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„Systematisch und kritisch beleuchten“

Historie ohne Ende: An der Freien Universität Berlin wurde die Arbeitsstelle Universitätsgeschichte eröffnet

31.01.2025

Prof. Dr. Jan Lazardzig, Professor für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin, ist Vorsitzender des Lenkungskreises der Arbeitsstelle Universitätsgeschichte.

Prof. Dr. Jan Lazardzig, Professor für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin, ist Vorsitzender des Lenkungskreises der Arbeitsstelle Universitätsgeschichte.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

An der Freien Universität nimmt die neugegründete Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte ihre Arbeit auf. Dort soll die Geschichte des Campus über Fächergrenzen hinweg erforscht werden.

Festredner Prof. Dr. Miles Taylor (l.) und Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. h.c. Günter M. Ziegler.

Festredner Prof. Dr. Miles Taylor (l.) und Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. h.c. Günter M. Ziegler.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Bei der Eröffnungsfeier gab der britische Historiker Miles Taylor einen Einblick in die noch junge Disziplin der Universitätsgeschichte.

Anhand der Geschichte der Freien Universität lässt sich die Geschichte der jungen Bundesrepublik erzählen. Gegründet wurde die Hochschule im Jahr 1948, wenige Jahre nach Kriegsende, maßgeblich auf Initiative von Studierenden der Friedrich-Wilhelms-Universität Unter den Linden. Dort, in der späteren Humboldt-Universität im Ostsektor der Stadt, waren sie Repressionen durch die sowjetische Besatzungsmacht ausgesetzt.

Die Friedrich-Wilhelms-Universität, heute Humboldt-Universität zu Berlin, stand nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem politischen Einfluss der sowjetischen Besatzungsmacht.

Die Friedrich-Wilhelms-Universität, heute Humboldt-Universität zu Berlin, stand nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem politischen Einfluss der sowjetischen Besatzungsmacht.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Studierende an der im Dezember 1948 gegründeten Freien Universität Berlin vor dem ersten Gebäude der Uni, der Boltzmannstraße 3.

Studierende an der im Dezember 1948 gegründeten Freien Universität Berlin vor dem ersten Gebäude der Uni, der Boltzmannstraße 3.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Auch in den folgenden Jahrzehnten ereignen sich zahlreiche Schlüsselmomente der Nachkriegsgeschichte in Berlin-Dahlem, im Westsektor der Stadt, wo die neugegründete Universität angesiedelt wurde: Der Besuch des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy in Berlin und auch an der Freien Universität hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingeprägt. Ebenso wie die Geschichte der Studierendenproteste von 1960er-Jahre, deren zentrale Persönlichkeiten – wie etwa Benno Ohnesorg und Rudi Dutschke – Studierende der Freien Universität waren.

Lisa-Frederike Seidler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Arbeitsstelle Universitätsgeschichte.

Lisa-Frederike Seidler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Arbeitsstelle Universitätsgeschichte.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„Jenseits dieser markanten und vielzitierten Schlüsselmomente hält die Freie Universität noch unzählige, kaum beachtete und sicherlich auch noch unentdeckte Universitätsgeschichten bereit“, sagt Lisa-Frederike Seidler. „Und in den kommenden Jahren werden Forschungsarbeiten entstehen, die diese zahlreichen Geschichten systematisch und kritisch beleuchten.“ Als wissenschaftliche Mitarbeiterin koordiniert die promovierte Theaterwissenschaftlerin die neugegründete Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte der Freien Universität.

Im Zentrum der Arbeitsstelle Universitätsgeschichte steht die Erarbeitung neuer und kritischer Perspektiven auf die Geschichte der Hochschule und ihre weitläufigen Verbindungen mit der Stadtgeschichte Berlins, der deutschen Erinnerungskultur und politischen Geschichte sowie der Geschichte von Studium und Wissenschaft insgesamt. Angesiedelt ist die Arbeitsstelle am Universitätsarchiv der Freien Universität auf dem Campus Lankwitz.
Der britische Historiker Miles Taylor ist Professor am Centre for British Studies der Humboldt-Universität zu Berlin und gilt als einer der herausragenden Vertreter der Universitätsgeschichte.

Der britische Historiker Miles Taylor ist Professor am Centre for British Studies der Humboldt-Universität zu Berlin und gilt als einer der herausragenden Vertreter der Universitätsgeschichte.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Nach Jahren der Vorbereitung wurde die Arbeitsstelle am 28. Januar 2025 feierlich eröffnet. Als Gastredner sprach der britische Historiker Miles Taylor, der seit einigen Jahren eine Professur an der Humboldt-Universität innehat und als einer der herausragenden Vertreter der Universitätsgeschichte gilt. „Universitäten gehören zu den ältesten öffentlichen Institutionen unserer Zeit“, begann er seinen Vortrag im Henry-Ford-Bau. „Doch die systematische Aufarbeitung ihrer Geschichte steckt noch in den Kinderschuhen. Über Jahrhunderte haben sich Wissenschaftler kaum für den Ort interessiert, an dem sie täglich arbeiteten.“

Erst in der Nachkriegszeit, arbeitet Taylor heraus, sei das Interesse langsam gewachsen. Von den 1970er Jahren an nimmt die Entwicklung allmählich Fahrt auf. „Das Wachstum der Universitätsgeschichte als Fach fällt dabei zeitlich zusammen mit einem goldenen Zeitalter der Idee von einer freien Universität“, sagt er. „Unter dem Eindruck weltweiter Neugründungen von öffentlichen Universitäten feiert die Geschichtsschreibung anfänglich das Ideal der Universität als gesellschaftliches Gemeingut.“

Im Zentrum steht dabei das Ideal einer im wahrsten Sinne freien Universität – einer Bildungsstätte frei von autoritärer Repression, aber auch frei zugänglich, das heißt kostenfrei oder durch Stipendien finanziert. „Die zweite Welle von Universitätsgeschichten lenkt dann einen kritischeren Blick auf die Institutionen“, sagt Taylor. „Zunehmend werden etwa die Verstrickungen von Forschungseinrichtungen in koloniale Verbrechen herausgearbeitet.“

Dr. Manuela Bauche ist Leiterin des Erinnerungsortes Ihnestraße am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft und in dieser Funktion auch der Arbeitsstelle Universitätsgeschichte angegliedert.

Dr. Manuela Bauche ist Leiterin des Erinnerungsortes Ihnestraße am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft und in dieser Funktion auch der Arbeitsstelle Universitätsgeschichte angegliedert.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Auch an der Freien Universität findet diese kritische Aufarbeitung statt. Ebenfalls an der neuen Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte beteiligt ist die promovierte Historikerin Manuela Bauche. Sie leitet den im vergangenen Jahr eröffneten „Erinnerungsort Ihnestraße“. Eine Dauerstellung beleuchtet dort kritisch die Vorgeschichte des Gebäudes Ihnestraße 22, das von 1927 bis 1945 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A) beherbergte.

Wie werden die nächsten Kapitel Universitätsgeschichte aussehen? In seinem Vortrag gibt Miles Taylor zu bedenken, dass sich das goldene Zeitalter freier universitärer Bildung dem Ende zuneigen könnte. Weltweit, so zeigten Daten, sind private Institutionen auf dem Vormarsch. Bereits heute studiere einer von drei Studierenden weltweit an einer privaten Hochschule.

Und auch öffentliche Hochschulen würden zunehmend Marktmechanismen unterworfen. „Zeitgenössische Universitätsgeschichte ist geprägt von einem kritischen Blick auf die Transformation von Universitäten in bloße Wissensfabriken“, sagt Taylor. „Eine Metapher, die übrigens schon die Achtundsechziger an der Freien Universität auf Protestplakaten verwendeten.“

Arbeitsstellen-Koordinatorin Lisa-Frederike Seidler möchte die neue Einrichtung zu einem Ort ausbauen, an dem Facetten der Universität fächerübergreifend aufgearbeitet werden.

Einen kleinen Einblick, wie viel Geschichte es an der Freien Universität zu entdecken gibt, bot auf der Eröffnungsfeier Jan Lazardzig, Professor für Theaterwissenschaft an der Freien Universität und Vorsitzender des Lenkungskreises der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte. Der Hörsaal A des Henry-Ford-Baus, in dem Miles Taylor an diesem Abend sprach, berichtete der Theaterwissenschaftler, beherbergte in den Anfangsjahren der Freien Universität das Campustheater. „Fast jeden Abend fanden dort Vorstellungen statt, bis die Universitätsleitung den Studierenden während der Studierendenprostete der 1960er-Jahre die Nutzungsrechte entzog“, sagt Lazardzig. „Daraufhin gründeten die rausgeworfenen Studierenden ihr eigenes Theater – und daraus wurde die heutige Schaubühne am Lehniner Platz.“