„Mehr Islam ist keine Lösung"
6. Cairo Talks im Verbindungsbüro der Freien Universität in Ägypten zu Islamismus und Demokratie
08.11.2012
Mit dem Schild "Verschwinde, Du Ungerechter. Stürzt Mubarak!" forderten Demonstranten im Januar 2011 den Rücktritt des damaligen ägyptischen Staatspräsidenten.
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Um das Verhältnis von Islamismus und Demokratie ging es kürzlich bei einer Podiumsdiskussion im Kairoer Verbindungsbüro der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Nour El-Rifai
Prof. Dr. Gudrun Krämer (links) im Gespräch mit der Moderatorin Julia Gerlach.
Bildquelle: Nour El-Rifai
Anfang 2011 zwangen Massendemonstrationen in Ägypten und Tunesien die Präsidenten beider Länder zum Rücktritt. In westlichen Medien wurde dies als Erfolg einer jungen, säkularen Demokratiebewegung gefeiert. Doch spätestens, seitdem Parlaments- und Präsidentschaftswahlen moderate islamistische Gruppierungen an die Macht brachten, stehen neue Fragen im Zentrum des Interesses: Wie sind die Erfolge der islamistischen Parteien einzuordnen? Welche Auswirkungen haben sie auf eine demokratische Zukunft der betreffenden Länder? Um das Verhältnis von Islamismus und Demokratie ging es kürzlich auch bei einer Podiumsdiskussion im Kairoer Verbindungsbüro der Freien Universität Berlin.
Welche Rolle spielte und spielt der Islam in den Forderungen der Protestbewegungen in der arabischen Welt? Welchen Stellenwert kann Religion in Politik und öffentlichem Leben der sich wandelnden arabischen Staaten einnehmen? Wie kann eine islamisch geprägte Demokratie aussehen? Gudrun Krämer, Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Direktorin der Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies, und Navid Kermani, freier Schriftsteller und Orientalist, erörterten diese und weitere Fragen bei der Podiumsdiskussion „From Rebellion to Reform – New Perspectives on Democracy”.
Die sechste Veranstaltung der Reihe Cairo Talks on Transformation and Change wurde vom Verbindungsbüro der Freien Universität Berlin in Kooperation mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, dem Orient Institut Beirut und dem Goethe-Institut Kairo ausgerichtet. Moderiert wurde sie von der in Kairo lebenden Journalistin und Schriftstellerin Julia Gerlach.
Das Prinzip Demokratie
Gudrun Krämer hob gleich zu Beginn hervor, dass sie keinen Zweifel daran hege, dass die nun in Ägypten und Tunesien regierenden islamistischen Gruppierungen das Prinzip Demokratie akzeptierten. Die Muslimbrüder in Ägypten beispielsweise seien keine größere Gefährdung für die neu entstehende Demokratie als jede andere Partei auch, die eine gewisse Machtfülle auf sich vereinen könne.
In den Demonstrationen gegen die autoritären Regime in Ägypten und Tunesien sei es um Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und gute Regierungsführung gegangen, betonten Gudrun Krämer und Navid Kermani. Ein islamischer Staat nach iranischem Vorbild stehe nirgendwo auf der Agenda, wohl aber spiele die Einbettung des neuen politischen Systems in einen islamischen Referenzrahmen in den Diskussionen um Verfassung und Staatsform eine zentrale Rolle.
Weil Religion unter den autoritären Herrschern marginalisiert worden sei, sei das Bedürfnis nach einer islamischen Ausrichtung der Politik heute umso größer, erklärte Kermani. Der Schriftsteller ist sich jedoch ebenso sicher, dass die islamistischen Parteien bei den nächsten Wahlen wieder abgewählt werden, sollten sie ihre Versprechen nicht erfüllen.
„Mehr Islam ist keine Lösung“
Dennoch plädierte Gudrun Krämer für das Prinzip Säkularismus: „In vielen Gesellschaften wird nicht oder nur schwer akzeptiert, dass Religion öffentlich diskutiert wird und es erlaubt ist, nicht religiös zu sein. Für die ägyptische Gesellschaft würde das eine Öffnung bedeuten.“ Auch wenn die Islamwissenschaftlerin die positive Rolle anerkannte, die der Islam beispielsweise für die Entwicklung von Unternehmergeist in Ägypten spielen könnte, stellte sie klar, dass mehr Islam keine Lösung für die zahlreichen Probleme des gegenwärtigen Ägypten sei.
Navid Kermani, der vor kurzem von einem Aufenthalt aus Syrien zurückgekehrt war, kritisierte, dass im Westen die aktuellen Entwicklungen in der arabischen Welt stets unter islamischen Vorzeichen analysiert würden. Er erläuterte, dass in Syrien sowohl säkulare als auch islamistische Kräfte in der Opposition gegen das Assad-Regime eine Rolle spielten und es sicherlich Akteure gebe, die islamische Forderungen durchzusetzen versuchten.
Eine Konfessionalisierung des Konflikts und ein Aufbrechen der fragilen Balance spielten vor allem aber dem syrischen Regime in die Hände. Westliche Kommentatoren müssten sich dessen bewusst sein: „Wir sind Teil des Problems. Nicht nur die Gesellschaften selbst müssen säkularisiert werden, sondern auch unser Blick auf sie.“