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„Ängste ernst nehmen und Gruppen nicht mehr gegeneinander ausspielen – wir sind alle Studierende“

Ein Gespräch mit Fleur-Nicole und Julius über Debattenkultur auf dem Campus und studentisches Engagement

06.12.2024

Fleur-Nicole und Julius – zwei Studierende der Freien Universität Berlin. Zwei von mehr als 30.000 jungen Menschen, die sich eine gute Debattenkultur und ein Miteinander für den Campus wünschen und sich dafür einsetzen.

Fleur-Nicole und Julius – zwei Studierende der Freien Universität Berlin. Zwei von mehr als 30.000 jungen Menschen, die sich eine gute Debattenkultur und ein Miteinander für den Campus wünschen und sich dafür einsetzen.
Bildquelle: Simon Rienäcker

Wie wollen wir auf dem Campus miteinander umgehen, wie miteinander diskutieren? Wie uns über Fragen auseinandersetzen, die sich aus den politischen Konflikten ergeben, die weltweit ausgetragen werden. Weltweit – und ganz nah: auf unserem Campus. Das fragen sich auch viele Studierende, unter ihnen Fleur-Nicole und Julius. Ein Gespräch über Streit, Protest, über Debattenkultur und hochschulpolitisches Engagement. Die Reihe wird fortgesetzt.

Julius, 27 Jahre, hat Jura studiert, ist jetzt im Zweitstudium Koreastudien. Er engagiert sich im Akademischen Senat (AS) der Freien Universität Berlin über die Liste ONCE.
Fleur-Nicole, 25 Jahre alt, studiert im Master Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft.

Fleur-Nicole und Julius, in der Sitzung des Akademischen Senats am 20. November wurde eine sogenannte Beschlussvorlage zu „politischen Diskursen an der FU Berlin“eingereicht, an der Sie beide mitgearbeitet haben. Worum ging es dabei?

Es geht darum, welche Uni wir uns wünschen und welche Art von Debattenkultur wir erhalten wollen: Wir wollen eine Uni, an der sich alle – und hier ist egal, welcher Herkunft, Sexualität, politischer Meinung u.a. – auf dem Campus sicher fühlen können.

Wir wollen einen Campus, auf dem Meinungen auseinandergehen können, auf dem friedlich politisch debattiert werden kann, ohne dass sinnbildlich Leute mit der Axt auf einen losgehen, mit Hass und Hetze – weder verbal noch physisch. Die FU darf kein Ort sein, an dem Antisemitismus, Islamophobie, Rassismus oder eine andere Art von Hass geduldet wird.

Mit der Beschlussvorlage wollten wir auch ein Verständnis für die derzeitigen Diskussionen vermitteln: dass nämlich die große Mehrheit der Studierenden diese Diskussionen unserer Erfahrung nach privat führt, mit Freund*innen und Bekannten und nicht auf Kundgebungen.

Das ist besonders interessant, weil das ja durchaus im Kontrast zur Vergangenheit der Freien Universität steht, wenn man sich etwa die politischen Diskurse und Proteste anschaut, die auf unserem Campus 1968 oder in den 1980er Jahren geführt worden sind und stattfanden. Heute ist das anders: Die Proteste werden meist von einer kleineren, nur zweistelligen Zahl von Personen durchgeführt. Wenn diese Aktionen dann eskalieren, zum Teil gewaltsam werden, entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, dahinter stünde die Gesamtheit der Studierenden. Das ist falsch. Es sind nur Einzelne.

Wie kam es zu der Idee, damit in den Akademischen Senat zu gehen? 

Das hat mit unserem Eindruck zu tun, wie einige Gruppen bei uns an der FU ein Jahr nach dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel mit dem laufenden Krieg umgehen. Eine Atmosphäre, in der Gewalt(bereitschaft) und Angst vorherrschen, ist in keinem Fall dazu geeignet, die Diskussionen über das dortige Geschehen und unseren Umgang damit zu besprechen, zu verstehen und etwas Positives voranzubringen.

In den Sitzungen des Akademischen Senats, also dem Gremium, in dem alle Statusgruppen (Studierende, Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, Wissenschaftsunterstützende Personen, Professor*innen) vertreten sind – und wir über die Liste ONCE –, wurde schon häufiger über die Proteste auf dem Campus gesprochen.

In der Vergangenheit haben wir als Liste ONCE hin und wieder mit Statements zum Thema Nahostkonflikt auf Instagram-Posts anderer reagiert und auch zu der ein oder anderen Demo mit aufgerufen – zum Beispiel, als ein Kommilitone ins Krankenhaus geschlagen worden ist. Außerdem haben wir im Akademischen Senat die Positionen des Protestcamps Heba angehört und auch innerhalb der AS-Listen lebendig diskutiert. Auch hieraus sind einige Projektideen entstanden, die wir umsetzen wollen.

Und beim Ernst-Reuter-Tag 2023 hat Unipräsident Professor Ziegler eine gute Rede gehalten, in der er im Grunde genau das gesagt hat, was der AS nun noch einmal beschlossen hat.

Ihre Vorlage wurde im AS diskutiert, außerdem ein anderer Textvorschlag, der während der Sitzung eingereicht wurde. Dieser war dann die Grundlage für einen Text, hinter den sich der gesamte AS gestellt hat – haben Sie erwartet, dass es zu einer einstimmigen Stellungnahme des AS kommen würde? 

Wir verstehen es als das Selbstverständnis der FU, ein Ort des Zusammenkommens und friedlichen(!) Diskutierens zu sein – und das wollen wir helfen zu erhalten. Ob wir es also erwartet haben? Ja. Die große Frage ist natürlich, welche Folgen das Statement hat.

Insgesamt lässt sich der Beschluss des AS aus unserer Sicht schlicht als common sense bezeichnen. Natürlich wird es auch Personen geben, die sich an der ein oder anderen Formulierung stören. Manchen ging das Statement nicht weit genug, andere Formulierungen waren nicht inklusiv.

Uns war es aber wichtig zu zeigen: Wir hören zu und kommen ins Gespräch und nehmen die Sorgen ernst. Die Tatsache, dass sich Studierende hinter den gemeinsamen Beschluss gestellt haben, die sonst weit voneinander entfernt sind und sich in der politischen Debatte am jeweils anderen Ende verorten würden, hat uns gezeigt: Es ist möglich.

Im Übrigen stellen wir uns mit der Beschlussvorlage auf keine „politische Seite“, sondern halten Diskussionsregeln fest: Welche Rolle soll und kann bei einem so schwierigen Thema die Universität spielen? Für uns ist es primär die eines intellektuellen und friedlichen Vermittlungsraums.

Warum engagieren Sie sich überhaupt in einem Uni-Gremium?

Julius: Schon in meinem Erststudium war ich in verschiedenen Gremien und in der Jura-Fachschaftsinitiative aktiv. Der einfache Grund ist, dass ich sehe, dass man mit Ruhe, etwas junger Naivität und Freundlichkeit, der Unterstützung von Uni-Verwaltungsmitarbeitenden und indem man die Politik „nervt“, etwas erreichen kann.

Heute, Jahre später, bin ich immer noch stolz darauf, gemeinsam mit Freunden den leider kürzlich verstorbenen Prodekan des Jurafachbereichs Andreas Fijal und sein Team bei der Einführung des integrierten Bachelor of Laws in Berlin unterstützt zu haben.

Fleur-Nicole: Ich bin zwar nicht direkt in einem Uni-Gremium aktiv, habe aber durch meine unterschiedlichen Engagements an der Uni – Mentoring, SHK-Stellen und vor allem als Student-Board-und-Local-Task-Force-Mitglied bei Una Europa – in verschiedene Aspekte der Uni-Politik reinschnuppern können.

Ich engagiere mich zum einen, um die Stimme(n) von Studierenden gegenüber anderen Statusgruppen durchzubringen. Und um eine diverse Community zu schaffen, in der man verschiedene Perspektiven betrachten und durchsprechen kann.

Was bewegt Sie als Studierende im Moment (am meisten)?

Persönlich hat man ja immer andere Sorgen: Kürzungen im Haushalt des Berliner Senats und somit beim Studierendenwerk um ein Drittel, Wohnraumknappheit, Mensapreise. Luxusprobleme wie die, dass die Currywurst, die früher 2,50 Euro gekostet hat, nun teurer ist als in der Werkskantine, in der ich mal ein Praktikum gemacht habe.

Bezogen auf das Thema des AS-Beschlusses, die Debattenkultur: Dass so viele Studierende unpolitisch sind, was man auch bei der Fachschaftsarbeit merkt. Und dass es gleichzeitig eine Verrohung der Debatten und Zunahme von extremistischem Gedankengut gibt.

Und das Thema mentale Gesundheit: Wenn wir in unseren Freund*innen- und Bekanntenkreis schauen, machen wir uns Sorgen. Die support.points an den Fachbereichen der FU sind da ein guter Schritt nach vorn.

Was sind Ihre Ziele und Erwartungen fürs nächste Jahr? Wann würden Sie sagen: Jetzt oder damit haben wir ein Ziel erreicht?

Fleur-Nicole: Eines meiner Ziele für die Zukunft wären etwa Veranstaltungen des Una Europa Early Career Host mit Studierenden der FU und anderer Una-Europa-Universitäten, bei denen die Studierenden im Vordergrund stehen. Wichtig fände ich auch eine weitere Öffnung von Gesprächsrunden und Programmen, Positionen in der Forschung für Studierende. Dann sieht man, dass an anderen Universitäten, auch international, Debatten sowohl inhaltlich als auch methodisch anders geführt werden als bei uns.

Julius: Das Ziel, das wir mit dem AS-Beschluss verbinden, heißt: Ängste ernstzunehmen und vor allem Gruppen nicht mehr gegeneinander auszuspielen: Wir sind alle Studierende. Zusammen mit den anderen Mitarbeitenden der Universität, egal ob Professor*innen, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen oder wissenschaftlich unterstützende Mitarbeiter*innen, sollten wir einander zuhören und für eine friedliche Uni eintreten.

Die Fragen stellte Christine Boldt

Weitere Informationen

Haben Sie Anregungen? Ideen für Initiativen? Die Liste ONCE erreichen Sie über Instagram und per Mail: julius.gast@fu-berlin.de