Springe direkt zu Inhalt

Shakespeare lebt!

Anglistikprofessorin Elisabeth Bronfen zeigte Shakespeares Spuren in der amerikanischen Westernserie „Deadwood“ auf

29.08.2019

Eine Fachgröße der Kunst-, Film- und Kulturwissenschaften: Elisabeth Bronfen vor der Rostlaube.

Eine Fachgröße der Kunst-, Film- und Kulturwissenschaften: Elisabeth Bronfen vor der Rostlaube.
Bildquelle: Sören Maahs

Mehr als 400 Jahre liegen zwischen den Stücken des englischen Dramatikers und der US-amerikanischen Fernsehserie – was die in beiden Fällen verhandelten Themen angeht, seien sich die Werke jedoch sehr nah, sagt Elisabeth Bronfen. Die Professorin für Anglistik in Zürich und an der New York University war im Juli auf Einladung des Peter-Szondi-Instituts für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin nach Dahlem gekommen.

„Kaum jemand hat so konsequent Literatur-, Bild- und Filmwissenschaft zusammengebracht wie Elisabeth Bronfen“, sagte Professor Georg Witte in seiner Einführung. Bekannt geworden war die Wissenschaftlerin Anfang der neunziger Jahre mit ihrer Habilitation „Nur über ihre Leiche“. Elisabeth Bronfen gehört zu den renommiertesten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Gender Studies, hat Bücher wie „Liebestod und Femme fatale“ veröffentlicht, und widmet sich seit jüngerer Zeit auch der Ästhetik der Serie.

Das Thema der Serialität stand auch im Zentrum ihres Vortrags, in dem es um das Nachleben Shakespeares in der amerikanischen Westernserie Deadwood ging. Nach beispielhaften, enorm verdichteten Nacherzählungen von Episoden aus „König Lear“, „Viel Lärm um Nichts“ und „Maß für Maß“ zeigte Bronfen eine Reihe von Parallelen auf zwischen Shakespeare und dem in den Black Hills von South Dakota gelegenen Goldgräbernest Deadwood in David Milchs gleichnamiger Westernserie. In einer vergleichenden Lektüre spürte die Wissenschaftlerin intertextuelle Bezugnahmen auf Shakespeare auf und arbeitete implizite Verbindungslinien heraus, etwa eine ähnliche Dramaturgie, die Shakespeare und Deadwood trotz medialer Differenz eint.

Bei „König Lear“ zum Bespiel gehe es um den Untergang einer Welt, in der ein feudaler Herrscher seine Länder an zwei Töchter abzugeben bereit ist, nicht aber als Vater abdanken will. „King Lear läutet somit eine Zeit des Interregnums ein, an dessen Ende ein neuer Souverän herrschen wird“, so Elisabeth Bronfen weiter. „Im Kontext des brutalen Bürgerkriegs, den er durch die Teilung seines Reichs auslöst, setzt eine Gesetzlosigkeit ein, in der erstaunliche Bündnisse eingegangen und wieder gebrochen werden, in der jeder gegen jeden seine Macht ausspielt, in der die Kontingenz des tragischen Endes zur Notwendigkeit wird, obgleich sie hätte abgewendet werden können.“

Im historischen Schwellenstatus

Auch in der Serie Deadwood findet eine Art Interregnum statt: Die Handlung erstreckt sich von Mitte 1876 − sechs Monate nach der Gründung Deadwoods − bis zur Annektion des sich langsam dem Gesetz beugenden Ortes durch das Dakota Territory im Jahr 1877. Dieser Zeitraum rahme einen zivilisatorischen Zwischenzustand, ein Nicht-mehr und Noch-nicht, erläutert Elisabeth Bronfen: Deadwood ist kein Camp mehr, aber auch noch längst keine Stadt; kein wildes Niemandsland, aber genauso wenig Teil eines Territoriums; es markiert nicht mehr den Verlauf der „frontier“ und steht dennoch für einen historischen Raum, in dem die Weichen des Möglichen noch gestellt werden müssen.

Nicht nur im historischen Schwellenstatus flackere Shakespeare in Deadwood auf, sondern auch im von Shakespeare entlehnten „eigenwilligen Genreverständnis“, so Bronfen: Die Gattungsgrenzen zwischen Komödie und Tragödie sind fließend. Beides findet sich in Shakespeare und Deadwood nicht in Form von Gegensätzen, sondern als ineinander diffundierte Mischkategorien. „Komödienhafte Elemente schreiben sich in den tragischen Trieb nach Neubeginn ein, und die Rückkehr zur gewöhnlichen Machtverteilung der Komödie hat tragische Züge“, sagt die Wissenschaftlerin. Oder wie es der sterbende Chesterton in Folge 32 formuliert: „Same damn thing – comedy and tragedy“. Im Maskenspiel des Theaters erweisen sich Komödie und Tragödie als das Gleiche.

Thematisch unterscheide sich Deadwood in vielen Punkten kaum von Shakespeares Geschichtsstücken oder Komödien, befand Elisabeth Bronfen. In beiden Fällen gehe es um Hierarchie- und Machtstrukturen, die Entstehung von Korruption auf geschäftlicher und politischer Ebene, um Geschlechterrollen und um die Vorstellung der Welt als Theaterinszenierung, in dem den Spielern bestimmte Rollen zugewiesen werden.

Shakespeare als Setzkasten

Und nicht nur thematisch, auch sprachlich gebe es viele Gemeinsamkeiten. Im Gegensatz zum lakonischen Westerner, der nur das Allernötigste von sich gibt, sind die Bewohner Deadwoods äußerst beredt. Ständig vereinen sich in ihrer Sprache die verschlungenen Sätze einer an Shakeaspeares Theater gemahnenden, ausladenden Formulierungskunst mit den ungehobeltsten Flüchen, die die englische Sprache hergibt. Nie wurde im Wilden Westen − ob im realen oder im fiktiven − so gesprochen.

Was nun, fragte Elisabeth Bronfen, sucht Shakespeare in einer Westernserie? „Deadwood lässt sich als vom Geist Shakespeares durchdrungenes Kammerstück lesen“, sagte sie. Am augenfälligsten werde die Verbindung, wenn Al Swearengen, der weite Teile des Orts kontrolliert und den Gem-Saloon betreibt, ab der zweiten Staffel damit beginnt – wie Hamlet mit dem Schädel des Yorick – ebenfalls mit dem Schädel eines Ureinwohners zu sprechen. Nach einem Videoausschnitt, in dem Swearengen zum Schädel über die Fragilität seiner Macht sinniert, sagte Bronfen: „Das ist nicht Shakespeare, aber es hört sich an wie Shakespeare, und er trägt es vor, als ob es Shakespeare wäre, also wird es zu Shakespeare.“

Auf den Punkt gebracht: „Deadwood zerstückelt verschiedene Shakespeare-Dramen und setzt sie im seriellen Fernsehdrama wieder zusammen. In den parallel verlaufenden Einzelgeschichten tauchen Figuren auf und verschwinden wieder. Es wird ein Perspektivensprung vorgeführt, der diese einzelnen Vignetten wie die Shakespeare-Anspielungen und oder Anleihen zu einer Erzählkette zusammenfügt, ohne dass sie ganz in dieser aufgehen“, resümierte Bronfen.

An den Vortrag schloss sich das Sommerfest des Instituts für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften an. Bei Flammkuchen und Bier konnten sich die Gäste über das gerade Gehörte austauschen. Schließlich wollen die verwickelten Figurenkonstellationen aus Goneril, Regan, Lucio, Benedick und Beatrice sowie E. B. Farnum, Cy Tolliver, Calamity Jane und Trixie erst einmal auseinander gedröselt sein.