusleben-Interview. Thewes hat die „Dicty2014“ mit dem Zellbiologen Professor Ralph Gräf und dem Biophysiker Professor Carsten Beta von der Universität Potsdam organisiert.
Herr Thewes, warum ist eine einzelne Zelle, Dictyostelium discoideum, so bedeutend, dass Forscher aus aller Welt jährlich zu einer Konferenz zusammen kommen?
Was den Mikroorganismus so interessant für uns Forscher macht, ist, dass er zu den sogenannten sozialen Amöben gehört. Warum sozial? Wenn die Amöbe hungert, schüttet sie ein Signalmolekül aus. Dies lockt andere Amöben im Umfeld an und führt dazu, dass sich die Amöben zu einem sogenannten Zellaggregat zusammenschließen. Dieser „Zellhaufen“ wird durch Entwicklungszyklen in zwei Zelltypen sortiert. Die Zellen des einen Typs opfern sich, um die Verbreitungschancen des Restes zu erhöhen. Dieser Rest – circa zwei Drittel der Zellen – entwickelt sich später zu Sporen, einer Überdauerungsform. Diese Vielseitigkeit macht sie in allen möglichen biologischen Bereichen wertvoll, angefangen von der Evolution über die Entwicklungs- und Zellbiologie bis hin zur Medizin.
Was fanden Sie bei der diesjährigen Konferenz besonders spannend?
Den Auftaktvortrag von Günther Gerisch am Sonntag. Gerisch forscht mit über 80 Jahren immer noch am Max-Planck-Institut für Biochemie und ist einer der Gründerväter der Dictyostelium discoideum-Forschung in Deutschland. Dadurch konnte er sowohl über die Geschichte als auch über neue Forschungsaspekte berichten. Direkt nach dem Vortrag wurde dann von Daniel Irimia vom Massachusetts General Hospital der Gewinner des “Dicty World Race 2014“ ausgezeichnet. Das ist eine Art Zellen-Rennen, bei dem verschiedene Forscherteams aus der ganzen Welt Dictyostelium-Zellen gegen Zellen des Immunsystems antreten lassen: Sie laufen durch ein mikroskopisch kleines Labyrinth um die Wette.
Wie kam es zu dieser Idee?
Wir wollten zeigen, dass Forschung nicht langweilig ist. Das „Dicty World Race“ stellt klar, dass Forscher nicht nur hinter grauen Mauern forschen, sondern dass man durchaus auch Spaß haben kann. Das Rennen hat natürlich auch einen seriösen Hintergrund und wissenschaftlichen Wert. Zweck des Rennens ist es, die Grundlagen der Wanderung von Zellen, die sogenannte Chemotaxis, besser zu verstehen. Deshalb ist Gendoping erlaubt, da man die Zelle so verändert, dass sie schneller wandert. Uns hat es gefreut, dass die diesjährigen Sieger Arjan Kortholt und Peter van Haastertaus von der Universität Groningen kamen und die niederländische Presse das Thema aufgenommen hat. Sie hat es auch für Kinder verständlich vermittelt.
In welche Richtung entwickelt sich die Forschung zur Dictyostelium discoideum-Zelle?
Es gibt immer wieder Phasen, in denen in einem bestimmten Bereich der Dicty-Forschung besonders viel passiert. In den letzten Jahren war das in der Entwicklungsbiologie der Fall. Dieser „Hype“ ist nun abgeebbt. Wahrscheinlich wird im Bereich menschlicher Krankheiten und in der Forschung mit pathogenen Keimen noch viel passieren. Da sich die Dictyostelium discoideum-Zelle genetisch verändern lässt, hilft sie beim Verstehen und Erforschen dieser Aspekte.
Die Fragen stellte Amran Abo Houf.