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KI – das unbekannte Wesen

Verantwortliche Redakteure der Zeitschriftengruppe Nature Research kamen am 19. März an der Freien Universität zu einem Netzwerktreffen zusammen – an den Podiumsdiskussionen nahmen auch Wissenschaftler der Freien Universität Berlin teil

09.04.2019

Künstliche Intelligenz (KI) gilt gegenwärtig als eines der vielversprechendsten Forschungsfelder der Zukunft. Sie soll uns beispielsweise beim Autofahren oder im Haushalt unterstützen und könnte der Wissenschaft dabei helfen, in neue Wissensgebiete vorzudringen. Doch auf viele Fragen zu den Möglichkeiten, aber auch zu drohenden Gefahren gibt es bislang keine abschließenden Antworten. Und auf die Frage, was KI eigentlich ist, hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedliche Antworten.

Was genau lässt sich unter künstlicher Intelligenz eigentlich verstehen?

Dagmar Monett, Professorin für Informatik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin und Teilnehmerin der Podiumsdiskussion zum Thema KI, hat versucht, die Frage zu klären. Sie habe Philosophen, Forscherinnen und Entwickler befragt – und mehr als 400 neue Definitionen bekommen. „Die Entwicklung ist so rasant, dass man Künstliche Intelligenz jedes Jahr, jeden Monat neu definieren könnte“, sagte Monett. Weitere Teilnehmer der Runde waren die Informatikprofessoren Christoph Benzmüller und Raúl Rojas, beide von der Freien Universität, sowie Oliver Brock von der Technischen Universität Berlin. Grußworte kamen von Günter Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin und Stefan von Holtzbrinck, Geschäftsführer der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck und Vorsitzender des Aufsichtsrates bei Springer Nature.

Das Netzwerktreffen der Zeitschrift Nature Research fand erstmals an der Freien Universität Berlin statt.

Das Netzwerktreffen der Zeitschrift Nature Research fand erstmals an der Freien Universität Berlin statt.
Bildquelle: Springer Nature / Nilda Oklay

Nature ist das weltweit meistzitierte wissenschaftliche Journal und kann auf eine 150-jährige Geschichte zurückblicken. Damals beschäftigte sich vor allem die Literatur mit künstlich erschaffenem Leben – wie im Fall des unheilvollen Frankenstein-Mythos. Doch seit der Erfindung von Computer und Mikrochip hat sich die künstliche Intelligenz langsam in unserem Alltag etabliert – zum Beispiel im Fall von Text- oder Gesichtserkennung und selbstfahrenden Fahrzeugen. Dennoch ist man nach Ansicht von Oliver Brock noch weit davon entfernt, überhaupt zu verstehen, was KI sei. „Wir haben in den vergangenen Jahren oft danebengelegen“, sagte er. 2011 etwa habe der Supercomputer Watson die erfolgreichsten Teilnehmer der US-Quizshow Jeopardy besiegt – die KI-Forschung habe das allerdings nicht wesentlich vorangebracht. „Stellen Sie sich vor, Physiker könnten sich nicht darauf einigen, was Gravitation ist – das wäre lächerlich“, sagte Brock.

Raúl Rojas sieht das Problem eher bei den bisherigen Fähigkeiten der KI, denn Computer könnten heute zwar Spezialprobleme lösen und würden im Strategiespiel Go brillieren oder klassische Musik erkennen. Doch sie beherrschen nur ihr jeweiliges Spezialgebiet und können diese Fähigkeit nicht für andere Bereiche einsetzen. Christoph Benzmüller definierte die Künstliche Intelligenz anhand einer fünfstufigen Entwicklungsskala. Der finale Schritt sei demnach die tatsächliche Interaktion von Maschinen mit dem Menschen – davon ist die Entwicklung Benzmüller zufolge noch weit entfernt.

Auch Monett hielt es für möglich, sich auf eine Definition zu einigen. Zunächst sei es jedoch erforderlich, den Begriff „Intelligenz“ zu bestimmen. Im Moment gebe es zwei große Strömungen: Die einen hielten es für nötig, menschliche und maschinelle Intelligenz voneinander zu trennen, die anderen – vornehmlich Philosophen – glaubten, eine einzige Definition reiche aus. Eine Einigung sei hier noch nicht in Sicht.

Schneller als die Politik erlaubt

Rojas verdeutlichte die enorme Geschwindigkeit, mit der selbstlernende Maschinen entwickelt werden: Die Entwicklung des Autos von seinen Anfängen bis zum technologischen Stand von heute habe Jahrzehnte gebraucht. Heute würden Fortschritte in Zehn- oder Fünfjahresschritten gemacht. Die Menschheit komme da kaum hinterher. KI-Entwicklung werde von großen Technologie-Konzernen betrieben, die in erster Linie ein kommerzielles Interesse hätten und hierbei wenige Skrupel hätten, an Daten von Nutzerinnen und Nutzern heranzukommen, beispielsweise Google und Amazon.

Christoph Benzmüller wies darauf hin, dass die Politik zunächst ethische Richtlinien festlegen müsse, nach denen KI entwickelt und eingesetzt werden solle. Das sei im Fall von autonomen Kriegsmaschinen oder selbstfahrenden Autos außerordentlich wichtig. Auch Brock sagte, die Regierungen dürften der KI-Entwicklung nicht hinterherlaufen. Er warf die Frage auf, welche Rechte man einer möglichen neuen Spezies, die etwa aus humanoiden Robotern bestehen könnte, geben solle, wenn diese vielleicht sogar mit Menschen konkurriere. Menschrechte? Benzmüller und Monett waren sich einig, dass der Mensch im Zentrum ethischer Überlegungen stehen müsse. Die Forschung, so Monett, habe die Aufgabe, die Öffentlichkeit über Chancen und Risiken der KI aufzuklären. „Bisher wird die Vorstellung der Menschen von künstlicher Intelligenz zu sehr von Hollywood bestimmt“, sagte sie. Anhand dieser Utopien oder auch Schreckensvisionen könne die Politik aber keine Entscheidungen treffen.

Doch an welcher Ethik soll sich die KI orientieren? Rojas zählte drei Optionen auf: die aristotelischen Tugenden, die Prinzipienethik nach Kant und die Nützlichkeitsethik nach John Stuart Mill, nach der das allgemeine Glück der größten Anzahl von Menschen das oberste Richtmaß menschlichen Handelns ist. Unklar sei allerdings, ob Ethik überhaupt in programmierte Codes übersetzt werden könne. Aus dem Publikum kamen Rückfragen mit dem Tenor: Wenn wir es nicht einmal schaffen, den Klimawandel zu stoppen und die Situation von Flüchtlingen zu verbessern, stelle sich die Frage, wie nützlich die derzeit gesetzten ethischen Leitplanken seien. Müssten für die KI nicht neue entwickelt werden? Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer räumten ein, darauf keine abschließende Antwort zu haben. Oliver Brock drückte es salomonisch aus: „Ethische Richtlinien wachsen mit der Gesellschaft.“

Beim zweiten Diskussionsthema des Abends ging es um Open Science und die Frage, wie Forschungsliteratur online zugänglich gemacht werden kann und dennoch wirtschaftlich bleibt. Auf dem Podium saß auch Dirk Ostwald, Juniorprofessor am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität.