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Mit Himmelsglobus und Harnschauglas

Ärzte aus drei Jahrhunderten: Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité zeigt die Ausstellung „Praxiswelten“

07.01.2014

Mithilfe eines Himmelsglobus bestimmte der Arzt Johannes Magirus die Planetenpositionen. Danach legte er die Behandlung seiner Patienten fest.

Mithilfe eines Himmelsglobus bestimmte der Arzt Johannes Magirus die Planetenpositionen. Danach legte er die Behandlung seiner Patienten fest.
Bildquelle: Bianca Schröder

Christlicher Brauch: Die Totenkrone wurde verstorbenen Kindern und Unverheirateten auf den Sarg gelegt als Zeichen der nun erfolgten Vermählung mit Gott.

Christlicher Brauch: Die Totenkrone wurde verstorbenen Kindern und Unverheirateten auf den Sarg gelegt als Zeichen der nun erfolgten Vermählung mit Gott.
Bildquelle: Museum Kirche in Franken, Bad Windsheim

Reiseapotheke aus der Zeit zwischen 1775 bis 1800. Das Ausstellungsstück ist eine Leihgabe des Medizinhistorischen Instituts und Museums der Universität Zürich.

Reiseapotheke aus der Zeit zwischen 1775 bis 1800. Das Ausstellungsstück ist eine Leihgabe des Medizinhistorischen Instituts und Museums der Universität Zürich.
Bildquelle: Bianca Schröder

März 1653: Ein kleiner Junge leidet unter Fieberkrämpfen. Der Arzt Johannes Magirus untersucht ihn, dann bestimmt er mithilfe seines Himmelsglobusses die Planetenpositionen zum vermuteten Zeitpunkt des Krankheitsbeginns. Aufgrund seiner Berechungen verordnet er Arzneien und Einreibungen. Mit Erfolg: Nach einer Woche scheidet der Junge zwei Würmer aus, und das Fieber verschwindet. So hat es der Zerbster Stadtarzt Johannes Magirus in seinem Praxisjournal notiert. Er ist einer von acht Ärzten, deren Aufzeichnungen Grundlage für die Ausstellung „Praxiswelten“ im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité sind. Besucher können hier bis September erfahren, wie sich von Mitte des 17. Jahrhunderts bis um 1900 verschiedene Praxisformen herausgebildet haben.

Acht stilisierte „Praxen“ hat das Charité-Museum in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt zusammengestellt. „Sie erzählen keine durchgängige Geschichte ärztlicher Tätigkeit, sondern geben den Blick frei auf ganz unterschiedliche Praxisformen in drei Jahrhunderten“, sagt Professor Thomas Schnalke, Direktor des Medizinhistorischen Museums der Charité.

Die Behandlungsinstrumente eines Schweizer Laienheilers sind dabei, eines Homöopathen aus Münster und eines Pathologieprofessors aus Würzburg. Im Mittelpunkt stehen jeweils Ausstellungsstücke, die den Alltag des Arztes und seines Patienten symbolisieren. Bei Johannes Magirus ist dies ein 300 Jahre alter Himmelsglobus aus Zerbst, für seinen kleinen Patienten steht eine Kinderrassel aus Gold und Bergkristall, an der die Beißspuren eines zahnenden Säuglings auszumachen sind.

Ausstellung ist aus Forschungsprojekt entstanden

Infotafeln erzählen die Biografie des Arztes und einen konkreten Fall aus seiner Praxis. Sie klären auch über die Exponate auf, typische Gegenstände aus der jeweiligen Zeit: Eine reich verzierte Totenkrone ist darunter, ein Harnschauglas und ein Reisetintenfass.

Die Ausstellung speist sich aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen aus einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsverbund mit dem Projekttitel „Ärztliche Praxis (17.-19. Jahrhundert)“. „In ein laufendes Forschungsprojekt hineinzugehen, ist für ein Museum eher ungewöhnlich. Herausgekommen ist eine stark wissenschaftsorientierte Ausstellung“, sagt Schnalke.

Kranksein kostete auch damals Geld

Die acht porträtierten Ärzte eigneten sich auch deshalb für die Forschung, weil sie ihre Tätigkeit ausgiebig in Praxisjournalen dokumentiert haben. Notiert sind Diagnosen und Therapien, aber auch die Zusammenarbeit mit nicht akademisch gebildeten Heilkundigen, darunter viele Frauen.

Auch das Behandlungshonorar ist immer wieder Thema. Den meisten Ärzten ermöglichte ihr Beruf ein gutes Auskommen, doch nicht alle konnten sich einen zahlungskräftigen Patientenkreis aufbauen. Zusätzliche Einkünfte erlangten sie etwa durch den Verkauf von Arzneimitteln, die Vermietung von Zimmern an Studenten und private Lehrveranstaltungen. Mancherorts verpflichteten die Städte ihre Stadtärzte aufs Bierbrauen.

Die Praxis an einem festen Ort setzte sich erst ab 1850 durch

Nur wenige Ärzte führten eine Praxis im heutigen Sinne. „Hausbesuche waren lange Zeit üblich, die Sprechstunde an einem festen Ort setzte sich erst ab etwa 1850 durch“, erläutert Schnalke. Die Wege zu ihren Patienten kosteten die Ärzte viel Zeit. So ist das Wirken des Schweizer Arztes Cäsar Adolf Bloesch an einem einzigen Tag, dem 7. Dezember 1862, auf dem Stadtplan von Biel festgehalten. Er besucht sieben Patienten in verschiedenen Stadtvierteln – ein ausgefüllter Arbeitstag.

Die Besucher, die die Ausstellung gleich in den ersten Tagen besuchten, wussten die ungewohnten Einblicke zu schätzen. „Die Gegenstände, die die Ärzte damals benutzten, kennt man heute gar nicht mehr“, sagte Michael Hoyer, Student der Verfahrenstechnik an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Er hatte mit Kommilitonen eine Studienreise nach Berlin unternommen.

Auch Ausstellungsbesucherin Heike Mennemeier hatte sich während eines kurzen Besuchs in der Hauptstadt gemeinsam mit ihrem Mann bewusst für die „Praxiswelten“-Ausstellung entschieden: „Ich finde es spannend, wie Ärzte früher Krankheiten behandelten, obwohl die Möglichkeiten so viel geringer waren als heute.“

Weitere Informationen

„Praxiswelten" – Zur Geschichte der Begegnung von Arzt und Patient

Zeit und Ort

  • Bis 21. September 2014
  • Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité, Charitéplatz 1 (ehemals: Schumannstraße 20/21), 10117 Berlin, Telefon: 030 / 450-536156


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