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„Umhüllt vom Nichts“

Der Schriftsteller Andreas Maier hielt die vierte Siegfried Unseld Vorlesung an der Freien Universität Berlin

27.12.2018

Plädoyer fürs autobiografische Schreiben: Andreas Maier am 28. November 2018 an der Freien Universität Berlin.

Plädoyer fürs autobiografische Schreiben: Andreas Maier am 28. November 2018 an der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Michael Fahrig

Mit „Ortsumgehung“, der Überschrift seines Vortrags im Rahmen der Siegfried Unseld Vorlesung Ende November an der Freien Universität Berlin, griff Andreas Maier den Arbeitstitel seines auf elf Teile angelegten Romanprojektes auf. Mit „Die Universität“ ist zuletzt der sechste Teil des Projekts erschienen, mit dem der Schriftsteller eine autobiografisch grundierte Heimat- und Selbsterkundung in Hessen unternimmt. Die Siegfried Unseld Vorlesung ist eine gemeinsame Veranstaltung des Dahlem Humanities Center (DHC) der Freien Universität Berlin und des Suhrkamp Verlags.

(v. l. n. r.) Suhrkamp-Verleger Dr. Jonathan Landgrebe, Prof. Dr. Paul Nolte, DHC, Andreas Maier, Prof. Dr. Anita Traninger, DHC, Vizepräsident Prof. Dr. Klaus Mühlhahn.

(v. l. n. r.) Suhrkamp-Verleger Dr. Jonathan Landgrebe, Prof. Dr. Paul Nolte, DHC, Andreas Maier, Prof. Dr. Anita Traninger, DHC, Vizepräsident Prof. Dr. Klaus Mühlhahn.
Bildquelle: Michael Fahrig

Als Junge in seiner hessischen Heimatstadt, so erzählte es Andreas Maier, sei er immer wieder an einer Buchhandlung vorbeigeschlendert, in deren Auslage sich die Bücher von Martin Walser türmten. Bewundernd betrachtet habe er die Werke des Suhrkamp-Autors. Durch das Schaufenster sei eine scheinbar unüberbrückbare Distanz zwischen ihm und den Büchertürmen entstanden – und zugleich der große Wunsch, selbst einmal Suhrkamp-Autor zu werden. Fast 30 Jahre nach den Kindheits- und Jugenderlebnissen sprach Andreas Maier in einem gut besetzten Vorlesungssaal der Freien Universität: als Schriftsteller, dessen Bücher im Suhrkamp Verlag erscheinen.

Zuvor hatte ihn die stellvertretende Sprecherin des Dahlem Humanities Center Professorin Anita Traninger begrüßt und seine sprachpoetische Leistungen hervorgehoben; Vizepräsident Klaus Mühlhahn hatte den Autor als einen der wichtigsten deutschen Schriftsteller des 21. Jahrhunderts gewürdigt.

Nach langem Weg am Ziel

In seiner Vorlesung zeichnete Maier nach, welche Bedeutung für ihn der Suhrkamp Verlag gespielt habe – und noch immer spiele –, wie wichtig für ihn das erste Treffen mit dessen damaligem Verleger Siegfried Unseld gewesen sei, und wie er, Andreas Maier, zum literarischen Schreiben kam.

Schon als Jugendlicher hatte der am 1. September 1967 in Bad Nauheim geborene Maier angefangen, literarische Texte zu verfassen. Doch alles, was er zustande gebracht habe, habe ihm missfallen, erzählte er. Damals habe er seine missratenen Versuche als geniales Scheitern interpretiert: „Tatsächlich war es reine Unfähigkeit“, räumt er heute ein. Er habe versucht, die großen Klassiker zu kopieren, habe Thomas Mann und Marcel Proust gelesen, doch mit nichts Eigenem sei er zufrieden gewesen. „Alles erschöpfte sich im Öden und Allgemeinen.“

Erst, als er mit 17 einen Sonnenuntergang gesehen habe, habe er begriffen, wie und worüber er schreiben wollte: „Da stellte sich mir eine ganz konkrete Frage: Was soll ich mit diesem Sonnenuntergang machen? Soll ich ihn etwa essen?“ Er habe begonnen, über solche abstrakten Augenblicke nachzudenken und sie schließlich in Worte zu fassen – und zwar vor allem in Verbindung zu seinem Selbst, mit Gedanken, die sich mit einem Gefühl der Leerheit gepaart hätten, einem Gefühl des Nichts: „Das ‚Ich‘ wird umhüllt von den Buchstaben „n“ und „ts“, also umhüllt vom Nichts.“

Der Suhrkamp Verlag war Andreas Maiers Sehnsuchtsort als Autor.

Der Suhrkamp Verlag war Andreas Maiers Sehnsuchtsort als Autor.
Bildquelle: Michael Fahrig

Im Jahr 2000 hatte Andreas Maier sein Ziel erreicht: Er wurde Suhrkamp-Autor. Er beschrieb, wie er 1999 Siegfried Unseld kennenlernte und in den Autorenkreis des Verlags aufgenommen wurde – „ein erhabenes Gefühl“. Damals sei ihm auch klar geworden, dass er autobiografische Romane schreiben wolle, nicht mehr vordergründig fiktionale. „Ich habe bis 2009 vier fiktionale Romane geschrieben. Trotzdem wurde ich immer gefragt: ‚Ist das autobiografisch?‘“ In seinen späteren, dezidiert autobiografischen Büchern wiederum, den letzten sechs über sein Erwachsenwerden in der hessischen Provinz, habe er Erlebtes und Beobachtetes in literarische Sprache überführt. Dabei habe sich das autobiografische Schreiben für ihn als die bessere Erzählform herausgestellt. Während des Schreibens frage er sich immer wieder: „Was ist literaturfähig, und was ist literaturwürdig?“

Besonders interessierten ihn Details: „Leute wie ich haben kein Interesse an der Lebensgeschichte, am großen Ganzen“, sagte Andreas Maier „Wir haben Interesse an der Frage, wie wir über uns erzählen können jenseits von Wahrheitsgesichtspunkten.“ Diese Tendenz der autobiografischen Brechung sei in der Gegenwartsliteratur grundsätzlich zu beobachten: die Tendenz, das Schreiben subjektiv zu entfiktionalisieren. Dabei bestand Maier darauf, dass er keiner Mode folge und noch vor Karl Ove Knausgård, dem norwegischen Verfasser des Romanzyklus „Min Kamp“, autobiografische Formeln verwendet habe.

Woher der Trend zum autobiografischen Schreiben komme? Maier vertrat die Ansicht, dass viele konventionelle Erzählformen mittlerweile verbraucht seien und sich abgenutzt hätten: „Autobiografisches Schreiben ist heute der größere Hort von Literaturmöglichkeit. Alles andere wirkt so, als hätte man es schon x-mal gelesen, gehört oder gesehen.“