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„Wir lassen uns gemeinsam auf ein Projekt ein und lernen alle dazu“

Mentorinnen und Mentoren aus der Wissenschaft sind ein wichtiger Erfolgsfaktor für forschungsbasierte Ausgründungen. Doch nicht nur die Start-ups, auch die Forschenden profitieren oft langfristig von der Zusammenarbeit.

07.02.2023

Papier mit SWOT-Analyse auf einem Stehtisch, Hände von Menschen, die daran arbeiten

Gründende mit Fachwissen, Kontakten und kritischen Fragen zu unterstützen, das gehört zu den Aufgaben einer wissenschaftlichen Mentorin oder eines Mentors.
Bildquelle: Amin Akhtar

Wenn Studierende, Absolvent*innen und junge Forschende ein eigenes Unternehmen gründen, spielen Professor*innen häufig eine wichtige Rolle dabei. Das Mentoring durch erfahrene Wissenschaftler*innen ist fester Bestandteil von Förderprogrammen für Ausgründungen aus der Wissenschaft – und hat sich in der Praxis vielfach bewährt.

Worauf es dabei ankommt und wie beide Seiten davon profitieren, berichteten einige Mentor*innen und Mentees beim „Business & Beer Club“, dem monatlichen Netzwerktreffen für Gründungsinteressierte in der Startup-Villa der Freien Universität Berlin.

Max Schubert lernte seinen späteren Mentor, den Wirtschaftsinformatikprofessor Martin Gersch, bereits in Entrepreneurship-Kursen während des Studiums kennen. Dort entstanden auch die ersten Geschäftsideen, später nahm der Gründer am Ideenwettbewerb Research to Market Challenge teil und bewarb sich um ein EXIST-Gründerstipendium.

Seine App Mio Health, ein personalisierter Gesundheitscoach für Herzgesundheit, ist seit dem vergangenen Jahr auf dem Markt, und das Start-up wird inzwischen im Artificial Intelligence Entrepreneurship Center – kurz: K.I.E.Z. – der Berliner Universitäten gefördert.

Wertvolles Feedback zu Ideen und Antragsskizzen

Martin Gersch, der auch den Digital Entrepreneurship Hub der Freien Universität Berlin mitgegründet hat, begleitete das Projekt als wissenschaftlicher Mentor über mehrere Jahre. Mio Health habe damit den idealtypischen Pfad zur Gründung eingeschlagen, sagt er. Der Experte für Entrepreneurship und digitale Transformation im Gesundheitsweisen konnte das Start-up vor allem mit Feedback zu Ideen und Antragsskizzen sowie durch die Vermittlung von Kontakten unterstützen.

Die Veterinärmedizinerin Julia Rosendahl wurde dagegen erst nach ihrer Promotion zur Gründerin: Für ihre Dissertation erforschte sie, wie Futtermittelzusätze Milchkühe gesünder machen können; die selbst entwickelten Produkte vertreibt sie inzwischen erfolgreich im eigenen Unternehmen PerformNat. Ihr Doktorvater Jörg Aschenbach, Professor für Veterinär-Physiologie, hatte als Mentor stets ein offenes Ohr für sie, wenn Forschung und Produktentwicklung stockten.

Mentorin für ein Gründungsprojekt aus der Theoretischen Chemie

Porträt von Beate Paulus und Marcel Quennet

Die Chemieprofessorin Beate Paulus (rechts) unterstützt die Ausgründung Quantistry von Marcel Quennet (links).
Bildquelle: Marion Kuka

„Den kurzen Amtsweg“ gab es auch zwischen der Chemieprofessorin Beate Paulus und Marcel Quennet. Sein Start-up Quantistry bietet eine Plattform für chemische Simulationen an, mit der die industrielle Forschung und Entwicklung von neuartigen Materialien wie etwa Batterien kostengünstiger, schneller und nachhaltiger gestaltet werden kann. „Ich habe bei Beate meinen Master gemacht und anschließend in ihrer Arbeitsgruppe promoviert“, berichtet der Chemiker. Als er seine Doktormutter als Mentorin für das Gründungsprojekt gewinnen wollte, kannten sich beide schon gut.

Dass man auf dem Fachgebiet der Theoretischen Chemie ein Start-up gründen könnte, sei jedoch eine völlig neue Erkenntnis für sie gewesen, gibt Beate Paulus zu. Sie ließ sich auf das Abenteuer ein: „Marcel und seine Mitgründer bezogen ein Büro im Keller des Institutsgebäudes und kamen mit ihren neusten Ideen bei mir zum Kaffeetrinken vorbei“, berichtet die Chemieprofessorin. Mit kritischen Fragen und ihrem Fachwissen habe sie das Team von Quantistry in dieser Phase gut unterstützen können, auch wenn sie mit Entrepreneurship bisher keine Erfahrung gehabt habe.

Bei sylby sammeln auch Studierende der Linguistik erste Berufserfahrung

Auch die Linguistin Vera Scholvin entschied sich nach ihrer Promotion für eine Unternehmensgründung – eher zufällig. Ihre Doktormutter Judith Meinschaefer, Professorin für galloromanische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin, gab ihr den Tipp, am berlinweiten Ideenwettbewerb „Forum Junge Spitzenforschung“ teilzunehmen.

Porträt von Vera Scholvin und Judith Meinschaefer

Die Linguistikprofessorin Judith Meinschaefer (rechts) ist Mentorin der Ausgründung sylby von Vera Scholvin (links).
Bildquelle: Marion Kuka

Mit Unterstützung von Profund Innovation fand Vera Scholvin ihren Mitgründer Paras Mehta. Gemeinsam entwickelten sie die App sylby, mit der Menschen beim Erlernen einer Fremdsprache ihre Aussprache trainieren können. Das Team erhielt ein EXIST-Gründerstipendium, arbeitet mit dem Sprachenzentrum der Freien Universität und dem Goethe-Institut zusammen und brachte die App nach erfolgreicher Testung auf den Markt.

„In den Sprachwissenschaften kommt es selten vor, dass Forschungsergebnisse in einer praktischen Anwendung münden“, sagt Judith Meinschaefer. Das finde sie falsch. „In der Wissenschaft machen wir auch oft Projekte, die eigentlich einer Unternehmensgründung ähneln, ohne dass wir sie so wahrnehmen.“ Deshalb übernahm sie gern die Rolle der wissenschaftlichen Mentorin für das Start-up von Vera Scholvin. Ein weiterer Vorteil: sylby beschäftigt Studierende der Linguistik, die auf diese Weise wertvolle Berufserfahrung sammeln können.

Gemeinsame Forschungsprojekte mit Ausgründungen

Man dürfe ein Mentorship nicht als hierarchische Beziehung betrachten, betont Beate Paulus. Von ihrer Tätigkeit als Mentorin habe sie auch selbst stark profitiert. „Wir lassen uns gemeinsam auf ein Projekt ein und lernen alle dazu.“ Dank der Zusammenarbeit mit Quantistry ist ihre Arbeitsgruppe zum ersten Mal an einem Drittmittelprojekt beteiligt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert wird. „Auch für mich ist es gut gelaufen“, resümiert die Professorin.

Auch Julia Rosendahl unterhält noch immer enge Verbindungen zum Fachbereich Veterinärmedizin. Es gebe gemeinsame Forschungsprojekte mit Promovierenden und einen Austausch von Mitarbeitenden, berichtet die Gründerin.

Der zusätzliche Arbeitsaufwand für die Betreuung der Gründenden werde durch viele Vorteile mehr als wettgemacht, davon ist auch Martin Gersch überzeugt: „Wenn meine Hilfe gefragt ist, dann freue ich mich darüber.“ Er bekomme jedoch mehr Anfragen, als er bedienen könne, und müsse daher eine Auswahl treffen. „Nach zwei, drei Gesprächen weiß ich in der Regel, ob wir menschlich zusammenpassen.“

Schneller Realitäts-Check durch den Markt

Außerdem müsse er sicher sein, dass er einen substanziellen inhaltlichen Beitrag leisten könne. Falls das Projekt nicht zu seinem Fachgebiet passe, empfehle er dem Team, andere Kolleginnen und Kollegen zu kontaktieren. Wenn die Zusammenarbeit jedoch erst einmal läuft, ist sie meist nachhaltig: Bei vielen Unternehmen, die Martin Gersch im Gründungsprozess unterstützt hat, gehört er noch immer dem wissenschaftlichen Beirat an.

„Als Forschende und Lehrende wollen wir die Welt verstehen“, resümiert der Wirtschaftsprofessor, „und durch die Arbeit mit Gründungen können wir dies auf eine besondere Art machen.“ Interessant finde er auch den schnellen Realitäts-Check: Oft stelle sich schon nach kurzer Zeit heraus, ob eine Idee am Markt funktioniere oder nicht. Und, so fügt Martin Gersch hinzu: „Gründende sind meist so motiviert und engagiert, dass es großen Spaß macht, mit ihnen zu arbeiten.“

Weitere Informationen

Die Freie Universität Berlin fördert Unternehmensausgründungen mit der Service-Einrichtung Profund Innovation in der Abteilung Forschung. Profund Innovation unterstützt Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Alumni dabei, Anwendungsideen für ihre Forschung zu entwickeln, Start-ups oder Spin-Offs zu gründen sowie Forschungsergebnisse gemeinsam mit etablierten Unternehmen zu verwerten. Das EXIST-Gründerstipendium ist ein Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums und wird durch den Europäischen Sozialfonds kofinanziert.