Library Track der International Staff Training Week an der Freien Universität Berlin
24.07.2024
Künstliche Intelligenz, intellektuelle Sacherschließung, Discord-Communities. Wie digital sieht die Zukunft der Bibliotheken aus? Unter dem Motto Ask AI? Libraries after Digital Transformations widmeten sich 20 internationale Kolleg*innen der Frage, wie Bibliotheken mit der Digitalisierung umgehen und sie für sich nutzbar machen können. Dazu zählt natürlich auch die aktuelle KI-Welle, die die Bibliotheken erobert – die die Bibliotheken aber auch für sich erobern können.
Im Juni lädt die Freie Universität Berlin seit 2016 jedes Jahr zur International Staff Training Week ein. FU-Mitarbeitende aus den Bereichen Kommunikation und Marketing, Innovationsmanagement, Mobilität, Strategie und Führung, Welcome Service und der Universitätsbibliothek gestalteten spannende Programme, die durch ein umfangreiches Rahmenprogramm ergänzt wurden, und luden internationalen Kolleg*innen dazu ein. So beschäftigten sich Hochschulmitarbeitende aus aller Welt in sechs verschiedenen Tracks mit Themen rund um ihre Arbeit. Am Programm des Library Track nahmen 20 Bibliotheksmitarbeitende aus 16 verschiedenen Ländern teil. Wir blicken zurück auf eine bereichernde und lehrreiche Woche und geben Ihnen einen Einblick.
Die Digitalisierung ist für Bibliotheken durchaus kein neues Thema: Seit die ersten Computer-Pools für Studierende in Bibliotheken angeboten werden, sind Bibliotheken bei jeder neuen Art der Digitalisierung dabei. Das heiße Thema der letzten Jahre ist dabei die Künstliche Intelligenz: Wie kann und sollte sie für Bibliotheken genutzt werden? Wie wird sie das Berufsbild beeinflussen? Und können Bibliotheken selbst an der cutting edge der KI-Entwicklung mitmischen? An drei Konferenztagen haben die Teilnehmenden aus aller Welt genau das diskutiert. Sie haben Input-Vorträge gehört, in Gruppen gearbeitet, Discord und die Gemeinsame Normdatei live gesehen und selbst Poster zu bibliothekarischen Digitalisierungsthemen erstellt. Dadurch haben sie sowohl Einblicke in die Lage in deutschen Bibliotheken bekommen als auch über Fortschritte in ihren Heimatbibliotheken diskutiert.
Auftakt
Nach einem Willkommenstag für alle rund 150 Teilnehmenden aus den 6 Tracks haben die „Librarians“ am Dienstag zunächst eine Einführung in die Strukturen des deutschen Bibliothekswesens und unserer Universitätsbibliothek erhalten. Dann gab es den ersten inhaltlichen Einstieg in das Thema KI: ein interaktiver Workshop über die Nutzung von KI in der wissenschaftlichen Praxis von Johanna Gröpler und Armin Glatzmeier aus der Universitätsbibliothek. Die Gäste haben in Gruppen verschiedene Stationen besucht, um sich über die Nutzung von KI im Studium in ihren Heimatinstitutionen auszutauschen.
Nach dem ersten Input haben die Teilnehmenden begonnen, an ihren gemeinsamen Postern zu arbeiten. Die Themen hatten sie schon in ihren Bewerbungen angegeben, und nun entwickelte sich ein reger Dialog. Die Gruppen gestalteten ihre Poster kreativ, um komplexe Zusammenhänge darzustellen.
Zukunftsfragenethische Aspekte & Rundgänge
Der Mittwoch startete mit einem Vortrag zum Thema „Disrupting Digital Monolingualism in Libraries“. Liaison Librarian für Area Studies Dr. Cosima Wagner beschäftigte sich hier unter anderem mit der Frage, ob und wie nichtlateinische Schriftsprachen in den digitalen Systemen der Bibliotheken - etwa dem Discovery System - abgebildet werden können. Hier schloss sich eine Diskussion über die Präsenz von kleinen und großen Sprachen in unseren Daten, Hegemonie und Ressourcenverteilung sowie Chancen und Herausforderungen, diesen ungleichen Verteilungen mit KI-basierten Übersetzungstools zu begegnen, an.
Im Anschluss stand das große Thema Sacherschließung und KI im Fokus. Unter der Überschrift „Digitization / Artificial Intelligence and Subject Indexing“ stellte der Leiter der Sacherschließung in der Zentralbibliothek und „Power Subject Indexer" Michael Franke-Maier zunächst das Feld der Sacherschließung vor. Darüber hinaus diskutiert er die möglichen Erleichterungen der aktuellen Arbeit durch KI-basierte Anwendungen - zeigte aber auch die Grenzen des maschinellen Indexierens auf und stellte die Vorzüge intellektueller Sacherschließung dar. Didaktisch und inhaltlich besonders gut gelungen war hier die Bearbeitung der Frage, was genau KI eigentlich sei. Hierfür stellte der Referent verschiedene, lang erprobte maschinelle Verfahren der Sacherschließung vor und fragte: "Ist das schon KI?" Die Teilnehmenden diskutierten diese Frage und berichteten davon ausgehend auch über Verfahren aus ihrem eigenen Arbeitsalltag.
Der dritte und letzte Input des Tages kam von Katharina Klappheck, Referent*in für feministische Digitalpolitik des Gunda Werner Institut der Heinrich Böll Stiftung. Ihr aktivierender Talk drehte sich um Gender Bias und KI, sprich um ethische Aspekte von KI. Hier diskutierten die Teilnehmenden über Diversität in den Trainingsdaten: Die Tatsache, dass KI-basierte Tools mitunter völlig falsche und damit auch gefährliche Ergebnisse generieren - etwa wenn Menschen im Rollstuhl von einer KI-basierten Software für E-Autos im Verkehr nicht als Menschen erkannt werden - und genderspezifische Ausschlüsse in und durch KI-Tools.
Nach der Mittagspause standen dann Bibliotheksbesichtigungen an, die sich großer Beliebtheit erfreuten: Die Campusbibliothek und die Philologische Bibliothek luden die internationalen Gäste zu ausführlichen, informativen Führungen ein, bei denen auch wir noch viel Neues erfuhren.
Über die klassische Bibliotheksarbeit hinaus - von Gamebrarians bis KI-Entwicklung
Der Donnerstag begann auf etwas andere Art: Sabrina Ramünke aus der Universitätsbibliothek stellte die Bibliothekar*innen-Community der Gamebrarians vor. Sie erzählte von deren Einfluss als professionelles Netzwerk, aber besonderes Interesse erweckte sie mit einer Live-Demonstration der Plattform Discord, über die die Gamebrarians sich vernetzen. Andere Communitymitglieder, die gerade online waren, haben den Teilnehmenden der Staff Week live zugewunken und sie gegrüßt, während Sabrina Ramünke die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten von Discord erklärte.
Martin Lee, der Direktor der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin, diskutierte mit den internationalen Gästen über ein digitales Mindset. Dabei stellte sich heraus, dass in anderen Ländern Urlaubsanträge teilweise per App bestätigt werden können - anderswo müssen sie aber weiterhin in doppelter Ausfertigung per Post verschickt werden. Eigentlich ging es in dem Vortrag aber über eine digitale Herangehensweise an neue Probleme und Aufgaben, und darüber wurde ausgiebig diskutiert.
Darauf aufbauend hielt Dr. Dennis Mischke aus der UB einen Vortrag über Digital Humanities in Bibliotheken. Er konnte innovative Ansätze und Konzepte darstellen, auch, weil es in keiner der Heimatbibliotheken der Gäste bisher ein Digital Humanities Team gibt. So wurden die Informationen über die Initiativen des Ada Lovelace Center for Digital Humanities besonders interessiert aufgenommen.
Der letzte Input eines langen, informativen Abschlusstages kam von Clemens Neudecker, der an der Staatsbibliothek zu Berlin das Forschungsprojekt „Mensch.Maschine.Kultur – Künstliche Intelligenz für das Digitale Kulturelle Erbe in der Staatsbibliothek zu Berlin" leitet. Er hat erklärt, wie genau Künstliche Intelligenz - oder vielmehr Maschinelles Lernen, wie wir erfahren haben - funktioniert. Dann hat er erläutert, wie Maschinelles Lernen einen wichtigen Beitrag für die Erschließung von Kulturerbe leisten kann - etwa durch Layout-Analyse für historische Zeitungen oder durch Named Entity Recognition, die Text besser vernetzt erschließt. Auch ethische Aspekte von KI wurden angesprochen, wie etwa der Energieverbrauch und der CO2-Ausstroß, den jede KI-Nutzung verursacht. Am Ende kamen die internationalen Gäste zu dem Schluss, dass KI einen wichtigen Beitrag für das Kulturerbe leisten kann - dass aber Bibliotheken auch eine wichtige Rolle in der KI-Landschaft haben, um Open Source-Angebote zu stärken und ethische Nutzungsweisen von KI weiterzuentwickeln.
Zum Abschluss stellten die internationalen Gäste sich gegenseitig ihre Poster vor. Dabei ging es um Themen wie Informationskompetenz, Technology Adoption, Zugänglichkeit, Search and Retrieval, und Digitalisierung von Beständen. Jede Gruppe führte ihre Diskussion mit den anderen Teilnehmenden fort, sodass zu allen Themen ein breiter Austausch erfolgte.
Den fünften und letzten Tag verbrachten die Teilnehmenden aller Tracks wieder gemeinsam. Ein Abschlussevent im Wassersportzentrum der Freien Universität am Wannsee rundete eine ereignisreiche, intensive und wunderbare Woche ab.