Das Ende von Babel?
Wie können wir uns weltweit verständigen – auf Englisch, Esperanto oder mit maschineller Übersetzung? Darüber diskutierte eine vom Interdisziplinären Zentrum Europäische Sprachen und dem Dahlem Humanities Center organisierte Podiumsrunde
12.12.2019
Mehr als 6000 Sprachen gibt es auf der Welt. Gleichzeitig macht die Globalisierung es immer wichtiger, sich verständigen zu können. Wie das möglich ist, war Thema einer Podiumsdiskussion an der Freien Universität mit dem Titel „Das Ende von Babel?“. Organisiert vom Interdisziplinären Zentrum Europäische Sprachen und dem Dahlem Humanities Center, bildete sie den Semesterauftakt für den Studiengang Sprache und Gesellschaft und wurde von den Sprachwissenschaftsprofessoren Horst Simon und Matthias Hüning moderiert.
Der wohl mutigste Versuch, eine gemeinsame Sprache für alle zu schaffen, ist die Plansprache Esperanto. Sie wurde Ende des 19. Jahrhunderts erfunden und sollte möglichst einfach zu erlernen sein. Eines Tages, so die Vision, würde sie die weltweite Verkehrssprache werden. Durchgesetzt hat sich stattdessen aber Englisch. So nützlich eine solche von vielen gesprochene Sprache auch sei – der Status des Englischen habe auch Nachteile, sagte die Anglistin Barbara Seidlhofer von der Universität Wien. Sie forderte ein Umdenken: „Wir haben in unseren Köpfen ein Bild von Sprache, die an einen bestimmten Ort, zu bestimmten Leuten gehört.“
Wem gehört eine Sprache?
Sie selbst habe Englisch studiert, weil sie sich in die Sprache verliebt habe. „Ich wollte immer klingen wie eine Engländerin.“ Auch heute noch mache es sie stolz, wenn sie für eine Muttersprachlerin gehalten werde. Das sei aber genau das, was sie in ihrer Forschung problematisiere: Das Englisch Englands sollte von der Weltverkehrssprache, der lingua franca, unterschieden werden. Besonders wichtig sei das für den Schulunterricht: Schon die Unterteilung in Mutter- und Fremdsprachen vermittle das Gefühl, dass man einer Sprachgemeinschaft nur dann wirklich angehöre, wenn man in sie hineingeboren worden sei. Schülerinnen und Schüler sollten aber nicht ein Englisch lernen, das anderen gehört, sondern eines, das sie sich selbst aneignen könnten, argumentierte Barbara Seidlhofer.
Gerade in diesem Punkt zeigten sich die Vorzüge von Esperanto, sagte Federico Gobbo, Professor für Interlinguistik und Esperanto an der Universität von Amsterdam: „Muttersprachler haben in Esperanto keine besondere Autorität.“ Entsprechend gering sei die Diskriminierung derjenigen, die die Sprache nicht perfekt sprechen. „Man fühlt sich frei, weil es keinen ethnischen oder historischen Bezugspunkt gibt, an den man sich anpassen muss.“ Gleichzeitig sei die Sprache in der Hand ihrer Sprecherinnen und Sprecher. Es gebe zwar die Akademio de Esperanto, die Grenzen aufstelle, in denen sich die Sprache entwickeln könne. „Was aber wirklich zählt, ist die lebendige Sprechergemeinschaft.“
Esperanto hat noch Zukunft
Die Vision sei noch nicht gestorben: Mit 132 Jahren sei Esperanto im Vergleich zum jahrhundertealten Englisch noch jung. Sollten sich eines Tages die Vereinigten Staaten von Europa bilden, könnte sich Esperanto durchaus durchsetzen, glaubt Federico Gobbo: Ähnlich wie in Israel, wo das künstlich modernisierte Hebräisch als Alltagssprache etabliert wurde.
„Es gibt eine wirklich universelle Sprache: die der Mathematik“, sagte Josef van Genabith. Der Professor für übersetzungsorientierte Sprachtechnologien von der Universität des Saarlandes war Experte für eine – nach Englisch und Esperanto – dritte Möglichkeit der weltweiten Verständigung: Immer zuverlässiger könnten maschinelle Übersetzungsprogramme zwischen verschiedenen Sprachen vermitteln.
Dabei sind die die modernen Methoden, mit denen diese Programme entwickelt werden, Fluch und Segen zugleich: Programme würden mit großen zweisprachigen Textcorpora „gefüttert“ und nutzten künstliche neuronale Netzwerke, um die menschengemachten Übersetzungen nachzuahmen. Dabei würden aber auch Stereotype mitgelernt – das zeige sich etwa, wenn Programme das geschlechtsneutrale Wort „nurse“ mit „Krankenschwester“ übersetzten, obwohl auch Krankenpfleger gemeint sein können.
„Wir übersetzen nicht nur Worte, sondern ganze Kulturen“, sagte Josef van Genabith. Für das Verständnis eines Textes sei implizites Hintergrundwissen notwendig. Wenn auf Deutsch von Angela Merkel die Rede sei, stehe im Englischen oft der erklärende Zusatz „German Chancellor“. Selbst das könnten Übersetzungsprogramme mittlerweile leisten, sagte der Technologieexperte. „Texte enthalten einen Fingerabdruck der Kultur, der viele Informationen enthält.“
Übersetzer werden noch gebraucht
Die Möglichkeiten maschineller Übersetzung seien also sehr groß. Die Programme veränderten auch die Arbeit von Übersetzern: Schon heute sei es Standard, nicht von Grund auf zu übersetzen, sondern eine maschinell erstellte „Rohübersetzung“ zu korrigieren und zertifizieren. Mache die Automatisierung den Berufszweig also obsolet? Nein, meinte Josef van Genabith: „Computer sind seit 50 Jahren besser als wir in Arithmetik, aber das bedeutet nicht, dass ihr keine Mathematik mehr studieren solltet“, sagte er an die Studierenden gewandt. „Wir brauchen weiterhin menschliche Übersetzer, sogar richtig viele.“