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Die deutsche Einheit als Beispiel für Korea?

Lothar de Maizière, letzter Ministerpräsident der DDR, sprach im Rahmen der Kim Dae Jung Lecture an der Freien Universität

09.10.2019

Derzeit sieht Lothar de Maizière keine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Wiedervereinigung Koreas – allerdings sei auch im Falle Deutschlands die Einigung überraschend gekommen. Deshalb sei Deutschland bestes Beispiel, die Hoffnung nicht aufzugeben.

Derzeit sieht Lothar de Maizière keine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Wiedervereinigung Koreas – allerdings sei auch im Falle Deutschlands die Einigung überraschend gekommen. Deshalb sei Deutschland bestes Beispiel, die Hoffnung nicht aufzugeben.
Bildquelle: Peter Schraeder

An einen Satz Margaret Thatchers vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten erinnert sich Lothar de Maizière noch gut: Zwei Mal habe man die Deutschen besiegt, und jetzt steckten sie schon wieder den Kopf heraus – das seien damals die Worte der britischen Premierministerin gewesen. „Man muss das verstehen, sie gehörte zur Kriegsgeneration“, sagt Lothar de Maizière. Der erste und letzte demokratisch gewählte Ministerpräsident der DDR war vom Institut für Koreastudien der Freien Universität eingeladen worden, die zum zweiten Mal stattfindende Kim Dae Jung Lecture zu halten.

Um seine Nachbarn zu beruhigen, hatte Deutschland im Zwei-plus-vier-Vertrag einen vollständigen Verzicht auf Gebietsansprüche an andere Staaten und auf atomare, biologische und chemische Kampfstoffe erklärt. Außerdem wurde die Armee auf maximal 370.000 Personen begrenzt. Die Lektion, die Nord- und Südkorea im Falle einer Wiedervereinigung daraus ziehen könnten, lautet de Maizière zufolge: Seinen Nachbarn Japan, China und Russland müssten die beiden koreanischen Staaten signalisieren, dass man den Frieden wahren wolle.

Der Erste und Letzte seines Amtes

Lothar de Maizière war 1990 einen Sommer lang der erste und gleichzeitig letzte Ministerpräsident der DDR. Als deren Vertreter hatte er an den Verhandlungen mit der Bundesrepublik, den USA, der Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich teilgenommen und schließlich den Zwei-plus-vier-Vertrag unterzeichnet, der die Souveränität des vereinten Deutschlands begründete. „Der Vertrag wurde in das Weltdokumentenerbe der UNESCO aufgenommen“, sagte de Maizière an der Freien Universität nicht ohne Stolz. Die Erfahrung, die er durch sein Amt in der beispiellosen historischen Situation der Vereinigung der beiden deutschen Staaten gewann, bringt der CDU-Politiker schon seit einigen Jahren in bilateralen Gesprächen zwischen Deutschland und Südkorea ein. Er ist Mitglied eines deutsch-koreanischen Konsultationsgremiums, dem auch die Leiterin des Instituts für Koreastudien der Freien Universität Berlin, Professorin Eun-Jeung Lee angehört.

Die im vergangenen Jahr eingerichtete Vorlesungsreihe wird vom Institut für Koreastudien der Freien Universität in Kooperation mit der Kim Dae Jung Presidential Library & Museum der Yonsei University Seoul ausgerichtet. Benannt ist sie nach dem Friedensnobelpreisträger und ehemaligen Präsidenten Südkoreas Kim Dae Jung (1925–2009), der sich während seiner Amtszeit für die friedliche Annäherung der beiden koreanischen Staaten einsetzte und 2007 von der Freien Universität mit dem Freiheitspreis ausgezeichnet wurde. „Kim Dae Jung hat tiefen Eindruck auf mich gemacht“, sagte Lothar de Maizière und stellte den ehemaligen Präsidenten in eine Reihe mit Persönlichkeiten wie Nelson Mandela und Willy Brandt.

Die Kim Dae Jung Lecture wurde im vergangenen Jahr eingerichtet.

Die Kim Dae Jung Lecture wurde im vergangenen Jahr eingerichtet.
Bildquelle: Peter Schraeder

In diesem Jahr nahmen auch die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des deutsch-koreanischen Forums und Junior Forums an der Kim Dae Jung Lecture teil. Das 2002 eingerichtete deutsch-koreanische Forum soll den Austausch zwischen Deutschland und Südkorea fördern. Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur beider Länder sprechen über aktuelle politische, wirtschaftliche und kulturelle Probleme der beiden Länder. Das Institut für Koreastudien der Freien Universität Berlin ist Co-Organisator des Junior Forums.

Ökonomische Hindernisse auf dem Weg zur deutschen Einheit

Die deutsche Einheit besteht inzwischen seit 29 Jahren. Dass sie verwirklicht werden würde, war kurz nach dem Mauerfall keineswegs gewiss. Brenzlig sei es geworden, als die Sowjetunion 1990 kurz vor der Staatsinsolvenz gestanden habe, sagte de Maizière. Hätte die sowjetische Regierung beim Internationalen Währungsfonds um Kredite bitten müssen, wäre das das Ende der Präsidentschaft von Gorbatschow und vielleicht auch das vorzeitige Ende der Sowjetunion gewesen. Mit ihren zahlreichen Nachfolgestaaten verhandeln zu müssen, wäre ungleich schwieriger gewesen, sagte der ehemalige Ministerpräsident der DDR. Daher hatte die Bundesrepublik der Sowjetunion einen Kredit über fünf Milliarden D-Mark gewährt. „Die deutsche Verhandlungsseite hatte den Eindruck, alles muss ganz schnell gehen, sonst wäre die Chance für die Wiedervereinigung vorbei“, erinnert sich der CDU-Politiker.

Auch die Einführung der D-Mark in Ostdeutschland, die Währungsunion, sollte nach Auffassung von Bundeskanzler Helmut Kohl in aller Eile geschehen, um der Abwanderungsbewegung vor allem junger Menschen von Ost nach West etwas entgegenzusetzen. Lothar de Maizière sei damals Kohls Meinung gewesen: Dass man den Menschen etwas habe geben müssen, um ihnen Hoffnung zu machen – selbst, wenn das bedeutet habe, dass die DDR „über Nacht an den harten westeuropäischen Markt angekoppelt“ worden sei.

Wiedervereinigung Koreas ungewiss

Diese besondere historische Situation sei natürlich nicht einfach übertragbar, sagte de Maizière. Kurzzeitig habe er Hoffnung in Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un gesetzt, schließlich sei dieser in der Schweiz zur Schule gegangen und habe dort „demokratische Luft“ geschnuppert. Diese Hoffnung sei durch die permanenten Provokationen des Diktators gegenüber dem Westen aber enttäuscht worden. In Deutschland hingegen sei der entscheidende Anstoß für Veränderung damals von den Menschen im Osten ausgegangen. Auch habe es mit der evangelischen Kirche einen Schutzraum gegeben, für den es in Nordkorea nichts Vergleichbares gebe. Derzeit sieht Lothar de Maizière keine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Wiedervereinigung Koreas – allerdings sei auch im Falle Deutschlands die Einigung überraschend gekommen. Gerade deshalb sei Deutschland also das beste Beispiel, die Hoffnung nicht aufzugeben.