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Gerechtigkeit zum Anfassen

Dokumentation „Zeugen gegen Assad“ in der ARD-Mediathek / Die Preview und eine anschließende Diskussion fanden in der vergangenen Woche am Fachbereich Rechtswissenschaft statt

09.04.2018

Im Anschluss an die Preview des SWR-Films „Zeugen gegen Assad“ diskutierten der syrische Anwalt Anwar al-Bunni (li.) und Khaled, ein Zeuge für die Strafanzeige beim Generalbundesanwalt.

Im Anschluss an die Preview des SWR-Films „Zeugen gegen Assad“ diskutierten der syrische Anwalt Anwar al-Bunni (li.) und Khaled, ein Zeuge für die Strafanzeige beim Generalbundesanwalt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Noch war vorlesungsfreie Zeit: Die Hörsäle waren am vergangenen Donnerstag leer, die Bibliotheken gut besucht. Um 10.30 Uhr füllte sich dennoch der Hörsaal II im Gebäude der Rechtwissenschaft. Dort begrüßte die Völkerrechtsprofessorin Heike Krieger Studierende und Gäste: nicht zu einer Vorlesung, sondern zu einer Filmpremiere. Sie habe auf Anhieb zugesagt, als vom Südwestrundfunk die Anfrage gekommen sei, die ARD-Dokumentation „Zeugen gegen Assad“ auf dem Campus zu zeigen und danach darüber zu diskutieren, sagt Heike Krieger.

In ihrem Film dokumentiert die SWR-Redakteurin Tina Fuchs, wie die syrischen Anwälte Anwar al-Bunni und Mazen Darwish versuchen, in Deutschland einen Haftbefehl gegen Verantwortliche für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien zu erwirken. Theoretisch wäre für solche Fälle der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zuständig. Aber Syrien hat das entsprechende Statut nicht ratifiziert, und im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen blockierten Russland und China die Einsetzung eines Tribunals. Deshalb nutzen Anwar al-Bunni und Mazen Darwish das sogenannte Weltrechtsprinzip, das es erlaubt, im Ausland Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden.

Die Opfer nie aus den Augen verlieren

Für Heike Krieger ist die Filmpremiere im Hörsaal zwar ungewöhnlich, aber thematisch höchst passend zum Lehr- und Forschungsprofil des Fachbereichs: Am internationalen Graduiertenkolleg Human Rights under Pressure – Ethics, Law and Politics oder in der Kolleg-Forschergruppe The International Rule of Law – Rise or Decline? werde schließlich zu solchen Themen geforscht. Heike Krieger hat Studierende, Kolleginnen und Kollegen eingeladen, auch über Facebook und Twitter hat sich der Termin herumgesprochen. „Heute treffen wissenschaftliche Debatte und praktisches Bemühen aufeinander“, sagte die Professorin in ihrer Einführung. „Und wir werden daran erinnert, das Leid der Opfer nie aus den Augen zu verlieren.“

Der Film wurde im Hörsaal des Fachbereichs Rechtswissenschaft vorab gezeigt. Darin kam auch Khaleds Frau Abeer zu Wort.

Der Film wurde im Hörsaal des Fachbereichs Rechtswissenschaft vorab gezeigt. Darin kam auch Khaleds Frau Abeer zu Wort.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Khaled und Abeer sind Zeugen gegen Assad. Anlässlich der Preview ist das syrische Ehepaar in den Dahlemer Hörsaal gekommen. Im Film berichten sie davon, wie sie 2011 in Damaskus für Demokratie demonstriert haben, festgenommen und wochenlang in den berüchtigten Gefängnissen des syrischen Militärgeheimdienstes gefoltert worden sind. Heute lebt das Paar in Deutschland. Als Khaled über soziale Medien erfahren hatte, dass der Anwalt Anwar al-Bunni Zeugen für eine Strafanzeige beim Generalbundesanwalt suchte, hatte er sich sofort gemeldet.

Aufarbeitung, damit Gewalt nicht eskaliert

Zeugenaussagen zu sammeln und Fotos, die die Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, sind derzeit der einzige Weg zur Aufklärung, weil die Verbrechen von den syrischen Stellen konsequent geleugnet werden. Die Identität der Zeugen, die etwa in Deutschland aussagen, muss häufig im Verborgenen bleiben, denn viele haben Angst, mit ihrer Aussage Familienangehörige in Syrien zu gefährden. Auch die Anwälte Anwar al-Bunni und Mazen Darwish wurden in Gefängnissen des Geheimdienstes gefoltert. Seit ihrer Flucht nach Deutschland setzen sie sich unermüdlich dafür ein, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Der Tag, an dem sie selbst bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe als Zeugen aussagen durften, sei einer der wichtigsten ihres Lebens gewesen, sagen die beiden.

Auch in Frankreich und Norwegen laufen bereits Strafanzeigen gegen den syrischen Machthaber Assad und hochrangige Geheimdienstvertreter, in Schweden und Österreich bestehen ebenfalls gute Voraussetzungen für ein Verfahren nach dem Weltrechtsprinzip. So kann die juristische Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen beginnen, noch während die Täter an der Macht sind.

Für die syrischen Anwälte steht fest, dass es nur so Frieden geben kann: Denn wenn die Opfer das Gefühl hätten, dass die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen würden, eskaliere die Gewalt immer weiter, sagt Anwar al-Bunni. Sobald wie möglich müsse die juristische Aufarbeitung aber auch in Syrien selbst stattfinden, damit die Menschen dort Gerechtigkeit erleben und „greifen“ könnten.

Als Anwar al-Bunni und der Zeuge Khaled nach der Filmvorführung das Podium betreten, erhalten sie lange Beifall. Die Emotionen, die die Dokumentation ausgelöst hat, sind dem Publikum deutlich anzumerken. Heike Krieger eröffnet das Gespräch und stellt eine Frage, die wohl alle beschäftigt: Was lässt sich durch ein Verfahren nach dem Weltrechtsprinzip tatsächlich erreichen? „Mit einem Haftbefehl würden wir deutlich machen, dass Deutschland kein sicherer Hafen für die Täter von Menschenrechtsverbrechen ist“, sagt Heike Krieger. Auch wenn dieser Fall eher theoretisch sei, erhalte das Verfahren nach dem Weltrechtsprinzip eine Botschaft: „Wir wollen der ganzen Welt zeigen, dass solche Taten nicht ungestraft bleiben. Auch deswegen ist Gerechtigkeit für Syrien so wichtig“, sagt Anwar al-Bunni. Diese Botschaft habe umso mehr Gewicht, je mehr Länder sich anschlössen. Unabhängig davon sei es wichtig, schon jetzt Beweismaterial zu sammeln und zu sichern, das später für ein internationales Strafrechtsverfahren verwendet werden könne.

„The big question“

Auch eine andere Grundsatzfrage – „the big question“ – kommt zur Sprache: Soll man Gerechtigkeit vertagen, bis es Frieden gibt? Bei den Genfer Verhandlungen vertritt der Sondergesandte der Vereinten Nationen für Syrien, Staffan de Mistura, die Ansicht, dass frühzeitige Initiativen dem Friedensprozess schadeten. Diese Haltung kennt Anwar al-Bunni. Vor fünf Jahren sei sie für ihn noch akzeptabel gewesen. Heute, nach unzähligen gescheiterten Vermittlungsversuchen, sei sie es nicht mehr. „Die Assad-Regierung hat den politischen Prozess bisher nicht akzeptiert, spielt Katz und Maus mit den Vermittlern, Folter und Exekutionen gehen unvermindert weiter, und die Täter fühlen sich sicher.“ Auch Khaled hat das Vertrauen in Verhandlungen verloren. Aus seiner Sicht hat das internationale System im Fall Syrien so gründlich versagt, dass es sich künftig grundlegend ändern müsse. „Wir brauchen Aktionen“, sagt er. „Deutschland gibt uns die Chance, etwas zu tun.“

Khaled und Anwar al-Bunni haben den Film am vergangenen Donnerstag zum ersten Mal gesehen. Khaled ist aufgewühlt, die Erlebnisse aus der Vergangenheit kommen wieder hoch. Bei Anwar al-Bunni überwiegt die Freude: Die Filmemacherin Tina Fuchs habe hart gearbeitet und die richtigen Bilder und Worte gefunden, sagt er. Er dankt ihr und umarmt sie herzlich. Tina Fuchs ist glücklich und bewegt: „Das war der wichtigste Film, den ich je gemacht habe“, sagt sie. Auch die Studierenden gehen sichtlich beeindruckt aus dem Hörsaal. Wer sich mit Recht und Gerechtigkeit beschäftigt, hat an diesem Aprilvormittag viel Stoff zum Nachdenken mitgenommen.

Weitere Informationen

Der Film wird heute, am 9. April 2018, um 22.45 Uhr in der Reihe Die Story im Ersten in der ARD gezeigt und ist anschließend über mehrere Wochen in der ARD-Mediathek verfügbar.

Im Vorfeld der Preview sprach campus.leben mit der SWR-Filmemacherin Tina Fuchs. Lesen Sie hier das Interview.