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„Die Neuen Rechten sind nur ein paar Mausklicks entfernt“

Johannes von Moltke, Professor an der University of Michigan und Präsident der German Studies Association (GSA), sprach am John-F.-Kennedy-Institut über die Meme-Kultur der amerikanischen „Alt-Right" als „ernsthafte Bedrohung der Demokratie"

24.07.2019

Memes werden auch zu politischen Zwecken eingesetzt: Die mit einem ironischen oder polemischen Kurztext versehenen Bilder oder Videos werden rasch über die sozialen Netzwerke verbreitet.

Memes werden auch zu politischen Zwecken eingesetzt: Die mit einem ironischen oder polemischen Kurztext versehenen Bilder oder Videos werden rasch über die sozialen Netzwerke verbreitet.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Vor knapp 20 Jahren sei er selbst Stipendiat des „Berlin Program for Advanced German and European Studies“ gewesen, sagte Johannes von Moltke in der Einleitung zu den diesjährigen Stipendiatinnen und Stipendiaten des Programms im Publikum. „Ich bin also gespannt, worüber Sie in 20 Jahren als Professorinnen und Professoren hier sprechen werden.“ Mit seinem Thema, kündigte er an, wolle er eine ernsthafte Bedrohung der Demokratie beschreiben. „The Meme is the Message“, betitelte er den Vortrag, in dem er analysierte, wie die US-amerikanische „Alt-Right“-Bewegung (Kurzform für „alternative right“, eine Selbstbezeichnung der extremen rechten Gruppierungen in den USA und europäischen extremen Rechten) und die Neuen Rechten in Europa Memes nutzen, um ihre rechte Ideologie im Internet zu verbreiten.

Memes, eine „flexible Einheit, Versatzstücke im Internet, die wiederkehren“, erläutert Johannes von Moltke, sind beschriftete Bilder, Gifs, aber auch YouTube-Videos. Die Nachricht von Memes ergebe sich aus der Text-Bild-Kombination, oft sei Ironie im Spiel. „Die buchstäbliche Aussage ist so gehalten, dass sie juristisch nicht belangt werden kann.“ Die Brisanz der Nachricht ergebe sich erst durch die Kombination von Text und Bild. Der Satz „It’s ok to be white“, ein in Memes häufig verwendetes Zitat der Alt-Right, erscheine zunächst unverfänglich, wie eine Beschwichtigung für ein Kind. „Tatsächlich handelt es aber um ein scharf rassistisches Meme, hinter dem eine ganze Ideologie von weißer Vorherrschaft steht.“

Johannes von Moltke war selbst einmal Stipendiat des „Berlin Program for Advanced German and European Studies". Nun hielt er, inzwischen Professor an der University of Michigan, einen Vortrag im Rahmen des Berlin Programs.

Johannes von Moltke war selbst einmal Stipendiat des „Berlin Program for Advanced German and European Studies". Nun hielt er, inzwischen Professor an der University of Michigan, einen Vortrag im Rahmen des Berlin Programs.
Bildquelle: Anne-Sophie Schmidt

„Die Alt-Right sind buchstäblich nur ein paar Mausklicks entfernt“, sagte von Moltke, und spielte auf ihre Präsenz in den sozialen Medien an, auf Twitter und YouTube sowie den amerikanischen Plattformen 4chan und Reddit. In Form von Memes würden sie rassistische, sexistische und antisemitische Verschwörungstheorien verbreiten. Das verdeutlichte er am Beispiel des Schlagworts „Cultural Marxism“ (kultureller Marxismus).

In Deutschland weniger geläufig, sei der Begriff des „Cultural Marxism“ in den USA unter Rechten weit verbreitet. Es habe sich eine ganze Netz-Kultur um das Schlagwort gebildet, die Elemente und historische Bilder der Frankfurter Schule um Theodor W. Adorno und Max Horkheimer aufgreife. Horkheimer leitete das Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main und wurde, wie auch Adorno, durch die Bedrohung der Nationalsozialisten gezwungen, ins Exil zu fliehen. In New York baute er das „Institute for Social Research“ neu auf und arbeitete mit Adorno unter anderem an einer Studie über Autoritarismus. Die von ihnen wesentlich geprägte Kritische Theorie wurde von Hegel, Marx und Freud inspiriert.

Das Prinzip „Konzeptentführung“

Der „Cultural Marxism“ nun, so von Moltke, „vermischt diese Elemente mit haarsträubenden Interpretationen und unverblümten Erfindungen, um sich ein Bild des Untergangs der westlichen Zivilisation zurechtzulegen.“ Was machen Bilder von Adorno und Horkheimer auf Twitter und YouTube?, fragte sich von Moltke, als er erstmals auf diese Versatzstücke stieß. „Wie wurde deren Kritische Theorie für eine Verschwörungstheorie der Alt-Right im Netz aufgegriffen? Und was erzählt uns diese falsche Vermengung über die Alt Right in den sozialen Netzwerken allgemeiner?“

Die zugrundeliegende Behauptung des „Cultural Marxism“: Jüdische Intellektuelle hätten aus Verachtung gegenüber Europa und dem Christentum die Frankfurter Schule mit der Absicht gegründet, die „westliche Kultur“ zu zerstören und eine marxistische Revolution den Weg zu bereiten. Diese Behauptung werde mithilfe von Diagrammen und Bildern verbreitet, die Konzepte der „Rassen“-, Gender- und Sprachpolitik, des Anti-Intellektualismus, Antisemitismus und Autoritarismus der Alt-Right transportieren. „In diesem Sinne ist das Meme die Botschaft, und Form sticht Inhalt. Das Meme nimmt eine grundsätzlich kritische Haltung ein: Die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen.“ Die Vorstellung eines „kulturellen Marxismus“ zirkuliere global und transnational. Es gebe Internetseiten und Online-Identitäten, die sich nur um diese Ideologie drehen. Auf der rechten Nachrichten- und Meinungsseite breitbart.com, habe der Begriff sogar einen eigenen Tag.

Eine zentrale rhetorische Strategie der Alt-Right wie auch der Neuen Rechten in Europa sei eine „Konzeptentführung“, wie von Moltke sie nennt. Sie würden Begriffe übernehmen, die gemeinhin mit einem links-liberalen Diskurs assoziiert seien. In den USA hätten die Verfechter einer „weißen Vorherrschaft“ die Sprache und Strategie von Bürgerrechtsbewegungen „entführt“, indem sie beispielsweise die Hashtags „White Power“ und „All Lives Matter“ verwendeten. Mit diesen Begriffen nehmen sie Bezug auf politische Slogans wie „Black Power“, mit denen in den 1960er Jahren Afroamerikaner in den USA eine Gegenbewegung zum gesellschaftlichen Rassismus schaffen wollten, oder der „Black Lives Matter“-Bewegung, die sich 2013 in Reaktion auf Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA formierte.

Auch die „Identitäre Bewegung“ in Deutschland und Europa, eine aktionistische Gruppierung innerhalb der Neuen Rechten von überwiegend jungen Menschen, mache sich die Sprache linker Gruppierungen zu eigen, beispielsweise Götz Kubitschek, der Anfang der 2000er Jahre aus dem linken Begriff der „subversiven Aktion“ aus den 1960er Jahren eine „Konservative Subversive Aktion“ gemacht habe. Oder die AfD, die mit einer „Willkommenskultur für deutsche Kinder“ geworben habe – und damit den Begriff „Willkommenskultur“ aus dem Kontext der Flüchtlingspolitik seit dem Jahr 2015 für ihre Zwecke verwenden.

„Durch diese Art der Kommunikation werden rechtspopulistische Inhalte durch vermeintlich faktische, historische und objektive Bilder kommuniziert“, sagt Johannes von Moltke. Sie diene als Eingangstor zur Ideologie der Alt-Right und der Neuen Rechten. „Eine Kritik ihrer Memes entlarvt die Politik dieser rechtsextremen Bewegung, besonders ihre antisemitischen, rassistischen und sexistischen Haltungen.“

Vorschlag: ironisch zurücktwittern

Es würden für die sozialen Medien neue Strategien benötigt, um der extremen Rechten zu begegnen, schloss Johannes von Moltke. Möglicherweise sei es die richtige Strategie, ihr ebenfalls mit Ironie gegenüberzutreten: „Schließlich gibt es immer die Möglichkeit zurückzutweeten“. Eric Jarosinski, ein von Adorno inspirierter Twitterer und selbsternannter „gescheiterter Intellektueller“, habe das Thema des Abends folgendermaßen kommentiert: „ALT+RIGHT+DELETE“. „Vielleicht“, sagte Johannes von Moltke, „ist das ein Weg, um das Internet zurückzuerobern.“