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Informatik trifft Geisteswissenschaften

Am 28. Februar findet an der Freien Universität eine Tagung zu „Digital Humanities“ statt / Campus.leben im Gespräch mit Informatikprofessorin Claudia Müller-Birn

25.02.2014

Ein Beispiel für digitale Geisteswissenschaften an der Freien Universität: Die Online-Enzyklopädie „1914-1918-online“, die im Oktober veröffentlicht wird, versammelt wissenschaftliche Beiträge über den Ersten Weltkrieg.

Ein Beispiel für digitale Geisteswissenschaften an der Freien Universität: Die Online-Enzyklopädie „1914-1918-online“, die im Oktober veröffentlicht wird, versammelt wissenschaftliche Beiträge über den Ersten Weltkrieg.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Die Informatikerin Claudia Müller-Birn war an der Organisation des Workshops beteiligt.

Die Informatikerin Claudia Müller-Birn war an der Organisation des Workshops beteiligt.
Bildquelle: Horst Werner / Wikimedia, CC-BY-SA 3.0

Digitale Geisteswissenschaften bezeichnen den Bereich, in dem Historiker, Literaturwissenschaftler und andere Geisteswissenschaftler informatische Methoden und Ansätze nutzen, um Texte, Bilder oder Darbietungen zu erschließen, zu analysieren und zu präsentieren. Am 28. Februar lädt der Einstein-Zirkel der Einstein Stiftung zu einem Workshop an die Freie Universität ein. Er steht unter dem Titel „Grenzen überschreiten – Digitale Geisteswissenschaften heute und morgen“ und will zeigen, wie eng die vermeintlich voneinander entfernten Bereiche verzahnt sind. Ein Gespräch mit der Informatikerin Claudia Müller-Birn. Sie hat den Workshop als Juniorprofessorin für Web Science/Human-Centered Computing am Institut für Informatik mit vorbereitet.

Frau Professorin Müller-Birn, was verbirgt sich hinter dem Ausdruck „Digital Humanities“?

Die Informatik hat in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen und durchdringt inzwischen alle gesellschaftlichen Bereiche – auch die eher traditionell geprägten Wissenschaftsdisziplinen wie die Geisteswissenschaften. Mir ist es unter dem Stichwort „Digital Humanities“ wichtig, aufzuzeigen, dass es nicht darum gehen sollte, aus Geisteswissenschaftlern Informatiker zu machen oder umgekehrt, sondern darum, Ansätze zu entwickeln, wie beide Forschungsbereiche durch eine sinnvolle Verquickung voneinander profitieren können. „Digital Humanities“ bedeutet für mich die zielgerichtete Weiterentwicklung beider Forschungsbereiche durch deren interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Wie sehen Ihre persönlichen Erfahrungen als Informatikerin bei der Zusammenarbeit aus?

Eine der größten Herausforderungen in interdisziplinären Projekten ist immer die Kommunikation: Trotz einer gemeinsamen Sprache kann der verwendete Wortschatz sehr unterschiedlich sein. Außerdem arbeiten Informatiker und Geisteswissenschaftler unterschiedlich. Ich bin Ingenieurin, daher gehe ich in der Regel systematisch und planvoll vor. Nun lerne ich gerade häufig, dass es dazu auch Alternativen gibt. So hat mich bei den geisteswissenschaftlichen Mitgliedern des Einstein-Zirkels deren Engagement und „Machermentalität“ beeindruckt. Das Motto unseres Workshops „Grenzen überschreiten“ ist für sie häufig der Ausgangspunkt ihrer Arbeitsweise. Sie gehen die Dinge einfach an und probieren aus.

Wie sieht das konkret aus?

Im Rahmen einer Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte führe ich Interviews mit dort ansässigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. In diesen Gesprächen geht es darum, wie Geisteswissenschaftlicher forschen und welche Probleme bei der Arbeit mit digitalen Ressourcen – oder Ressourcen, die im Laufe des Forschungsprozesses digitalisiert werden – entstehen. Die gesammelten Erkenntnisse nutzen wir, um das in der Arbeitsgruppe entwickelte Softwarewerkzeug für Semantische Annotationen an die Bedürfnisse der Nutzer anzupassen. Diese Art von Annotationen können von Menschen und Maschinen verstanden werden. Wir können damit beispielsweise den Forschern genauere Suchergebnisse für ihre annotierten Texte zur Verfügung stellen, ohne im Voraus zu wissen, welche Fragen sie stellen werden.

Bei unserer Arbeit bemerken wir außerdem häufig, dass das mentale Modell eines Softwareentwicklers bei der Erstellung der Benutzeroberfläche stark von dem eines Geisteswissenschaftlers abweicht. Mit den in diesem Projekt eingesetzten Methoden versuchen wir, genau dieses Problem zu minimieren. Es geht also nicht darum, dass beide Disziplinen weitermachen wie bisher, sondern voneinander lernen.

Welchen Part hat die Freie Universität bei der Tagung?

Die Freie Universität kann einige sehr beachtenswerte Projekte im Bereich der Digital Humanities vorweisen: etwa die Online-Enzyklopädie zum Ersten Weltkrieg: 1914-1918 – online am Friedrich-Meinecke-Institut. Oder das Zwangsarbeiterarchiv 1939 -1945, das beim Center für Digitale Systeme angesiedelt ist. Vielleicht kann der Workshop nötige Anstöße liefern, um das Thema in der Universität organisatorisch zu verankern. Veranstaltet wird der Workshop vom Einstein-Zirkel „Digital Humanities“. Es handelt sich um den dritten Workshop in einer Reihe von Veranstaltungen, die der Zirkel im letzten Jahr durchgeführt hat. Es sind weitere geplant, um das Thema noch stärker in das Bewusstsein der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit zu rücken.

Was kann eine solche Tagung leisten?

Mit unserem Workshop verfolgen wir zwei Ziele: Wir wollen einerseits die Vielfalt der Berliner Digital-Humanities-Landschaft präsentieren und alle Projektbeteiligten besser untereinander vernetzen; andererseits wollen wir den Dialog zur Kooperation anstoßen, indem wir Entscheidungsträger ausgewählter Institutionen zur Diskussion eingeladen haben.

Die Frage nach einem regionalen Kompetenzzentrum zu den digitalen Geisteswissenschaften steht im Raum, aber auch die Frage, wie die institutionenübergreifende Forschungsarbeit (vor allem zwischen Museen und Forschungseinrichtungen) verbessert werden kann. Eine große Herausforderung ist darüber hinaus die Langzeitsicherung von Daten und Software, die sicher nicht im Alleingang gelöst werden kann.

Was erwarten Sie persönlich?

Mein Engagement auf dem Gebiet der Digitalen Geisteswissenschaften ist noch recht jung: Ich bin seit Oktober 2012 Juniorprofessorin an der Freien Universität Berlin. Ich denke, dass in den "Digital Humanities" ein großes Potenzial schlummert. Ich bin unter anderem in ein Projekt eingebunden, das die Theaterwissenschaftsprofessorin Annette Jael Lehmann von der Freien Universität zur Informationsvisualisierung von Forschungsergebnissen im Rahmen einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof betreut. Außerdem bin ich an dem oben bereits angesprochenen Projekt zur Semantischen Annotation von Texten beteiligt, das am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte angesiedelt ist. Diese Projekte werde ich beim Workshop mit vorstellen – ich hoffe auf interessante Diskussionen.

Sehr gespannt bin ich auch auf den Vortrag von Kurt Fendt, Executive Director von HyperStudio – Digital Humanities am Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Weitere Informationen

Zeit und Ort

Programm: "Grenzen überschreiten – Digitale Geisteswissenschaften heute und morgen"

  • 9:00 Uhr: Begrüßung und Einführung (Prof. Brigitta Schütt, Vizepräsidentin für Forschung, Freie Universität Berlin)

  • 9:30 Uhr: Session 1: Blitzlichtvorträge und Posterpräsentationen

  • 11:15 Uhr: Session 2: Blitzlichtvorträge und Posterpräsentationen

  • 13:45 Uhr: Einführung durch den Einstein Zirkel "Digital Humanities" Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse des Vormittags

  • 14:00 Uhr: Keynote Prof. Dr. Kurt Fendt: “Konvergenz und Pluralität: Methoden, Projekte, Kooperationen in den Digital Humanities”

  • 15:30 Uhr: Podiumsdiskussion: “Welche Zukunft gibt es für die Digital Humanities in Berlin?”
    Teilnehmer: Prof. Peter-André Alt (Präsident der Freien Universität Berlin), Prof. Peter Frensch (Vizepräsident für Forschung der Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Jürgen Renn (Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte), Prof. Günther Schauerte (Vizepräsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz), Prof. Reinhard Förtsch (wissenschaftlicher Direktor für Informationstechnologien am Deutschen Archäologischen Institut Berlin) und Dr. Wolf-Hagen Krauth (Wissenschaftsdirektor der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften).

  • 17:00 Uhr: Abschied und Ausblick auf die nächste Veranstaltung des Einstein Zirkels "Digital Humanities"

  • Der Programm-Flyer (pdf-Datei) steht zum Download bereit.

Auswahl von Projekten der "Digital Humanities" an der Freien Universität: