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Seiner Universität ein Leben lang verbunden

Zum Tod von Professor Karol Kubicki, Gründungsstudent der Freien Universität Berlin und ihre „Matrikelnummer 1“

22.10.2019

Karol Kubicki mit seiner Frau Petra vor der Boltzmannstraße 3, dem ersten Hörsaalgebäude der Freien Universität. Das Bild wurde im April 2016 aufgenommen.

Karol Kubicki mit seiner Frau Petra vor der Boltzmannstraße 3, dem ersten Hörsaalgebäude der Freien Universität. Das Bild wurde im April 2016 aufgenommen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Stanislaw Karol Kubicki, die Matrikelnummer 1 der Freien Universität Berlin, ist im Alter von 93 Jahren gestorben. Als einer ihrer Väter blieb er der Freien Universität bis zum Ende seines langen und erfolgreichen Lebens ganz eng verbunden. Vor dem legendären Münzwurf, der darüber entschied, ob er oder sein Kommilitone Helmut Coper sich als erster Student an der in Dahlem neugegründeten Universität einschreiben durfte, hatte der damals 22-Jährige bereits schmerzliche Erfahrungen mit zwei totalitären Systemen hinter sich.

Karol Kubicki erblickte 1926 als Sohn des expressionistischen Maler-Ehepaares Margarete Kubicka und Stanislaw Kubicki das Licht der Welt. Seine Mutter engagierte sich zum Ende des Ersten Weltkriegs im Spartakusbund und später in linken Künstlerkreisen; sein Vater gehörte zum Umfeld der Berliner Dadaisten. Er verfasste außerdem in deutscher und polnischer Sprache avantgardistische Gedichte. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte Stanislaw Kubicki nach Polen, blieb aber als Verbindungsmann zu Widerstandskreisen in Deutschland aktiv und kämpfte nach dem Einmarsch der Wehrmacht bis zu seiner Verhaftung 1941 im polnischen Untergrund. Das genaue Datum seiner Ermordung durch die Gestapo ist nicht bekannt. Die Familie erfährt 1942 vom Tod des Vaters und Ehemanns.

Zu diesem Zeitpunkt gehörte sein Sohn Karol in Berlin einer Schüler-Widerstandsgruppe am Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium in Neukölln an. Dort legte er 1944 das Abitur ab. Es folgten der Arbeitsdienst und die Aufnahme eines Medizinstudiums, das er nach einem Trimester abbrechen musste, weil er in die Wehrmacht eingezogen wurde. Von Februar bis August 1945 befand sich Karol Kubicki in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, aus der er entlassen wurde, weil sein Widerstand gegen die Nationalsozialisten erwiesen war. Als „Opfer des Faschismus“ (OdF) erhielt er 1946 die Zulassung für ein Medizinstudium an der Berliner Universität Unter den Linden, wo er die „Vereinigung antifaschistischer Studenten“ mitbegründete.

Nach dem Entzug der Studienerlaubnis für seine Freunde Otto Stolz, Otto H. Hess und Joachim Schwarz im April 1948 schrieb Kubicki in der Studentenzeitschrift „colloquium“ einen Artikel gegen die Sowjetisierung der Berliner Universität und gegen die Denunziation Andersdenkender. Mit vielen anderen Studentinnen und Studenten forderte er im Hotel Esplanade am Potsdamer Platz die Gründung einer freien Universität.

Über diese Zeit – den Plan einer Universitätsgründung während der Blockade Berlins – schrieb Karol Kubicki im vergangenen Jahr anlässlich des 70. Jahrestags der Gründung der Freien Universität:

„Für uns Studenten, darunter viele Juden, die während der NS-Zeit nicht hatten studieren dürfen, war der Naziterror gerade vorbei, als an der Linden-Universität der Terror aufs Neue begann – aber nun auf links gestrickt. Die Lage war dermaßen verdreht, dass es gar nicht so widersinnig erschien, in dieser Zeit auch noch eine Universität zu gründen. Und war nicht der Plan der Amerikaner, die mehr als zwei Millionen Menschen in den drei Westsektoren über eine Luftbrücke zu ernähren, noch um einiges verrückter? Als sich die Amerikaner für unseren Plan einer Universitätsgründung einsetzten, galt für uns das Problem schon als halb gelöst: Über ein Scheitern haben wir uns keine Gedanken gemacht.“

Im Dezember 1948 ging der Traum in Erfüllung: Die Freie Universität wurde gegründet. Karol Kubicki gehörte ihrem ersten AStA an. In den ersten Monaten des improvisierten Unibetriebs übernahmen Studentinnen und Studenten eine Reihe von Rollen. In einem Interview erinnert sich Karol Kubicki:

„Für Verwaltungsaufgaben war zunächst kein Geld da. In den ersten Wochen, so will ich mal bescheiden sagen, haben spontan wir Studenten die Rollen ausgeführt, bis überhaupt Geld da war, um jemanden zu bezahlen und bis die Institutionen da waren, die regelmäßig die nötigen Finanzmittel bekamen. Wir mussten Fragebogen ausgeben, wir mussten die Leute ‚durchblicken‘; prüfen ob sie ‚braun‘ waren – also, wenn sie zu braun waren, war für die Betroffenen ein Studium nicht drin.“

Von 1948 bis 1951 studierte Kubicki neben Medizin auch Kunstgeschichte und klassische Archäologie. Nach der Approbation im Jahr 1953 begann er eine Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Neurologie sowie zusätzlich als Anästhesist in der Neurochirurgie. Kubicki promovierte 1955 über den Wert der Elektroenzephalographie bei Hirntumoren; er habilitierte sich 1967 mit der Schrift „Die elektroenzephalographischen Erscheinungen im Verlauf akuter Schlafmittelvergiftungen“ und wurde 1969 an „seiner“ Freien Universität zum Professor ernannt. Am Klinikum Westend leitete er von 1975 bis zu seiner Emeritierung 1991 die Abteilung für Klinische Neurophysiologie als deren Geschäftsführender Direktor.

Den sozialistischen Schwärmereien der Studentenbewegung von 1968 widersprach Kubicki aus eigener Lebenserfahrung. Er gehörte 1969 zu den Mitbegründern der „Notgemeinschaft für eine freie Universität“ und 1970 des „Bundes Freiheit der Wissenschaft“. Von 1971 bis 1973 saß Karol Kubicki für die Gruppe der Professoren im Akademischen Senat und im Konzil der Freien Universität.

Neben medizinischen Publikationen in deutsch-, englisch- und französischsprachigen Zeitschriften veröffentlichte Kubicki zahlreiche Beiträge zur Geschichte der Freien Universität Berlin und zur Kunstwissenschaft. Auf Kubickis Initiative hin gründete der Westberliner Senator für Wissenschaft und Kunst Adolf Arndt den ersten Berliner Kunstverein, die „Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Kunstverein Berlin“. Dessen Vorstand gehörte Kubicki bis 1968 an, von 1969 bis 1974 war er dann Vorstandsmitglied im „Neuen Berliner Kunstverein“ (NBK), der sich von der ebenfalls 1969 gegründeten linksorientierten und basisdemokratischen Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) abgrenzte. Daneben pflegte er das malerische Werk seiner Eltern und organisierte Ausstellungen.

1990 riefen mehrere „48er“-Gründungsstudenten und ehemalige „68er“ auf Initiative des damaligen Leiters des Außenamtes der Freien Universität, Horst Hartwich, einen Diskussionskreis über die Geschichte der Freien Universität ins Leben, der im Archiv der früheren Außerparlamentarischen Opposition, kurz APO, in der Malteserstraße in Lankwitz tagte und deswegen den Namen „Malteser Kreis“ trug. Zum 50. Jubiläum „ihrer“ Universität organisierte Karol Kubicki gemeinsam mit dem Archivar und Universitätshistoriker Siegward Lönnendonker eine Vorlesung über die einzigartige politische Geschichte der Freien Universität. Kubicki gab außerdem mit Siegward Lönnendonker die Schriftenreihe „Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte der Freien Universität Berlin“ heraus, von der unter seiner Mitwirkung sieben Bände erschienen sind.

Nach der erstmaligen Auszeichnung der Freien Universität im bundesdeutschen Exzellenz-Wettbewerb 2007 begründeten die Herausgeber der Schriftenreihe diesen Erfolg so: „Nur die Weiterführung der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität im Humboldt`schen Geiste der Freiheit von Lehre und Forschung konnte die Fortführung der wissenschaftlichen Tradition mit ihren Spitzenleistungen garantieren.“

Anlässlich des 70. Jubiläums der Freien Universität sagte der 92-Jährige in der ihm eigenen Art – verschmitzt und mit einem gewissen Understatement – über „seine“ Hochschule: „Ich finde sie ganz in Ordnung, sie hat sich prima entwickelt, wir können stolz auf sie sein.“

Die Freie Universität Berlin ist auch das Lebenswerk von Karol Kubicki. Er war ihr erster akademischer Bürger und lebte ihre Grundsätze veritas, justitia, libertas – Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit – im wahrsten Sinne der Worte. Uns allen, die mit ihm persönlich in Verbindung standen, bleibt er als ein in der Sache meinungsstarker Diskussionspartner und persönlich ebenso liebenswürdiger wie humorvoller Freund in Erinnerung.


Weitere Informationen

Sehen Sie hier einen Ausschnitt aus einem Zeitzeugeninterview mit Professor Karol Kubicki. Das Interview ist geführt worden im Rahmen des Projekts „Erlebte Geschichte – 70 Jahre Freie Universität Berlin“.