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„Ihr Engagement, Ihre Leidenschaft und Ihr Feuer haben mich beeindruckt“

Kluge Reform statt kopflose Kürzungsdebatte? Wissenschaftler*innen der Freien Universität erläutern Politiker*innen auf dem Dahlemer Campus die Folgen von Haushaltskürzungen

13.06.2025

Physikprofessorin Dr. Katharina Franke ist Ko-Sprecherin des gerade eingeworbenen Exzellenzclusters Center for Chiral Electronics.

Physikprofessorin Dr. Katharina Franke ist Ko-Sprecherin des gerade eingeworbenen Exzellenzclusters Center for Chiral Electronics.
Bildquelle: Marion Kuka

Nach den Plänen des Berliner Senats sollen 2025 im Wissenschaftsetat 250 Millionen Euro gespart werden, davon entfallen nach noch nicht abschließend bestätigten Aussagen mehr als 100 Millionen Euro auf die staatlichen Hochschulen. Was passiert, wenn die Freie Universität plötzlich rund 37 Millionen Euro aus ihrem Budget für 2025 einsparen soll? Wissen die verantwortlichen Politiker*innen, welche Folgen diese Kürzungen haben werden? Wie finanziert sich eine Hochschule überhaupt? Und welchen Beitrag leistet eine Institution wie die Freie Universität für die Gesellschaft? 

Diese Fragen wollten die Listenführer*innen des Akademischen Senats und Kuratoriums der Freien Universität mit Mitgliedern des Berliner Abgeordnetenhauses erörtern.

Die Politikwissenschaftlerin Professorin Gülay Çağlar, der Biologe Professor Jens Rolff, die Pharmazeutin Professorin Maria Parr und die Theaterwissenschaftlerin Professorin Doris Kolesch hatten am 5. Juni zu einem Rundgang durch die Labore des Forschungsbaus SupraFAB mit anschließendem Austausch auf den Campus der Freien Universität Berlin eingeladen. Die Abgeordnete Laura Neugebauer (Die Grünen) sowie Peer Mock-Stümer (CDU) und Martin Matz (SPD) waren der Einladung gefolgt. Zwei weitere Treffen mit Abgeordneten der Bezirks-, Landes- und Bundesparlamente noch im Juni sind geplant. 

„Was wir in den Naturwissenschaften leisten und was verlorengeht, wenn wir so radikal sparen müssen, zeigen wir Ihnen auf einem kleinen Rundgang durch dieses Haus.“, sagte Jens Rolff zur Einführung. 

Aus Sicht des Chemieprofessors Rainer Haag ist das 2022 eröffnete Gebäude SupraFAB zur Erforschung supramolekularer funktionaler Architekturen an Biogrenzflächen ein Vorzeigeprojekt. Die Freie Universität hatte die Mittel für SupraFAB aus einem Bundesprogramm für Forschungsbauten mit Großgeräten eingeworben, der Berliner Senat beteiligte sich mit der Hälfte der Kosten. Nach nur fünf Jahren Bauzeit war das interdisziplinäre Forschungszentrum bezugsfertig. Heute arbeiten dort führende Köpfe aus Physik, Biologie und Chemie verschiedener Einrichtungen gemeinsam.

Außen schlicht wie ein Kühlschrank, innen Weltklasse: das 300-Kilovolt-Kryo-Transmissions-Elektronenmikroskop, mit dem atomar-aufgelöst Strukturen eingefroren in wässriger Umgebung untersucht werden können. (Links: P. Mock-Stümer, rechts: M. Matz)

Außen schlicht wie ein Kühlschrank, innen Weltklasse: das 300-Kilovolt-Kryo-Transmissions-Elektronenmikroskop, mit dem atomar-aufgelöst Strukturen eingefroren in wässriger Umgebung untersucht werden können. (Links: P. Mock-Stümer, rechts: M. Matz)
Bildquelle: Marion Kuka

„Elektronenmikroskope lösen so fein auf, dass wir einzelne Atome sehen können“, sagte Rainer Haag. Sie zeigen auch die Strukturen von Eiweißmolekülen in menschlichen Zellen, die für viele medizinische Fragen entscheidend sind. Das teuerste Gerät – es kostete 5,7 Millionen Euro – läuft fast rund um die Uhr, weil viele Berliner Forschungseinrichtungen es nutzen. Dabei entstehen Betriebskosten von etwa 300.000 Euro pro Jahr. „Wenn wir dieses Geld nicht mehr zur Verfügung haben, steht die Forschung hier still“, sagte Rainer Haag.

Anschließend blickten die Gäste auf ein raumfüllendes Gerät, das Katharina Franke und ihr Team selbst gebaut haben. Die Physikprofessorin hat gerade den neuen Exzellenzcluster „Center for Chiral Electronics“ im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder eingeworben.

„Der Laser ist aus, Sie können ruhig eintreten“, lud die Wissenschaftlerin ein. Das Rastertunnelmikroskop tastet Atome mit einer feinen Metallspitze ab und wandelt die Daten in Bilder um. „Außerdem können wir einzelne Atome gezielt bewegen und mit ihnen Nanostrukturen bauen, die völlig neue technische Anwendungen eröffnen“, erklärte sie. Spitzenforschung, die Deutschlands Industrie stärkt.

V.l.n.r.: Martin Matz, SPD-Abgeordneter und Mitglied im Hauptausschuss sowie im AK 6 – Haushalt und Finanzen, Romanistikprofessorin Anita Traninger, Laura Neugebauer, Die Grünen, Sprecherin für Wissenschaft, Forschung und außerschulische Bildung.

V.l.n.r.: Martin Matz, SPD-Abgeordneter und Mitglied im Hauptausschuss sowie im AK 6 – Haushalt und Finanzen, Romanistikprofessorin Anita Traninger, Laura Neugebauer, Die Grünen, Sprecherin für Wissenschaft, Forschung und außerschulische Bildung.
Bildquelle: Marion Kuka

Was die Geistes- und Sozialwissenschaften für Berlin, national und international leisten, erklärten die Romanistin Professorin Anita Traninger, die Kunsthistorikerin Professorin Karin Gludovatz und die Politikwissenschaftlerin Professorin Tanja Börzel anschließend im Seminarraum.

„Wir sind ein unsichtbares Netzwerk, das ganz Berlin durchzieht“, sagte Anita Traninger, Trägerin des renommierten Leibniz-Preises 2023, der höchsten Auszeichnung für Wissenschaftler*innen in Deutschland. „Unsere Absolventen sind überall: in der Verwaltung, der Kultur, der Wirtschaft und auch bei Ihnen im Abgeordnetenhaus.“ 

Das Spektrum der Geisteswissenschaften an der Freien Universität Berlin ist einzigartig: von Koreastudien bis Gräzistik, von Ägyptologie bis zur Philosophiegeschichte. Doch diese Vielfalt ist in Gefahr. Der Sparzwang bedroht „kleine“ Fächer wie Portugiesisch, Byzantinistik oder Niederlandistik, die keinen Spielraum für Stellenabbau haben. Es sei jedoch gerade diese Vielfalt, die die Freie Universität international sichtbar mache, betonte Traninger. In großen Verbünden bearbeiten diese Disziplinen zentrale gesellschaftliche Fragen. Deshalb ist Berlin, und hier vor allem die Freie Universität, das bevorzugte Ziel internationaler Gastwissenschaftler*innen mit Alexander-von-Humboldt-Stipendium.

„Das nennt man Umweg-Rentabilität“, sagte Traninger. Von diesen Erfolgen profitiere die ganze Stadt. „Wir haben dieses Renommee mit wenigen Mitteln aufgebaut. Werden diese weiter gekürzt, wird es eng.“

Im Förderatlas der Deutschen Forschungsgemeinschaft gilt Berlin als Drittmittelhauptstadt der Geisteswissenschaften. Drittmittel – also Mittel, die weder aus dem Bund noch dem Land kommen – finanzieren jedoch immer nur befristete Stellen. Der Wettbewerb darum sei hart: „Manchmal gewinnen wir, manchmal verlieren wir“, sagte die Romanistin. „Doch wenn wir Substanz abbauen, verlieren wir massiv an Handlungsspielraum. Jeder Verlust schmälert unsere Chancen, überhaupt an diesen Wettbewerben um Drittmittel teilzunehmen.“

Karin Gludovatz hob die Exzellenz der Geschichts- und Kulturwissenschaften hervor: Sie gehören international zur Weltspitze – mit lediglich ein bis drei Professuren pro Fach. Die Archäolog*innen etwa leiten große Grabungen in vielen Ländern, machen immer wieder sensationelle Funde und erschließen historisches Wissen für aktuelle Herausforderungen. Wenig bekannt: Die Altertumswissenschaften treiben auch die Digitalisierung voran, etwa bei der Entschlüsselung alter Sprachen oder der digitalen Rekonstruktion historischer Orte.

Kunstgeschichtsprofessorin Karin Gludovatz (2.v.l.), Politikwissenschaftsprofessorin Tanja Börzel (3.v.l.), Martin Matz, SPD-Abgeordneter (2.v.r.), Biologieprofessor Jens Rolff (r.)

Kunstgeschichtsprofessorin Karin Gludovatz (2.v.l.), Politikwissenschaftsprofessorin Tanja Börzel (3.v.l.), Martin Matz, SPD-Abgeordneter (2.v.r.), Biologieprofessor Jens Rolff (r.)
Bildquelle: Marion Kuka

„Das größte Gerät am Otto-Suhr-Institut ist wohl die Kaffeemaschine“, sagte Politikwissenschaftlerin Professorin Tanja Börzel. Dennoch hat der Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften in den vergangenen zehn Jahren eine Viertelmilliarde Euro an Drittmitteln nach Berlin geholt. Sie selbst könne es kaum fassen, doch mit mehreren Sonderforschungsbereichen, EU-Projekten und dem Exzellenzcluster SCRIPTS, der gerade um sieben Jahre verlängert wurde, komme diese Summe zusammen.

Dieses Geld fließt jedoch ausschließlich in die Forschung. Und es fließt nur dann, wenn die Hochschulen eine solide Finanzierungsbasis für die Lehre, die Professor*innen, für Infrastruktur und Betriebskosten nachweisen können. Universitäten brauchen eine solide, verlässliche Grundfinanzierung – ebenso wie Rücklagen für Bau und Sanierungen. Drittmittel einfach zu erhöhen, funktioniere nicht. Eine geringe Grundfinanzierung gefährde auch das Volumen der Mittel, die man einwerben kann.

Schon das derzeitige Betreuungsverhältnis von 1 zu 60 zwischen Lehrenden und Studierenden sei ein enormes Problem, fügte Tanja Börzel hinzu. Und das in einer Zeit, in der die Welt vor großen politischen Herausforderungen stehe – zum Beispiel, dass immer weniger junge Menschen weltweit Interesse an Demokratie und Freiheit zeigen und der soziale Zusammenhalt in vielen Gesellschaften bröckelt. 

Überall fehlen Lehrerinnen und Lehrer – welche Bedeutung die Ausbildung von Lehrkräften für die Gesellschaft hat, erkläre sich von selbst, ergänzte Eva Terzer, Leiterin der Dahlem School of Education. „Zudem stehen die Schulen vor neuen Aufgaben: Demokratie fördern, Vielfalt verstehen, Mehrsprachigkeit stärken – dafür brauchen wir neue Konzepte.“ Viele Studierende arbeiten bereits während des Studiums an Schulen, weil der Bedarf so groß ist. „Sie tragen viel Verantwortung und benötigen – ebenso wie die Quereinsteiger*innen – jede erdenkliche Unterstützung.“

Politikwissenschaftsprofessorin Dr. Gülay Çağlar

Politikwissenschaftsprofessorin Dr. Gülay Çağlar
Bildquelle: Marion Kuka

„Der Senat steht unter Sparzwang, das verstehen wir“, fasste die Politikwissenschaftlerin Gülay Çağlar zusammen. Doch das Ausmaß der Kürzungen sei verheerend, vor allem aber die Geschwindigkeit richte großen Schaden an. Sie treffe die Schwächsten: Befristete Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs bleiben unbesetzt, die verbleibenden Kolleg*innen müssen die Mehrarbeit schultern. Erfolgreiche Pilotprojekte enden, weil das Geld fehlt. Gehen Professor*innen in den Ruhestand oder wechseln an andere Universitäten, bleiben ihre Stellen vakant. So entstehen Lücken in Lehre und Forschung – zufällig und unberechenbar: „In fünf bis sieben Jahren könnten zehn Prozent der rund 450 Professuren wegfallen.“

Die Folgen: Studiengänge müssen geschlossen werden, das Lehrangebot schrumpft, Lehrveranstaltungen sind überfüllt. Auch für Transformations- und Digitalisierungsprojekte, die langfristig Einsparungen bringen könnten, fehlt das Geld. Geplante und laufende Sanierungs- und Bauvorhaben drohen zu scheitern.

„In so kurzer Zeit können wir keine klugen Lösungen finden“, fügte die Politikwissenschaftlerin hinzu. Vielfalt, Innovationskraft und Problemlösungskompetenz gingen verloren. Das sei nicht nur ein Problem der Universitäten, sondern eines für die gesamte Stadtgesellschaft. „Wie verlaufen die Diskussionen aus Ihrer Sicht? Welche Chancen sehen Sie, eine kluge Reform zu erreichen, statt eine kopflose Kürzungsdebatte zu führen, die Berlins Ruf als Wissenschaftsstandort schwer beschädigt?“, fragte sie die Gäste aus der Politik.

Martin Matz, SPD-Abgeordneter im Berliner Südwesten für Lichterfelde-West und Zehlendorf-Süd, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und Mitglied im Hauptausschuss sowie im AK 6 – Haushalt und Finanzen

Martin Matz, SPD-Abgeordneter im Berliner Südwesten für Lichterfelde-West und Zehlendorf-Süd, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und Mitglied im Hauptausschuss sowie im AK 6 – Haushalt und Finanzen
Bildquelle: Marion Kuka

Martin Matz, SPD-Abgeordneter im Berliner Südwesten für Lichterfelde-West und Zehlendorf-Süd, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und Mitglied im Hauptausschuss sowie im AK 6 – Haushalt und Finanzen, betonte den Spielraum, den das im März beschlossene Sondervermögen Infrastruktur des Bundes eröffnen könnte. 100 Milliarden Euro sollen dabei in Investitionen der Länder fließen. Einen ersten Gesetzentwurf dazu hat Matz gerade per E-Mail erhalten. „Wir müssen abwarten, wie die Regeln aussehen. Aber grundsätzlich fällt unter Infrastruktur auch Bildungsinfrastruktur, also Wissenschaft und Hochschulen“, erklärte er. Wer durchdachte Projekte zügig einreicht, habe Vorteile. „Für Ihre Gebäude sehe ich mehr Chancen als für Ihr Personal“, sagte der Politiker.

Laura Neugebauer, Sprecherin der Grünen-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses für Wissenschaft, Forschung, außerschulische Bildung und Queer-Politik

Laura Neugebauer, Sprecherin der Grünen-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses für Wissenschaft, Forschung, außerschulische Bildung und Queer-Politik
Bildquelle: Marion Kuka

Laura Neugebauer, Sprecherin der Grünen-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses für Wissenschaft, Forschung, außerschulische Bildung und Queer-Politik, betonte die Bedeutung von Transparenz und Verlässlichkeit zwischen Senat und Hochschulen. „Ich nehme aus diesem Termin mit, dass Berlin Großes leisten kann, wenn man der Wissenschaft die passenden Strukturen bietet und ihr auf Augenhöhe begegnet“, sagte sie. 

Peer Mock-Stümer, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses der CDU-Fraktion und dort u.a. Mitglied im Ausschuss Wissenschaft und Forschung. Peer Mock-Stümer ist FU-Alumnus: Er hat Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität studiert.

Peer Mock-Stümer, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses der CDU-Fraktion und dort u.a. Mitglied im Ausschuss Wissenschaft und Forschung. Peer Mock-Stümer ist FU-Alumnus: Er hat Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität studiert.
Bildquelle: Marion Kuka

Peer Mock-Stümer, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses der CDU-Fraktion und dort u.a. Mitglied im Ausschuss Wissenschaft und Forschung, Absolvent der Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin, ermutigte die Gastgeber, weiter für ihre Sache einzutreten: „Ihr Engagement, Ihre Leidenschaft und Ihr Feuer haben mich beeindruckt“, erklärte er. Ihm sei klar geworden, dass man die kleinen Fächer nicht kaputtsparen dürfe, da sie sich später nur schwer wieder aufbauen ließen. „Wenn Sie nicht auf Ihr Anliegen aufmerksam machen“, warnte er, „bleibt es nichts weiter als eine Zahl im großen Haushaltsbuch.“