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Der Campus: ein politischer Ort?

Am 6. November diskutierten Jay Wallace, Philosophie-Professor an der University of California, Berkeley, und Professor Paul Nolte, Historiker an der Freien Universität, über Meinungs- und Redefreiheit an Universitäten in den USA und Deutschland

15.11.2018

Die Podiumsdiskussion fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Veritas, Iustitia, Libertas“ anlässlich des 70. Jubiläums der Freien Universität Berlin statt.

Die Podiumsdiskussion fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Veritas, Iustitia, Libertas“ anlässlich des 70. Jubiläums der Freien Universität Berlin statt.
Bildquelle: Falling Walls Foundation 

Dahlem und Berkeley. Für beide Universitäten ist das Recht auf freie Rede in besonderer Weise mit ihrer Geschichte verbunden. Während in Berlin 1948 der Auslöser für die Gründung der Freien Universität die Verfolgung systemkritischer Studierender an der damaligen Universität Unter den Linden im sowjetischen Sektor des geteilten Berlins gewesen war, verwies Jay Wallace auf Berkeley als Ort, an dem in den 1960er Jahren die sogenannte Free Speech Movement ihren Anfang nahm.

Damals protestierten Studierende erfolgreich dagegen, politische Rede vom Campus der Universität zu verbannen. An der Freien Universität nahmen Studierende diesen Impuls im Sommersemester 1965 auf, im Protest gegen ein Auftrittsverbot für den kritischen Journalisten Erich Kuby.

Der Moralphilosoph Dr. R. Jay Wallace forscht und lehrt an der University of California, Berkeley.

Der Moralphilosoph Dr. R. Jay Wallace forscht und lehrt an der University of California, Berkeley.
Bildquelle: Falling Walls Foundation 

In Berkeley ging es um die Grundsatzfrage, ob der Campus ein politischer Ort ist, an dem sich Studierende als Bürgerinnen und Bürger – geschützt durch den ersten Zusatzartikel der Verfassung, der eine uneingeschränkte Redefreiheit garantiert – politisch äußern können.

Wallace machte an einem aktuellen Beispiel deutlich, vor welchem Dilemma staatlich finanzierte US-amerikanische Universitäten in politisch polarisierten Zeiten stehen: Der rechte Blogger und ehemalige Breitbart-Redakteur Milo Yiannopoulos wurde 2017 von einer studentischen Organisation eingeladen, auf dem Campus zu sprechen.

Obwohl abzusehen war, dass es Protest gegen einen Mann geben würde, der zuvor annähernd jede Minderheit in den Vereinigten Staaten öffentlich diffamiert hatte, war die Universität verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der am Ende zwanzigminütige Auftritt ohne Zwischenfälle stattfinden konnte. Für die Universität bedeutete das Kosten in Höhe von rund 700.000 Euro.

Wallace führte das als Beispiel dafür an, wie politische Kampagnen gezielt auf den Campus getragen würden. Nach Yiannopoulos‘ Auftritt setzte die Universität eine Kommission ein, die Empfehlungen für den zukünftigen Umgang mit sogenannter Hate Speech auf dem Campus formulieren sollte.

Von links nach rechts: Prof. Dr. Paul Nolte (Freie Universität Berlin), Prof. Dr. Jessica Gienow-Hecht (Freie Universität Berlin), die die Diskussion moderierte, und Prof. Dr. R. Jay Wallace (University of California, Berkeley)

Von links nach rechts: Prof. Dr. Paul Nolte (Freie Universität Berlin), Prof. Dr. Jessica Gienow-Hecht (Freie Universität Berlin), die die Diskussion moderierte, und Prof. Dr. R. Jay Wallace (University of California, Berkeley)
Bildquelle: Falling Walls Foundation 

Paul Nolte betonte deutsch-amerikanische Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug auf das Thema „Free Speech“ im Laufe der vergangenen 50 Jahre. In den 1960er Jahren habe es eine „transatlantische Parallelität“ gegeben. Eine linke studentische Bewegung in Europa und auch in den USA rebellierte damals nicht nur gegen den Vietnamkrieg, Kolonialismus und Rassismus, sondern machte sich auch für radikale Veränderungen an den Universitäten stark.

Nolte zufolge ist von dieser Parallelität nicht mehr viel übrig. Zwar könne man in der historischen Entwicklung immer noch das Muster erkennen, dass Amerika als Pionier voranschreitet und Europa zeitversetzt folgt, gegenwärtig sei aber in Deutschland der politische Diskurs auf dem Campus weniger ausgeprägt als in den USA. Nolte nannte den deutschen Campus einen „entpolitisierten Ort“, einen „Reinraum“ und bezog sich darauf, dass die wettbewerbsgetriebenen Universitäten vornehmlich Orte des Lehrens und Lernens seien und Politisches eher an anderen Orten verhandelt werde - ganz im Unterschied zu den USA.

Gegen Ende der vom Dahlem Humanities Center und dem Center for International Cooperation organisierten Veranstaltung kamen auch Studentinnen und Studenten zu Wort – sie formulierten auch Widerspruch. Ein Student meinte, dass seine Wahrnehmung über die heutigen Studierenden eine andere sei, „entpolitisiert“ als Beschreibung seiner Generation nicht zutreffe.

Noltes Ruf nach einem aktiveren und auch politischeren Campusleben erntete unter den Zuhörerinnen und Zuhörern Zustimmung. „Wir brauchen uns nicht zu fürchten“, sagte der Historiker. Furcht vor dem immer wieder neuen Ausloten der Grenzen von Meinungsfreiheit und Freiheit der Wissenschaft auch auf dem Campus – so ein Fazit der Veranstaltung – sollte man deshalb nicht haben.