„Wir sind nur frei, wenn wir uns nicht beobachtet fühlen“
Berliner Europa-Dialog an der Freien Universität zum Thema „Big Data“: Stairway to Heaven oder Highway to Hell?
02.03.2017
Moderatorin Eva Heidbreder (Mi.) im Gespräch mit Alexander Maaß (2.v.r.) von der AG Cybersicherheit in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin.
Bildquelle: Manuel Krane
Die NSA-Enthüllungen haben 2013 für großes Aufsehen gesorgt. Die Empörung über die Spähtätigkeiten des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes war groß – wesentlich geändert hat sich seitdem allerdings nur wenig. „Wir sind im Jahr vier nach Snowden nach wie vor einem Angriff auf das Privateste ausgesetzt“, sagt der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum. Der Mit-Initiator der Charta der Digitalen Grundrechte und FDP-Politiker diskutierte vor Kurzem mit dem Gründer von netzpolitik.org, Markus Beckedahl, mit Alexander Maaß von der AG Cybersicherheit in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin und dem Strafrechtsprofessor Carsten Momsen von der Freien Universität.
Moderiert wurde der 6. Berliner Europa-Dialog an der Freien Universität über das Verhältnis von Freiheit im Netz, innerer und äußerer Sicherheit, sowie Fragen darüber, wie Persönlichkeits- und Menschenrechte in der digitalen Welt austariert werden können, von der Politikwissenschaftsprofessorin Eva Heidbreder.
Markus Beckedahl bekannte, dass das Thema „unzählige Chancen und unzählige Risiken“ berge – wobei sich die anschließende Debatte vor allem mit den Risiken beschäftigte. Gerhart Baum machte gleich zu Beginn die Dimensionen deutlich: „Was mich am Thema ‚Big Data‘ interessiert, ist die Frage, inwiefern davon unsere Menschenwürde betroffen ist.“ Das Problem ließe sich nämlich auch durch Enthaltsamkeit in sozialen Netzwerken kaum regeln: „Selbst wenn Sie Daten-Askese betreiben, werden Sie überwacht“, sagte Baum, „im Grunde sind wir durch die Erhebung von digitalen Daten einem fundamentalen Angriff ausgesetzt – denn wir sind nur dann freie Menschen, wenn wir uns nicht beobachtet fühlen müssen.“ Das habe auch Konsequenzen für das Strafrecht, sagte der Jurist Carsten Momsen: „In der realen Welt gibt es das Recht zu schweigen, es gibt verbotene Ermittlungsmethoden – die gibt es im Internet nicht.“
Aber können beispielsweise Daten, die bei der Smartphone-Nutzung entstehen, auch helfen, Straftaten aufzuklären oder sie gar verhindern? „Die Behörden hatten in den letzten Jahren viele Informationen etwa zu potenziellen Straftätern, das Problem ist die Verknüpfung von Datentöpfen“, sagt Alexander Maaß. Auch Markus Beckedahl verwies darauf, dass bei allen größeren terroristischen Anschlägen in der jüngeren Vergangenheit die Täter den Behörden vorher bekannt gewesen seien. „Wenn wir die vorhandenen Instrumente nicht nutzen können, helfen auch keine neuen Gesetze“, erklärte Gerhard Baum der Forderung nach mehr Überwachung eine Absage. „Das ist Imponiergehabe im Sinne von ‚Wir regeln das jetzt‘“, so der ehemalige Innenminister. Carsten Momsen verwies darauf, dass die Überwachung von sogenannten „Gefährdern“ auch juristisch komplex sei. „Das ist ein unklarer Status im Gegensatz etwa zu Verdächtigen oder Beschuldigten – denn die haben klar definierte Rechte“, sagte Momsen.
Ein weiteres Diskussionsthema waren „Fake News“. „Die bestimmen gerade die gesamte Debatte. Dabei sind Gerüchte so alt wie die Menschheit“, sagte Beckedahl. Problematisch sei es aber schon, dass etwa bei Facebook öffentliche Diskussionen in einem privatwirtschaftlich organisierten Raum stattfinden. Helfen könnte in diesem Kontext vor allem Medienbildung. „Fake News“ von einer Behörde überprüfen und löschen zu lassen, sei aber nicht der richtige Weg. „Eine solche Institution wäre politisch manipulierbar“, sagte Juraprofessor Carsten Momsen, „und wenn in diesem Bereich das Strafrecht zum Einsatz gebracht würde, würde das massiv in die Meinungsbildung eingreifen.“
Weitere Informationen
Die Reihe „Berliner Europa-Dialog“ wird vom Europäischen Informationszentrum Berlin, dem Dokumentationszentrum Vereinte Nationen – Europäische Union der Freien Universität und der Europa-Union Berlin getragen.