Kameldame mit Gehgips
Veterinärmediziner der Freien Universität operierten das gebrochene Bein einer jungen Kamelstute
04.05.2012
Man muss schon zweimal hinsehen, um es zu glauben: In der Pferdeklinik der Freien Universität steht ein Kamel in der Box – und dazu noch ein Kamel mit Gipsbein. Laila heißt die Patientin, der Veterinärmediziner Professor Christoph Lischer und sein Team nach einem komplizierten Bruch wieder auf die Beine geholfen haben.
Sie ist störrisch wie ein Esel. Pferdepfleger Matthias Höbold muss Kameltreiber-Qualitäten an den Tag legen, um Laila aus der Box zu locken. Schließlich hilft nur noch eine Bestechungsmöhre. Bedächtig und erhobenen Hauptes stakst die Kameldame auf den Hof. Von dem majestätisch wiegenden Gang, für den die „Wüstenschiffe" sonst bewundert werden, ist bei Laila derzeit nichts zu sehen. Ihr linkes Vorderbein ist vom Bauch bis zum Erdboden eingegipst, leuchtend blau und unbeugsam. Dennoch: Es geht voran. Routiniert wie ein Holzbeinträger schwingt die Kameldame ihren Gehgips in einem eleganten Ausfallschritt erst zur Seite und dann nach vorn.
Vor wenigen Tagen sah das noch ganz anders aus. Als die zweijährige Kamelstute an einem Samstagabend im April in die Düppeler Klinik gebracht wurde, war sie nicht fähig zu laufen. Sie habe apathisch gewirkt und nicht mehr gefressen, sagt Professor Christoph Lischer, der Leiter der Klinik für Pferde, Allgemeine Chirurgie und Radiologie der Freien Universität. Ein sicheres Indiz dafür, dass das Tier große Schmerzen gelitten habe, „obwohl Kamele schon sehr hart im Nehmen sind“. Die Röntgenaufnahme zeigte einen komplizierten Splitterbruch im linken Vorderbein. Wobei sich das Kamel verletzt habe, sei nicht klar, sagt Lischer. Das Tier, das von einem Kamelhof stammt, sei von dem Besitzer des Hofes verletzt auf der Weide gefunden worden.
Knochen mit Nägeln stabilisiert
Noch in der Nacht wurde der Vorderlauf der Kameldame provisorisch geschient. Doch für die Veterinärmediziner war schnell klar, dass sie operieren mussten. Bei dem eineinhalbstündigen Eingriff am Sonntagmorgen richteten Professor Lischer und seine Teamkollegen Matthias Rettig, Stefan Ostrowski und Caroline Müller den gesplitterten Knochen und stabilisierten den Vorderlauf durch drei fünf Millimeter lange Stahlnägel. „Auf diese Weise wird die gebrochene Stelle entlastet und verhindert, dass der Knochen beim Auftreten wieder kollabiert", erklärt Lischer. Um das Bein ruhig zu stellen, sei es anschließend mit einem glasfaserverstärkten Kunststoff „eingegipst" worden. „Solches Fiberglas wird auch bei der Herstellung von Skiern verwendet und ist deutlich leichter als herkömmlicher Gips.“
Lischer, der 2006 von der Universität Zürich an die Freie Universität wechselte, hat Erfahrung in der Behandlung von Lastentieren mit Knochenbrüchen. Während seiner Zeit in der Schweiz habe er bereits einige Lamas und Alpakas operiert, sagt der Vetrinärmediziner. „Die Tiere werden dort bei Trekkingtouren in den Alpen eingesetzt." Ein Kamel als Patient ist allerdings auch für ihn Premiere.
Besondere Herausforderung sei das „Eingipsen" des Fußes gewesen. Selbst wenn die Einordnung der Kamele als „Schwielensohler" unter den Paarhufern eher auf ein gewisses Maß an robuster Trittfestigkeit hindeutet: Sie haben unter ihren zwei Zehen elastische Polster, die ihnen zwar das Laufen im weichen Sand erleichtern – aber an denen sich auch leicht Druckstellen bilden können. Die Operation habe auch an den Anästhesisten besondere Anforderungen gestellt, sagt Lischer. „Denn das Kamel hat eine andere Anatomie als das Pferd. Das muss man für das Intubieren wissen." Um die Vollnarkose vorzubereiten, hatten sich die Doktoranden Caroline Müller und Stefan Ostrowski deshalb vor dem Eingriff extra bei Zootier-Experten informiert.
"Sie spuckt schon wieder. Das ist ein gutes Zeichen"
Der Einsatz hatte Erfolg: Laila hat alles gut überstanden. Und wie für jeden Kassenpatienten im Krankenhaus gibt es auch für Kamele keine Schonfrist. Gleich nach der OP musste sie das Bein wieder belasten. Insgesamt sechs Wochen müsse der Gips dran bleiben, rechnet Lischer. Dann könne er durch eine Schiene ersetzt werden, so lange bis der Bruch wieder vollständig zusammengewachsen ist. „Kamele haben im Vergleich zu vielen anderen Säugetieren sehr gut heilende Knochen." Mit ihren zwei Jahren ist Laila zudem noch ein Teenager, die Höckerträger können 40 bis 50 Jahre alt werden. Beste Heilungschancen also.
Mittlerweile hat die Patientin einen kräftigen Appetit entwickelt, käut zufrieden Heu und Haferflocken wider und bettet sich mit einer Technik zur Nachtruhe, die jeder Ballett-Tänzerin zur Ehre gereichen würde: Sie geht einfach mit nach vorne ausgestrecktem Vorderbein in die Knie. Christoph Lischer hat sogar ein ganz eindeutiges Indiz der Besserung ausgemacht: „Vor ein paar Tagen, als sie ihre letzte Schmerzspritze bekam, hat sie das erste Mal seit ihrer Einlieferung aus Protest gespuckt. Ein gutes Zeichen!"