Springe direkt zu Inhalt

Giftig oder wichtig?

Biologen haben entdeckt, warum vermeintlich schädliche Radikale für die Befruchtung von Pflanzen wichtig sind

14.03.2014

Narbe beim Fruchtblatt der Pflanze Arabidopsis thaliana. Die Pollenkörner keimen und bilden Pollenschläuche. Erreichen diese die Samenanlagen, erfolgt die Befruchtung. Ohne Sauerstoffradikale ist der Prozess gestört.

Narbe beim Fruchtblatt der Pflanze Arabidopsis thaliana. Die Pollenkörner keimen und bilden Pollenschläuche. Erreichen diese die Samenanlagen, erfolgt die Befruchtung. Ohne Sauerstoffradikale ist der Prozess gestört.
Bildquelle: Roman Lassig

Welche Rolle Sauerstoffradikale bei der geschlechtlichen Fortpflanzung von Pflanzen spielen, haben Forscher der Arbeitsgruppe um Biologie-Professorin Tina Romeis am Dahlem Centre of Plant Sciences der Freien Universität Berlin zusammen mit Kooperationspartnern an den Universitäten Würzburg und Amsterdam aufgedeckt.

Radikale Sauerstoffteilchen (reactive oxygen species, kurz ROS) haben keinen besonders guten Ruf: Sie schädigen Zellen, lassen uns alt aussehen und können Krebs hervorrufen. Auch für Pflanzen sind diese Substanzen in größeren Mengen schädlich. Allerdings weiß man inzwischen, dass Radikale auch der Abwehr von Krankheitserregern dienen und bei der Kommunikation zwischen Zellen und der Entwicklung von Organen eine wichtige Rolle spielen – bei Menschen, Tieren und Pflanzen.

Die Arbeitsgruppe „Biochemie der Pflanzen“ um Professorin Romeis am Dahlem Centre of Plant Sciences (DCPS) hat nun entdeckt, dass die Radikale auch entscheidend sind für die geschlechtliche Fortpflanzung der Pflanzen: Fehlen die Sauerstoffradikale während der Befruchtungsphase, wächst der Pollenschlauch unkontrolliert schnell und platzt, bevor er die Eizelle erreichen kann.

Die Rolle der Radikale

Hauptverantwortlich für die Bildung von Sauerstoffradikalen sind Enzyme der Familie der sogenannten NAD(P)H-Oxidasen. Zwei Mitglieder dieser Familie (RBOHH und RBOHJ) kommen ausschließlich im pflanzlichen Pollen und dort in bestimmten Bereichen der Plasmamembran des Pollenschlauchs vor. Was die Sauerstoffradikale hier allerdings bewirken, war bislang nicht bekannt.

Roman Lassig, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Tina Romeis, hat dies in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt zusammen mit Pflanzenwissenschaftlern der Universität Würzburg und der Universität Amsterdam untersucht. Die Ergebnisse wurden nun in der renommierten Fachzeitschrift The Plant Journal veröffentlicht.

Ergebnisse der aktuellen Studie

Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung von Pflanzen bildet der Pollen, das männliche Geschlechtsorgan der Pflanze, nach der Bestäubung einer Blüte einen Pollenschlauch aus. Durch diesen Schlauch wandern die Samenzellen zur Eizelle und befruchten diese. Bei der Bestäubung fallen in der Regel tausende einzelne Pollenkörner auf eine Blüte. Dann kommt es ähnlich wie im Tierreich auf die Schnelligkeit an: Der Pollenschlauch, der zuerst eine Eizelle erreicht, kann seine Gene weitergeben.

Die Ausbildung des Pollenschlauchs ist ein komplexer Vorgang – das Zusammenspiel der verschiedenen zellulären Prozesse ist noch nicht bis ins letzte Detail verstanden. Seit einigen Jahren weiß man jedoch, dass ROS an den Entwicklungsprozessen in Pflanzen, etwa bei der Ausbildung von Wurzelhärchen, beteiligt sind.

Ungebremster Wachstumsschub tut nicht gut

Mit mikroskopischen und elektrophysiologischen Untersuchungen konnte das Forscherteam zeigen, dass die Wachstumsgeschwindigkeit des Pollenschlauchs extrem schwankt, wenn keine Radikale vorhanden sind: Teilweise wächst der Schlauch nur wenig, dann wieder sehr schnell, bis der Pollenschlauch in den meisten Fällen regelrecht platzt. Filmmaterial zur Veranschaulichung findet sich auf den Seiten des DCPS.

Die Forscher schließen daraus, dass in den Pflanzen, denen die Enzyme für die Produktion von ROS im Pollenschlauch fehlen, die Zellausdehnung nicht mehr koordiniert abläuft. Die Wissenschaftler vermuten, dass ROS möglicherweise direkt zur Stabilisierung der Zellhülle beiträgt, indem diese die Bausteine der Zellwand wie eine Art Mörtel vernetzen.

Die Menge macht das Gift

Ohne ROS lägen die Bausteine demnach nur lose in der Zellwand, das Zellgerüst bliebe an diesen Baustellen weich und könne dem Zelldruck wenig Widerstand leisten.Das erlaube dem Pollenschlauch zwar, sich schneller auszudehnen, mache ihn aber auch extrem instabil, so die Forscher. Für den Pollenschlauch und die Pflanze sei dies am Ende fatal: Die Zellwand, die die Zelle als stützendes Gerüst umgibt, werde immer brüchiger, der Schlauch platze und die Pflanze könne sich nicht mehr fortpflanzen.

Die Forschungsergebnisse liefern einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der komplexen Vorgänge und Regelkreise bei der Fortpflanzung der Pflanzen – und führen zudem vor Augen, dass selbst vermeintlich schädliche Substanzen in elementare Prozesse wie die der Fortpflanzung eingebunden sein können. Wie häufig in der Natur gilt auch hier – frei nach Paracelsus – “allein die Menge macht das Gift“.