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Ein Geschenk an Yad Vashem

Dokumentation über Hochschulen in der NS-Zeit an Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte übergeben

12.12.2013

Dr. Haim Gertner, Archivdirektor von Yad Vashem, und Prof. Dr. Gerhard Simonsohn im Goldenen Saal im Präsidium der Freien Universität.

Dr. Haim Gertner, Archivdirektor von Yad Vashem, und Prof. Dr. Gerhard Simonsohn im Goldenen Saal im Präsidium der Freien Universität.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

(v.l.n.r.): Prof. Dr. Jürgen Renn, Direktor des MPI für Wissenschaftsgeschichte, Prof. Hanoch Gutfreund, ehemaliger Präsident der Hebrew University Jerusalem, Dr. Haim Gertner, Archivdirektor von Yad Vashem und Prof. Dr. Gerhard Simonsohn.

(v.l.n.r.): Prof. Dr. Jürgen Renn, Direktor des MPI für Wissenschaftsgeschichte, Prof. Hanoch Gutfreund, ehemaliger Präsident der Hebrew University Jerusalem, Dr. Haim Gertner, Archivdirektor von Yad Vashem und Prof. Dr. Gerhard Simonsohn.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Es war ein Aufruf zum Boykott jüdischer Professoren: Im April 1933 begann der nationalsozialistische Studentenbund, an Berliner Hochschulen vor dem Besuch bestimmter Seminare zu warnen. Damit sollte, wie es damals im Völkischen Beobachter hieß, der „fast vollständigen Verjudung der deutschen Hochschulen“ entgegengewirkt werden. Der ehemalige Physikprofessor Gerhard Simonsohn von der Freien Universität hat in den späten 1980er Jahren hierzu recherchiert. Seine Dokumentation historischer Quellen hat er kürzlich bei einem Treffen in Dahlem Vertretern der Jerusalemer Forschungs- und Gedenkstätte Yad Vashem übergeben.

„Ziel der Dokumentation war es, den Hintergrund der damaligen Ereignisse und das Zwiespältige des Geschehens zu verdeutlichen“, sagte Gerhard Simonsohn. Der Physikprofessor, der mittlerweile im Ruhestand ist, freute sich, dass die Arbeit, die mehr als 20 Jahre in der Physik-Bibliothek geschlummert hatte, wieder ans Licht kommt. Simonsohn hat die Sammlung, die viele Ausschnitte aus jüdischen Zeitungen umfasst, mit einem Mitarbeiter von 1987 an gemeinsam verantwortet. Die Dokumentation war ein Beitrag des Fachbereichs Physik zur 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin im Jahr 1987.

Kapitel deutscher Hochschulgeschichte

Das Erstarken der nationalsozialistischen Hochschulgruppen und die Reaktionen aus der Wissenschaft nach der Reichstagswahl 1933 sind im ersten Teil dokumentiert: Namentlich bekundeten beispielsweise 87 Hochschullehrer von deutschen Universitäten in einer Anzeige Hitler ihre Sympathie, während vom jungen Physiker Werner Heisenberg überliefert ist, dass er eine Rede bei einer wissenschaftlichen Feier zu Ehren Hitlers verweigert habe.

Heisenberg sollte später im Mittelpunkt des Streits um die sogenannte Deutsche Physik stehen, den Simonsohn im zweiten Teil dokumentiert: Eine kleine Gruppe von Physikern um die Nobelpreisträger Philipp Lenard und Johannes Stark versuchte, sich damit der modernen „jüdischen“ Physik entgegenzustellen. „Relativitätstheorie und Quantenmechanik wurden als undeutsch verunglimpft“, erläutert Simonsohn. Werner Heisenberg, damals Professor in Leipzig und Anhänger der angeblich „jüdisch unterwanderten Physik“, wurde öffentlich für seine Forschung geschmäht. Letztlich nahm ihn Polizeichef Heinrich Himmler persönlich in Schutz: „Allerdings nur, weil es eine persönliche Verbindung zwischen den beiden Familien gab“, sagt Gerhard Simonsohn.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten hatten bereits einige „seriöse Physiker“, wie Simonsohn sie nennt, Deutschland verlassen, unter ihnen Albert Einstein. Etliche weitere wurden vertrieben. Dennoch habe es in Deutschland den ein oder anderen Lichtblick gegeben: „Einige Forscher betrieben normale, unverfängliche Physik, so gut es in diesen Zeiten eben möglich war“, sagt Simonsohn.

Yad Vashem als idealer Ort für die Quellen

Die Übergabe der Dokumentation an Yad Vashem kam durch einen Besuch des ehemaligen Präsidenten der Hebrew University Jerusalem, Professor Hanoch Gutfreund, am Fachbereich Physik zustande: Dort hatte ihm Professor Ludger Wöste die Bücher nach der Einstein-Lecture gezeigt, die Gutfreund im April an der Freien Universität gehalten hatte. Zurück in Israel berichtete Gutfreund im Kollegenkreis von der Existenz der Dokumentation, unter anderem dem Archivdirektor von Yad Vashem, Haim Gertner.

„Als die Anfrage kam, ob man das Original bekommen könne, habe ich natürlich zugesagt“, sagt Simonsohn. Das Zentrum sei ein idealer Ort für die Dokumente, betonte Michael Bongardt, Vizepräsident der Freien Universität, bei der Übergabe an Gertner und Gutfreund. Gerhard Simonsohn selbst sprach von einem „bewegenden Moment“. Er begnügt sich mit Kopien der Bücher, hat Vorträge zum Thema gehalten und wurde noch in den 2000er Jahren für die Mitarbeit an einem Sammelband über die Deutsche Physikalische Gesellschaft im Dritten Reich angefragt – zu seinem eigenen Erstaunen, wie er sagt.