Abschied von „Happyland“
Tupoka Ogette über Rassismus an Hochschulen: erkennen, verstehen, verändern!
16.05.2025
Als Auftakt zum Schwerpunktthema „Rassismus“ der Stabsstelle Diversity und Antidiskriminierung hat die Freie Universität Tupoka Ogette eingeladen. In einem gut gefüllten Hörsaal spricht die Beraterin und Bestseller-Autorin am 29.04.2025 über Rassismus in Deutschland und im Unikontext. Sie zeigt auf, wie Nichtbetroffene Rassismus „entlernen“ und aktiv antirassistisch handeln können. Ihr Besuch eröffnet eine thematische Veranstaltungsreihe im Sommersemester 2025.
Tupoka Ogette steht auf der Bühne und hadert. Der Einstieg in ihren Vortrag sei ihr ungewöhnlich schwergefallen, gesteht sie. Obwohl sie seit vielen Jahren zu Rassismuskritik arbeitet, schreibt und spricht, habe sie diesmal Zeilen begonnen und direkt wieder gelöscht. Was sie fühlt, beschreibt sie als bleierne Müdigkeit, als tiefsitzende Schwere. Nach unzähligen Workshops, Panels und Gesprächen, in denen sie sich immer wieder dem gleichen Thema widmete. Ein Wechselspiel aus Wut, Hoffnung, Begeisterung und Angst habe sie lange getragen. Doch nun überwiege die Erschöpfung. Eine Erschöpfung, die nicht nur körperlich, sondern existenziell sei.
An der Freien Universität Berlin spricht Tupoka Ogette über Rassismus in Deutschland und an Universitäten. Sie fordert eine Auseinandersetzung mit dem strukturellen und anerzogenen Rassismus in Deutschland sowie mit den eigenen Privilegien.
Bildquelle: Lena Gärtner
Und dennoch steht sie da. Nicht, weil es leichtfällt, sondern weil es notwendig ist. Die politischen Verschiebungen nach rechts, die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien, all das lasse ihr keine Wahl. „Ich stehe hier, weil Lorenz tot ist“, sagt sie. Ein Satz, der die Stille im Raum verdichtet. Lorenz A. war 21 Jahre alt, Schwarz, und wurde in der Nacht zum Ostersonntag bei einem Polizeieinsatz in Oldenburg erschossen. Der Fall wird bundesweit diskutiert und von vielen als ein weiteres Beispiel für rassistische Polizeigewalt verstanden. Für Ogette steht sein Name nicht nur für einen schmerzlichen Verlust, sondern auch für die Dringlichkeit, für jene weiterzumachen, die nicht mehr da sind, und für jene, die etwas bewegen wollen.
Antirassismus lernen und leben
„Wir brauchen einen radikalen Wandel“, sagt Tupoka Ogette. Aber wie sieht ein solcher Wandel aus? „Erst einmal müssen wir uns von ,Happyland‘ verabschieden“, so Ogette. „Happyland“ beschreibt sie als einen imaginären Ort, an dem die meisten von uns leben. „Happyland“ stehe für die Vorstellung, dass Rassismus ausschließlich „woanders“ stattfindet: bei der AfD, bei offen Rechtsextremen. Doch diese seien nur die Spitze eines Rassismuseisberges. Sein Fundament bilde die breite und vor allem weiße Öffentlichkeit, die sich selbst als progressiv einschätze. Da Rassismus strukturell und historisch in Deutschland verankert sei, würden wir alle unweigerlich rassistisch sozialisiert, führt Ogette aus. Dieser Rassismus verstecke sich in Kinder- und Schulbüchern, in der Sprache, er bestimme die Berichterstattung in den Medien und die Vorurteile vieler Menschen. Für einen radikalen Wandel müsse die weiße Mehrheitsgesellschaft im „Happyland“ ihren anerzogenen Rassismus erkennen und ihn „entlernen“.
Gebanntes Zuhören und stille Betroffenheit im Hörsaal: Tupoka Ogette spricht über Rassismus und was Universitäten damit zu tun haben.
Bildquelle: Lena Gärtner
Auf individueller Ebene seien dafür eine rassismuskritische Selbsterkenntnis und die Auseinandersetzung mit der eigenen „White Fragility“ grundlegend. Ogette beschreibt „Weiße Zerbrechlichkeit“ als die Abwehrreaktion weißer Menschen, wenn sie auf ihren eigenen Rassismus oder auf ihre Privilegien angesprochen werden. „Viel zu oft hängt sich eine Diskussion daran auf, ob etwas überhaupt rassistisch ist.“ Dabei funktioniere „White Fragility“ wie eine Art Grenzschutzpolizei von „Happyland“ und führe dazu, dass Gespräche und Diskussionen nicht weiterkommen. „Kritisches Weißsein“ heißt nach den Ausführungen von Ogette anzuerkennen, dass Rassismus nicht allein in der rechten Ecke zu verorten sei und darüber hinaus die eigene Mitverantwortlichkeit wahrzunehmen: „Wir alle können nichts für die Welt, in die wir hineingeboren wurden. Aber alle können Verantwortung übernehmen und diese Welt mitgestalten.“
Rassismus an Hochschulen
Für Tupoka Ogette endet Rassismuskritik nicht beim Individuum. Auch Hochschulen müssten sich fragen, welche Perspektiven Forschung und Lehre prägen und welche kaum sichtbar sind. Noch immer gelte eine weiße, männlich geprägte Sichtweise als Standard. Andere Stimmen, etwa die von Schwarzen Frauen, seien selten präsent. Nicht, weil sie fehlen, sondern weil ihnen häufig nicht die gleiche wissenschaftliche Gültigkeit zugeschrieben werde.
Rebecca Mak, Leiterin der Stabsstelle Diversity und Antidiskriminierung, bedankt sich bei Tupoka Ogette und weist auf das Schwerpunktthema „Rassismus“ der Stabsstelle hin, zu dem im Sommersemester verschiedene Veranstaltungen angeboten werden.
Bildquelle: Kara Mikus
Gerade weil Universitäten Wissen nicht nur weitergeben, sondern auch archivieren, ordnen, rahmen und legitimieren, tragen sie eine besondere Verantwortung, sagt Ogette. Sie stellt in diesem Zusammenhang zentrale Fragen und ruft zur Selbstprüfung auf: Wer schreibt über wen und für wen? Wer wird gehört, wer mitgedacht? Welche Bilder und Narrative dominieren und werden reproduziert? Und schließlich: Welche Konsequenzen ziehen Hochschulen aus Rassismuserfahrungen? Welche konkreten Unterstützungsangebote erhalten Betroffene? Dabei geht es nicht um Symbolik, sondern um konkrete Veränderung: um gerechte Zugänge, Schutzräume, transparente Verfahren und Repräsentanz in Gremien und Berufungsverfahren.
Ein solcher Wandel bedeute, strukturelle Barrieren für marginalisierte Gruppen abzubauen, rassistischen Mikroaggressionen zu begegnen und Verantwortung für Rassismus zu übernehmen. Dabei reiche es nicht, sich mit Begriffen wie „Diversity“ und „Vielfalt“ nur zu schmücken. Diversity und Vielfalt würden von der weißen Mehrheitsgesellschaft oft als Trend und etwas, das die „Anderen“ mitbringen, angesehen, kritisiert Tupoka Ogette.
Verantwortung bleibt individuell
Individuelle Verantwortung, so wird im Vortrag deutlich, ist kein Randaspekt von Rassismuskritik, sondern ihr Ausgangspunkt. „Systeme, Institutionen und Strukturen bestehen aus Individuen“, sagt Ogette, „diese Individuen sind wir. Du und ich.“ Veränderung, so ihre Botschaft, ist nicht abstrakt. Sie ist persönlich. Und sie ist möglich.
Weitere Informationen
Im Rahmen des Vortrags von Tupoka Ogette begrüßt die Freie Universität Berlin die neu eingesetzte Kommission für Diversity und Antidiskriminierung. Gleichzeitig startet das Schwerpunktthema „Rassismus“, zu dem die Stabsstelle Diversity und Antidiskriminierung im Sommersemester 2025 verschiedene Veranstaltungen anbietet.
Stabsstelle Diversity und Antidiskriminierung