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Gibt es Frieden ohne Gerechtigkeit?

5. April, 10.30 Uhr: Preview der ARD-Dokumentation „Zeugen gegen Assad“ und Diskussion mit syrischen Menschenrechtsanwälten an der Freien Universität / Campus.leben im Gespräch mit der SWR-Filmemacherin Tina Fuchs

26.03.2018

Die beiden syrischen Anwälte Anwar al-Bunni und Mazen Darwish bei einem Arbeitstreffen zur Vorbereitung der Strafanzeige.

Die beiden syrischen Anwälte Anwar al-Bunni und Mazen Darwish bei einem Arbeitstreffen zur Vorbereitung der Strafanzeige.
Bildquelle: SWR

Seit mehr als sieben Jahren ist Syrien ein zerrissenes Land, in dem Gewalt an der Tagesordnung ist. Zwei syrische Anwälte wollen die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen vor Gericht bringen. Sie sagen: Ohne Gerechtigkeit ist kein dauerhafter Frieden möglich. Die SWR-Redakteurin Tina Fuchs hat die beiden Juristen, Anwar al-Bunni und Mazen Darwish, zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet. Ihr Film „Zeugen gegen Assad“ wird am 5. April an der Freien Universität als Preview gezeigt, bevor er am 9. April im Spätabendprogramm der ARD zu sehen ist. Im Anschluss an die Vorführung am Fachbereich Rechtswissenschaft diskutiert die Redakteurin mit den Menschenrechtsanwälten und der Völkerrechtsprofessorin Heike Krieger von der Freien Universität. Im campus.leben-Interview erzählt Filmemacherin Tina Fuchs von den Hindernissen bei der Suche nach Gerechtigkeit.

Frau Fuchs, die beiden Anwälte Anwar al-Bunni und Mazen Darwish versuchen, beim Generalbundesanwalt einen Haftbefehl gegen Verantwortliche für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien zu erwirken. Das verwundert – welche Rolle kann die deutsche Justiz hier spielen?

Theoretisch wäre der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zuständig. Aber Syrien hat das entsprechende Statut nicht ratifiziert. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen blockiert Russland die Einsetzung eines Tribunals. Es gibt aber das sogenannte Weltrechtsprinzip, das es erlaubt, im Ausland Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden. Wenn Deutschland einen Haftbefehl gegen die Verantwortlichen erlässt und sie außerhalb Syriens festgenommen werden, könnte ihnen in Deutschland der Prozess gemacht werden.

Khaled (hier auf dem Bildschirm bei der Sprachaufnahme während der Filmproduktion) und seine Frau Abeer haben Strafanzeige beim Generalbundesanwalt gestellt.

Khaled (hier auf dem Bildschirm bei der Sprachaufnahme während der Filmproduktion) und seine Frau Abeer haben Strafanzeige beim Generalbundesanwalt gestellt.
Bildquelle: SWR

Warum ist es so wichtig, einzelne Personen zu bestrafen, wenn es noch gar keinen Frieden in Syrien gibt und die Zivilbevölkerung zu Hunderttausenden vor den Bombardierungen flieht?

Die Revolution von 2011 war der Versuch, jahrzehntelange Menschenrechtsverletzungen, wie Folter in den Gefängnissen und Strafffreiheit dafür, zu beenden. Das war der Auslöser der Proteste, die dann gewaltsam niedergeschlagen wurden. Anwar al-Bunni und Mazen Darwish sagen, dass es keinen Frieden geben kann, solange die Verbrechen des Regimes nicht aufgearbeitet sind. Wenn die Opfer das Gefühl haben, dass die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden, eskaliert die Gewalt immer weiter.

Sie haben die Anwälte zwei Jahre lang begleitet. Wie sieht deren Arbeit aus?

Die beiden arbeiten wirklich unermüdlich daran, Beweise zu sichern. Oft müssen sie quer durch Europa reisen und Menschen persönlich davon überzeugen, das Tabu zu brechen, über die erlittene Folter zu sprechen und als Zeugen aufzutreten. Das ist sehr schwierig, denn viele haben Angst, mit ihrer Aussage Familienangehörige in Syrien in Gefahr zu bringen.

Was hat Sie am meisten beeindruckt?

Tief bewegt haben mich die Gespräche mit Menschen, die den Mut finden, über erlittene Folter zu sprechen. Mein Film zeigt zum Beispiel Khaled und seine Frau Abeer, die wochenlang in den berüchtigten Gefängnissen des syrischen Militärgeheimdienstes gefoltert wurden. Durch die Strafanzeige, die sie beim Generalbundesanwalt gestellt haben, wollen sie zeigen, dass Rache nicht die richtige Antwort ist, dass sie den Weg des Rechts wählen – was eben eine zentrale Forderung der Revolution war. Wichtig: Die Menschen in diesem Film sind Akteure, wollen nicht Opfer sein. Sie ergreifen jetzt die Gelegenheit, sich zu wehren.

Bevor der Film in der ARD läuft, wird er an der Freien Universität gezeigt: am 5. April um 10.30 Uhr am Fachbereich Rechtswissenschaft.

Bevor der Film in der ARD läuft, wird er an der Freien Universität gezeigt: am 5. April um 10.30 Uhr am Fachbereich Rechtswissenschaft.
Bildquelle: SWR

Im Anschluss an die Vorführung Ihres Films werden die beiden Anwälte mit der Völkerrechtsprofessorin Heike Krieger von der Freien Universität diskutieren. Gibt es überhaupt unterschiedliche Positionen, wenn es um die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht?

Bei den Genfer Friedensverhandlungen vertritt zum Beispiel der Sondergesandte der Vereinten Nationen für Syrien Staffan de Mistura die Ansicht, dass solche frühzeitigen Initiativen dem Friedensprozess schadeten. Seiner Ansicht nach solle es ablaufen wie zum Beispiel in Ruanda, Jugoslawien oder auch bei den Nürnberger Prozessen: Erst wird Frieden gemacht und dann das Unrecht aufgearbeitet. Dass syrische Anwälte nun versuchen, Menschenrechtsverletzungen schon vor einem Friedensabkommen zu ahnden, ist ein wichtiger Schritt für die Entwicklung einer Übergangsjustiz, die für Gerechtigkeit sorgen soll.

Werden die Anwälte Erfolg haben? Wird der Generalbundesanwalt Haftbefehle erlassen?

Das werden wir vielleicht nie erfahren. Der Generalbundesanwalt macht das nicht öffentlich, damit die Verantwortlichen nicht vorgewarnt sind und nicht untertauchen können. Aber schon das Einreichen der Strafanzeige ist ein Erfolg. Am Tag, als Anwar al-Bunni und Mazen Darwish sie stellten, standen ihre Telefone nicht mehr still. Viele Menschen riefen an und bedankten sich. Und einige schwiegen auch einfach nur ins Telefon: Sie waren viel zu ergriffen, um etwas zu sagen.

Die Fragen stellte Stefanie Hardick

Weitere Informationen

Preview des SWR-Films „Zeugen gegen Assad“, anschließend Diskussion mit den Menschenrechtsanwälten Anwar al-Bunni und Mazen Darwish und der Völkerrechtsprofessorin Heike Krieger, Freie Universität Berlin.

Zeit und Ort

  • Donnerstag, 5. April 2018, 10.30 Uhr
  • Freie Universität Berlin, Fachbereich Rechtswissenschaft, Hörsaal II, Van’t-Hoff-Straße 8, 14195 Berlin (U-Bhf. Freie Universität, U 3)
  • Die Vorführung ist öffentlich, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Die Veranstaltung findet auf Englisch statt.
Der Film wird am 9. April um 22.45 Uhr in der Reihe Die Story im Ersten in der ARD gezeigt.