Die App Sylby hilft Sprachlernenden bei der Aussprache
Eine Ausgründung der Freien Universität Berlin bietet individuell zugeschnittene Lerneinheiten zur Artikulation, die den Sprachunterricht sinnvoll ergänzen.
01.03.2022
Wer jemals eine Fremdsprache gelernt hat, weiß, dass die Aussprache eine große Hürde sein kann. Im Gruppenunterricht bleibt meist wenig Zeit, um Anfängerinnen und Anfänger individuell dabei anzuleiten, die ihnen bisher unbekannten Laute zu produzieren. Eine Ausgründung der Freien Universität Berlin will Sprachlernenden helfen, ihre Artikulation individuell zu trainieren: Die App Sylby gibt bei jedem Training personalisiertes Feedback, liefert detaillierte Erklärungen und macht Fortschritte messbar.
„Sprechen Sie mir nach...“ – mit diesem Satz wenden sich Sprachlehrerinnen und -lehrer häufig an ihre Klasse. Was sie dann zu hören bekommen, ist ein vielstimmiger Chor von Sprachlauten. Dabei können sie kaum feststellen, wer mit bestimmten Wörtern oder Lauten Probleme hat, vor allem, wenn die Gruppe aus Schülerinnen und Schülern mit verschiedenen Erstsprachen besteht.
An dieser Stelle kommt Sylby ins Spiel: Die Bildungs-App bietet Sprachlernenden individuell zugeschnittene Lerneinheiten, die den Sprachunterricht sinnvoll ergänzen. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und Spracherkennungstechnologie erfasst die Anwendung, welche Laute den Nutzerinnen und Nutzern besonders schwerfallen. So kann etwa der Laut [t͡s] – im Deutschen enthalten in Wörtern wie „Zahn“, „zehn“ oder „Kiez“ – eine Herausforderung für Menschen sein, deren Erstsprache Vietnamesisch oder Französisch ist. Je nach Bedarf bietet Sylby passende Video-Tutorials und Übungen an.
Probleme mit der Aussprache wirken sich auf das alltägliche Leben aus
Für Menschen, die sich schnell in einem fremden Land zurechtfinden müssen, ist es besonders wichtig, erfolgreich zu kommunizieren, finden Vera Scholvin, Paras Mehta und Arthur O'Connor. Die Gründerin und die beiden Gründer haben großes Mitgefühl für Zweitsprachler, die häufig soziale Nachteile erleiden, weil sie in ihrer neuen Umgebung nicht ausreichend verstanden werden.
In einem französischen Lebensmittelladen hat Vera Scholvin diese Erfahrung selbst gemacht. Die Linguistin, die an der Freien Universität Berlin und an der Sorbonne Nouvelle promoviert hat, erinnert sich noch genau daran, wie sie als Erasmus-Studentin in Aix-en-Provence zusammen mit einer Austauschstudentin aus England einkaufen wollte. Sie hatte viel Mühe dafür aufgewendet, die Aussprache zu üben, während ihre Freundin mehr Grammatik gelernt hatte. „Sie beherrschte die Sprache besser als ich, aber weil Aussprache für mich keine Barriere darstellte, behandelten mich die Angestellten mit mehr Respekt“, berichtet die Linguistin. Diskriminierung aufgrund von Schwierigkeiten bei der Aussprache sei weit verbreitet.
Eine App für viele verschiedene Sprachkombinationen
„Wir haben alle schon erlebt, wie es ist, wenn wir aufgrund unserer Aussprache anders behandelt werden“, sagt Paras Mehta, der an der Freien Universität im Fach Informatik promoviert und auch in Großbritannien, Spanien, Griechenland und Indien gelebt hat.
Sylby ist bereits das zweite Start-up, an dem er beteiligt ist. Neben dem technischen Know-how, das er in das Team einbringt, setzt sich Paras Mehta für interkulturelle Verständigung ein: Sein Blog und sein Podcast „India2Germany“ behandeln eine Reihe von interessanten Themen für Menschen, die zum Leben und Arbeiten nach Deutschland gekommen sind – vom Aufbau einer Karriere in der Spieleentwicklung bis zu deutschen Märchen.
Paras Mehta hofft, dass viele Menschen von Sylby profitieren werden: „Vorhandene Produkte konzentrieren sich meist auf Englisch als zweite Sprache. Unser skalierbarer Ansatz ermöglicht uns, ein viel breiteres Publikum zu erreichen, da wir die App für viele verschiedene Sprachkombinationen entwickeln.
Schnelle und individuelle Hilfe beim Erlernen einer Zweitsprache
Von Schwedisch über Japanisch bis hin zu Estnisch – Mitgründer Arthur O‘Connor liebt es, verschiedene Sprachen, Lerntechniken und Sprachlern-Apps zu erforschen. Ihm ist wichtig, dass Nutzerinnen und Nutzer die App Sylby gern verwenden und als Bereicherung empfinden, aber auch, dass sie Lernfortschritte mit positiver Wirkung auf ihren Alltag erzielen.
„Es gibt alle möglichen Apps, die sich auf Reisen, Rucksacktouren und Spaß konzentrieren“, sagt der Produkt- und UX/UI-Designer. Nutzerinnen und Nutzern mit solchen Interessen könne Sylby zwar auch helfen, aber: „Wir konzentrieren uns auf Menschen, die in einem fremden Land leben und viel zu kämpfen haben. Sie lernen nicht unbedingt zum Spaß, sondern müssen an ihrer Aussprache arbeiten, um ihr Leben zu verbessern, um Beziehungen zu knüpfen oder bei ihrer Arbeit besser integriert zu werden.“
Anstoß von der Freien Universität
Liebe zur Sprache, Know-how in Linguistik, Informatik, Design und Kommunikation – zusammen verfügen die Teammitglieder von Sylby über eine ideale Mischung an Kompetenzen für ihre Gründungsidee. Gemeinsam ein Unternehmen zu gründen, stand jedoch nicht auf ihrem Plan, bevor Profund Innovation, der zentrale Gründungsservice der Freien Universität Berlin, sie zusammenbrachte. „Noch vor einem Jahr hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich einmal ein Unternehmen gründen würde“, sagt Vera Scholvin.
Dann nahm sie auf gut Glück am Ideenwettbewerb „Forum Junge Spitzenforschung“ teil und sah plötzlich Möglichkeiten, ihre Forschung in der Welt der Wirtschaft in die Tat umzusetzen. Über einen Post fand sie ihren Mitgründer Paras Mehta, gemeinsam mit ihm, Arthur O’Connor und den Gründungsberaterinnen und -beratern von Profund Innovation bereitete sie schließlich den Antrag für das EXIST-Gründerstipendium vor.
Das EXIST-Gründerstipendium schafft Freiraum für die ersten Schritte
Im Sommer 2022 soll die Sylby-App erstmals zur Verfügung stehen. Unterstützung erhält das Team von seiner wissenschaftlichen Mentorin Judith Meinschaefer, Professorin am Institut für Romanische Philologie der Freien Universität, sowie von den Informatikprofessoren Raúl Rojas, Freien Universität, und Gerard de Melo, Universität Potsdam.
„Wir sind sehr dankbar für die ideelle und finanzielle Unterstützung, die uns das EXIST-Gründerstipendium ermöglicht“, sagt Paras Mehta. „Wir müssen uns erstmal keine Gedanken darüber machen, wie wir unsere Miete zahlen, sondern können uns auf unser Produkt konzentrieren.“ Im nächsten Schritt werde auf dem Weg zur Gründung werde es jedoch darum gehen, potenzielle Investoren und Kooperationspartner zu gewinnen.
Gründen als Karriereweg in den Geistes- und Sozialwissenschaften
Vera Scholvin möchte andere Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ermutigen, die Welt der Wirtschaft als einen Ort zu betrachten, an dem ihr Fachwissen sehr gefragt ist. „Viele Kolleginnen und Kollegen unterschätzen sich selbst und denken nicht darüber nach, wie wertvoll ihr Wissen und ihre Fähigkeiten außerhalb der akademischen Welt sein könnten – zum Beispiel bei der Entwicklung von mobilen Apps. Profund Innovation hat mir neue Wege für mein Berufsleben eröffnet, mit denen ich definitiv nicht gerechnet habe.“
Der Artikel ist zuerst auf Englisch erschienen und anschließend ins Deutsche übersetzt worden.
Weitere Informationen
- Website von Sylby: https://sylby.com
Die Freie Universität Berlin fördert Unternehmensausgründungen mit der Service-Einrichtung Profund Innovation in der Abteilung Forschung. Profund Innovation unterstützt Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Alumni dabei, Anwendungsideen für ihre Forschung zu entwickeln, Start-ups oder Spin-Offs zu gründen sowie Forschungsergebnisse gemeinsam mit etablierten Unternehmen zu verwerten. Das EXIST-Gründerstipendium ist ein Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums und wird durch den Europäischen Sozialfonds kofinanziert.
- Mehr über das EXIST-Gründerstipendium an der Freien Universität Berlin
Im Frühjahr 2022 haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wieder Gelegenheit, Ideen für die Anwendung ihrer Forschung zu weiterzuentwickeln: Research to Market Challenge" ist ein Wettbewerb für forschungsbasierte Geschäfts- und Gründungsideen aus der Forschung der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin, der Technischen Universität Berlin und der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
In dem zweistufigen Wettbewerb können Angehörige und Alumni der beteiligten Organisationen ihre Ideen in deutscher oder englischer Sprache zu Papier zu bringen, als Wettbewerbsbeitrag einreichen und einen Plan für erste Schritte zur Umsetzung entwickeln.
Zu gewinnen gibt es die Teilnahme an einem Workshop zur Entwicklung eines Geschäftsmodells und Preisgelder in Höhe von insgesamt 11.000 Euro.