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„Die deutsche Politikwissenschaft hat einen ihrer hervorragendsten und streitbarsten Köpfe verloren“

Ein Nachruf auf Ekkehart Krippendorff

01.03.2018

Am 27. Februar 2018 verstarb Professor Ekkehart Krippendorff 83-jährig in Berlin. Der renommierte Politikwissenschaftler und Friedensforscher wirkte von 1978 bis 1999 am John-F.-Kennedy-Institut (JFKI) der Freien Universität. Ein Nachruf von Margit Mayer, emeritierte Politikwissenschaftlerin am JFKI und langjährige Kollegin.

Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ekkehart Krippendorff (1934–2018) lehrte von 1978 bis 1999 an der Freien Universität Berlin.

Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ekkehart Krippendorff (1934–2018) lehrte von 1978 bis 1999 an der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Die deutsche Politikwissenschaft hat einen ihrer hervorragendsten und streitbarsten Köpfe verloren. Von 1978 bis zu seiner Verabschiedung 1999 lehrte Ekkehart Krippendorff am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien und am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin, aber er hatte zuvor einige Hürden und Umwege zu nehmen. In der Abteilung Politik des interdisziplinären JFKI vertrat er die Außen- und Sicherheitspolitik der USA sowie Internationale Beziehungen, von 1990 an war ich dort für den Bereich Nordamerikas Innen- sowie Vergleichende Politik zuständig. Während dieser neun Jahre entfaltete sich im universitären Alltag eine arbeitsteilige Kooperation in einer dichten Atmosphäre regen Austauschs.

Ekkehart Krippendorff hatte, als ich 1987 ans Otto-Suhr-Institut der Freien Universität berufen wurde, seine bahnbrechenden Werke, die die deutsche Friedensforschung begründeten, längst veröffentlicht, und im Lauf der Zeit erschlossen sich mir die außerordentlich vielfältigen Facetten seines Wirkens – und das, was sie bei aller Breite und Mannigfaltigkeit zusammenhielt.

In gründlicher und andauernder Auseinandersetzung mit der NS-Zeit (1934 in Eisenach geboren, hatte Krippendorff eine wohlversorgte Kindheit in Nazi-Deutschland erlebt), in Auseinandersetzung mit der deutschen Ordinarienuniversität der 1950er und 60er Jahre (wo er neben Geschichte und Philosophie das hierzulande noch junge Fach Politikwissenschaft studierte), und dank eines dreijährigen Studiums in den USA – von 1960-61 an der Harvard University, von 1961-62 an der Yale University und von 1962-63 an der Columbia University – sowie später (1968-69) folgenden Gastdozenturen an der City University of New York und der Columbia University, wo er den Aufbruch der Kennedy-Jahre, die Bürgerrechtsbewegung und die Proteste gegen den Vietnamkrieg hautnah erlebte, hatte er die Fundamente für seine spezifische „lebendige Wissenschaft des Politischen" entwickelt.

Damals präsentierten die Elite-Unis Harvard und Yale eine Kontrastfolie zur autoritären deutschen Ordinarien-Universität: Dort erlebte Krippendorff, dass Wissen auch ohne „gekrümmtes akademisches Rückgrat“ vermittelt werden konnte. Gleichzeitig konnte er sich zum ausgewiesenen Kritiker des Vietnamkriegs und seiner Ziele und Methoden entwickeln. Damit, genauso wie mit der Übersetzung des neuen Handlungsrepertoires des zivilen Ungehorsams (Sit-in, Go-in), fand er, wieder zurück in Berlin, nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch reichlich Gegner. Der Vietnamkrieg war auch Thema seiner Habilitationsschrift (Die amerikanische Strategie, 1970), die allerdings von der Freien Universität abgelehnt und erst zwei Jahre später in Tübingen angenommen wurde.

Sein Vertrag als Assistent am Otto-Suhr-Institut (OSI) war 1965 vorzeitig beendet worden, weil er gewagt hatte, das Rektorat zu kritisieren; eine Berufung an die Universität Konstanz (1973) war vom baden-württembergischen Kultusminister verhindert worden mit der Begründung, Ekkehart Krippendorff sei „Feuilletonist“.

So wurde Krippendorff zunächst Professor für Internationale Beziehungen in Bologna, am dortigen Ableger der Johns Hopkins University, und trat erst nach neun Jahren in Italien 1978 endlich in den deutschen Staatsdienst. Dieser hürdenreiche Anlauf zum Lehrstuhl prägte Krippendorffs Haltung zur deutschen Universität – aber keineswegs defätistisch: Sie sorgte vielmehr für eine andauernde kritische Auseinandersetzung mit deren Entwicklung zur zunehmend reglementierten Massenuniversität. Im Kampf um eine allgemeinbildende, echte universitas fand Krippendorff einige Eigenschaften der ansonsten kritisierten Ordinarienuniversität durchaus zu verteidigen: „Die alte Ordinarienuniversität hatte zweifellos ihren Standesdünkel, sie hatte sich ... unliebsamen BewerberInnen verschlossen, war eine elitäre Korporation – aber innerhalb dieser Grenzen hatte sie doch immer auch einen Respekt für Qualität, duldete Originalität und Eigensinn, ließ Querköpfe und wissenschaftliche Idiosynkrasien zu“, schrieb er in seinen Memoiren, die er 2012 unter dem Titel „Lebensfäden“ veröffentlichte.

Während der gemeinsamen Jahre am JFKI/OSI ging es immer wieder um den „Begriff“ des Politischen, um die ethische Fundierung der Politik und die verschiedenen Konzeptionen von Politikwissenschaft. Es begann mit Veranstaltungen zu und der Arbeit an dem von Krippendorff gemeinsam mit Ulrich Albrecht und Elmar Altvater 1989 herausgegebenen Band „Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir Politikwissenschaft?“. Und es endete keineswegs mit zahllosen Einmischungen in aktuelle politische Auseinandersetzungen beziehungsweise mit der Herstellung von solchen Auseinandersetzungen. Die herrschaftskritische Tradition von Politikwissenschaft zielt schließlich auf „Veränderung der Wirklichkeit“.

In seiner Suche nach neuen Wegen, das Politische auf den Begriff zu bringen, weitete Ekkehart Krippendorff seinen Blick zunehmend in Richtung Literatur, Theater und Kunst – nicht als Abkehr von der Politikwissenschaft, sondern als deren Erweiterung. Die Zahl der Publikationen und Einmischungen steigerte sich noch nach der Emeritierung: Mit weiteren sechs Büchern und vielen Artikeln warb er ebenso leidenschaftlich wie unermüdlich für die gemeinsame öffentliche Anstrengung kreativer politischer Phantasie. Mit seinem Wirken auf und hinter den akademischen Bühnen hat Ekkehart Krippendorff mehr „Aufklärung“ angestoßen, als uns bewusst ist.

Weitere Informationen

Lesen Sie bitte auch das Interview „Wir haben zu wenig gewollt!“ mit Ekkehart Krippendorff und Paul Nolte, das 2014 im Wissenschaftsmagazin fundiert erschienen ist.