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„Mehr Gretel wagen“ als Antwort auf „Hans-Bremse“

Über das Verbundprojekt „DiGiTal – Digitalisierung: Gestaltung und Transformation“ soll langfristig der Anteil von Professorinnen in der inter- und transdisziplinären Digitalisierungsforschung erhöht werden

07.03.2019

Informatikprofessorin Claudia Müller-Birn von der Freien Universität Berlin: Ein „einzigartiges Programm" sei DiGiTal in der Berliner Hochschullandschaft, sagte sie in ihrer Festrede.

Informatikprofessorin Claudia Müller-Birn von der Freien Universität Berlin: Ein „einzigartiges Programm" sei DiGiTal in der Berliner Hochschullandschaft, sagte sie in ihrer Festrede.
Bildquelle: Felix Noak

„Wir sollten mehr Gretel wagen!“, sagte Juliane Siegeris, Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Technik Berlin, in ihrer Begrüßung bei der Festveranstaltung zu „DiGiTal“ im Einstein Center for Digital Future. „Gretel wagen“ ist ihre Antwort auf die sogenannte Hans-Bremse – eine Bezeichnung dafür, dass Frauen in leitenden Positionen in Politik, Wirtschaft und Forschung nach wie vor unterrepräsentiert sind.

Juliane Siegeris plädierte dafür, „mehr Gretel" zu wagen.

Juliane Siegeris plädierte dafür, „mehr Gretel" zu wagen.
Bildquelle: Felix Noak

Der Name bezieht sich auf die Tatsache, dass es in der in diesem Jahr 70-jährigen Geschichte der Bundesrepublik mehr Staatssekretäre mit dem Namen Hans gegeben hat als Frauen. Dieses Ungleichgewicht auszubalancieren und gleichzeitig die Forschung zu Digitalisierung voranzutreiben, hat sich „DiGiTal“ zum Ziel gesetzt. Das Programm für Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen der Berliner Hochschulen wurde an diesem Abend im Rahmen einer Festveranstaltung vorgestellt.

„DiGiTal – Digitalisierung: Gestaltung und Transformation“ ist das gemeinsame Angebot von 13 Berliner Hochschulen zur Förderung von Frauen in der Digitalisierungsforschung. Seit Anfang vergangenen Jahres forschen 13 Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen in der Predoc- und Postdoc-Phase zu aktuellen Fragen von Digitalisierung. Sie sollen so zur Entwicklung Berlins als „Digitalisierungshauptstadt“ beitragen, wie Barbara König, Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, in ihrem Grußwort sagte. Darüber hinaus zielt das Programm darauf ab, exzellenten weiblichen Nachwuchs zu gewinnen und Frauen auf dem Weg zur Professur zu unterstützen.

Am Beispiel von Wikipedia

„Ein einzigartiges Programm“ sei DiGiTal in der Berliner Hochschullandschaft, sagte in ihrer Festrede Claudia Müller-Birn, Professorin am Institut für Informatik der Freien Universität. Am Beispiel von Wikipedia veranschaulichte sie die Chancen und Herausforderungen, die der digitale Wandel mit sich bringe. Seit 2004 sei die Enzyklopädie extrem gewachsen. Die Anzahl der Autorinnen und Autoren sei exponentiell gestiegen, tausende Änderungen mussten geprüft werden, was manuell nicht mehr zu bewältigen gewesen sei. Also habe die Wikipedia-Community eine algorithmische Qualitätskontrolle entwickelt, die mithilfe von Bots automatisiert wurde.

Mit der zunehmenden Anzahl von Texten hätten die Bots auch immer mehr Regeln entwickelt, sodass es für die Wikipedianer zunehmend schwierig gewesen sei, diese zu verwalten. Die Automatisierung habe am Ende dazu geführt, dass mehr Erstbeiträge abgelehnt worden seien, wodurch sich Autorinnen und Autoren zurückgezogen hätten. Die Automatisierung habe sich verselbstständigt und zu einem unerwünschten Ergebnis geführt.

Zwar würden Studierende in technologischen Studiengängen gleich im ersten Semester lernen, dass Algorithmen wertneutral und nur verantwortlich für eine funktionierende Technologie seien. Das Beispiel von Wikipedia aber zeige, dass es auch Probleme in algorithmischen Systemen gebe, dass wichtige Fragen nicht geklärt seien. „Ein Algorithmus kann gar nicht neutral sein, denn es sind Informatikerinnen und Informatiker, die ihn gestalten“, sagte Claudia Müller-Birn. Es brauche nicht nur technologisches Wissen, um über die digitale Zukunft nachzudenken, sondern auch Künstlerinnen und Gestalter. „Hinterfragen Sie!“, rief Müller-Birn am Ende ihres Vortrags die Teilnehmerinnen des Programms auf.

Marcela Suárez Estrada (5. von rechts, stehend im beigen Jacket) beschäftigt sich mit digitaler Gewalt.

Marcela Suárez Estrada (5. von rechts, stehend im beigen Jacket) beschäftigt sich mit digitaler Gewalt.

Marcela Suárez Estrada

Dass diese das bereits in ihren Projekten tun, zeigt das Beispiel von Marcela Suárez Estrada. In ihrem Forschungsvorhaben beschäftigt sie sich mit digitaler Gewalt gegen Frauen und damit, wie sich feministische Kollektive mithilfe von digitalen Strategien dagegen wehren. Die Digitalisierung mache Körper unsichtbar – tatsächlich säßen aber hinter den Computern Menschen: „Der digitale Raum ist nur eine Erweiterung des sozialen Raums, und in beiden Räumen gibt es Machtverhältnisse“, sagt die Politologin.

Klare Rechtslage und Werkzeug

Jeder Fall von Gewalt habe eine Fortsetzung in der digitalen Welt. Digitale Gewalt finde beispielsweise dann statt, erläutert Marcela Suárez Estrada, wenn sich ein Paar gemeinsam für Sexting entscheidet – sich also sexuell explizite Bilder, Videos oder Nachrichten über digitale Kanäle schickt. Wenn der Mann oder auch die Frau später intime Bilder im Internet ohne Erlaubnis der anderen Person verschicke, wenn diese Bilder in einem pornografischen Kontext verwendet würden, dann handele es sich um digitale Gewalt.

„Die Lösung darauf kann nicht sein, auf persönliche Vorlieben zu verzichten“, sagt Suárez Estrada. Es brauche zum einen eine klare Rechtslage, zum anderen eine Art Werkzeugkiste gegen digitale Gewalt. An diesem Punkt setzen die feministischen Kollektive an, die Suárez Estrada untersucht: Hackerinnen-Clubs beispielsweise bringen Frauen Verschlüsselungstechniken bei, damit sie digitaler Gewalt etwas entgegensetzen könnten.

„Menschen brauchen Wissen, um sich digital selbstbehaupten zu können“, sagte Barbara Schäuble. Die Professorin für Diversitätsbewusste Ansätze in Theorie und Praxis Sozialer Arbeit an der Alice Salomon Hochschule nahm an der Podiumsdiskussion teil, die die Festveranstaltung im Einstein Center abrundete. Sigrid Schmitz, Gastprofessorin für Gen-der & Science an der Humboldt-Universität, stimmte zu: Die Trennung zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz sei irreführend: „In jeder Technik stecken starke Entscheidungen von Menschen.“