Zahlen, bitte!
Zahlenwelten: Computersimulationen wären ohne die moderne Hochleistungsmathematik nicht möglich. An der Berlin Mathematical School forschen Doktoranden und Studenten auch anwendungsbezogen.
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Mathematical School aus Berlin lockt mit ihrem Konzept Nachwuchs aus aller Welt
Von Oliver Trenkamp
Die Freie Universität Berlin ist in der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder auf ganzer Linie erfolgreich gewesen. In einer Artikelreihe stellen wir die als besonders förderungswürdig bewerteten Wissenschaftsprojekte näher vor. Heute berichten wir über die Berlin Mathematical School.
Wenn man ehrlich ist, hofft man ja immer ein bisschen, dass Mathematiker merkwürdige Menschen sind, dass sie weniger Spaß im Leben haben und sich eigentlich nur mit abgedrehten Computerprogrammen auskennen. Man hält sich an Klischees fest, die während der Schulzeit entstanden, als man an binomischen Formeln und Differentialgleichungen verzweifelte. Man hat es nie so ganz verwunden, dass es Menschen gibt, die sich damit wirklich auskennen, die schlau werden aus all den Zahlenkolonnen und der Formelsprache.
Und dann spricht man mit Michael Payne und Kristen Moore aus Australien. Sie feiern gerade die Eröffnung eines neuen Domizils der Berlin Mathematical School, BMS genannt, auf dem Campus der Freien Universität. Und sie widerlegen alle Klischees, die man sich insgeheim von Mathematikern zusammengebastelt hat: Sie sprechen eloquent und sehen nicht so aus, als hätten sie wenig Spaß im Leben – im Gegenteil. Insofern sind Michael Payne und Kristen Moore ganz passend, um die Graduiertenschule vorzustellen, an der sie studieren, denn auch die BMS hat wenig zu tun mit Klischees. Hier gibt es keine Grenzen zwischen der reinen, theoretischen Mathematik auf der einen und der angewandten Mathematik auf der anderen Seite. Das Motto lautet: „Mathematics as a whole“, Mathematik als Ganzes.
Hier bekommt der akademische Nachwuchs die Chance, im Schnelldurchgang auf hohem Niveau zur Promotion zu gelangen. Die 23-jährige Kristen Moore untersucht, mit welcher Geschwindigkeit sich Oberflächen ausbreiten. „Es ist nicht ganz einfach zu erklären“, sagt sie, aber es habe zu tun mit Raum-Zeit-Modellen und mit Physik. Seit Februar ist sie in Berlin und will in zweieinhalb Jahren mit ihrer Doktorarbeit fertig sein. Michael Payne, 25 Jahre, wird etwa ein Jahr länger hier sein. Denn er gehört zu den sogenannten Phase-eins-Studenten des Programms – einer Besonderheit der BMS: Das sind Studenten, die noch kein Diplom oder Master in der Tasche haben, sondern sich direkt nach dem Bachelor bewerben. In drei bis vier Semestern sollen sie auf Diplom-Niveau ausgebildet werden, müssen aber keine Diplomarbeit mehr schreiben – ein „quality exam“ reicht aus. So kann es nahtlos weitergehen, in die zweite Phase, in der man sich der Doktorarbeit widmet und in der sich Kristen Moore schon befindet.
Die BMS ist ein Gemeinschaftsprojekt der Mathematikfachbereiche der drei großen Berliner Universitäten: der Freien Universität, der Humboldt- und der Technischen Universität. Das Konzept der Graduiertenschule wird seit 2006 im Rahmen der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern gefördert. „Wir arbeiten wunderbar zusammen“, sagt Christof Schütte, stellvertretender Sprecher der BMS und Mathematik-Professor an der Freien Universität. Es sei zwar ein Kraftakt gewesen, die Stundenpläne der drei Fachbereiche aufeinander abzustimmen, doch sei es gelungen, weil alle wussten: „Nur miteinander bekommen wir es gut hin.“ Solche Kooperationen haben in der Berliner Mathematik-Szene schon fast Tradition: Gemeinsam mit dem Konrad-Zuse-Zentrum und dem Weierstraß-Institut haben die drei Universitäten bereits das Forschungszentrum „Matheon“ auf die Beine gestellt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit fast sechs Millionen Euro jährlich finanziert wird. BMS und Matheon wiederum können jetzt noch enger zusammenarbeiten, weil beide im selben Haus in der Arnimallee 6 untergebracht sind.
Mittlerweile besuchen mehr als 100 junge Mathematiker die BMS-Kurse und kommen in den Genuss einer intensiven Betreuung: Jeder Studierende bekommt einen Mentor an die Seite gestellt, zumeist einen Professor, der auch kurzfristig zu erreichen ist und bei fachlichen Problemen berät. Zudem erhält jeder einen eigenen Arbeitsplatz und etwa die Hälfte der Studenten ein Stipendium: In Phase eins gibt es bis zu 800 Euro, in Phase zwei bis zu 1350 Euro.
Wer sich an der BMS bewirbt, muss neben exzellenten Leistungen auch Englischkenntnisse mitbringen – gut die Hälfte der Studenten und Doktoranden kommt aus dem Ausland. Die BMS unterstützt die Studenten und Doktoranden auch, indem sie sich um Aufenthaltsgenehmigungen kümmert und bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Kindergartenplatz hilft.
Als Erster hat Tim Conrad das Programm erfolgreich absolviert: Wenige Tage nach seinem 30. Geburtstag hat er seine Doktorarbeit verteidigt und mit „summa cum laude“ abgeschlossen. Vor allem die gute Betreuung und das Vortragsprogramm haben Conrad an der BMS beeindruckt. Vorher hatte er Bio-Informatik an der Freien Universität studiert, „immer mit einem starken Interesse an der angewandten Mathematik“, wie er sagt. Auch seine Doktorarbeit verbindet Aspekte aus beiden Fächern: Es geht um statistische Methoden zur Analyse von Blutdaten. „Man könnte sagen, dass ich untersuche, wie sich statistisch messen lässt, ob Krankheiten Fingerabdrücke im Blut hinterlassen.“
Conrad arbeitet auch mit in der „Bio Computing Group“, einer Arbeitsgruppe, die sich unter anderem damit beschäftigt, zu berechnen, wie sich Moleküle bewegen. „Das ist unter anderem für die Entwicklung von Medikamenten wichtig“, sagt er. Viele Methoden, die für die Analyse der Molekülbewegungen entwickelt wurden, können auch in anderen Gebieten eingesetzt werden: So analysieren die Wissenschaftler Finanz- und Klimadaten sowie Daten zu Blutproteinen – auch hier versuchen sie, Muster zu erkennen. „Wir sind mittlerweile zum Beispiel ganz gut darin, auch in einer scheinbar total chaotischen Datenflut aus medizinischen Experimenten Krankheiten herauszulesen und für die klinische Diagnostik zu nutzen“, sagt Conrad. Wie eng vernetzt die Mathematiker in Berlin sind, zeigt sich auch daran, dass die „Bio Computing Group“ beteiligt ist an Projekten von „Matheon“ und BMS.
Die Eröffnung des neuen BMS-Domizils in der Arnimallee wird schnell – nach ein paar kurzen Reden der verantwortlichen Professoren – zu einer großen Party. Kristen Moore, Michael Payne, Tim Conrad und Christof Schütte feiern zusammen mit knapp 200 anderen Studenten, Doktoranden und Professoren. Sie haben Spaß, genauso wie jeder andere Mensch.
DIE BERLIN MATHEMATICAL SCHOOL
Gerüstet für exzellente Forschung
Die Berlin Mathematical School (BMS) gehört zu den Projekten der Freien Universität Berlin, die bereits in der ersten Runde des bundesweiten Exzellenzwettbewerbs im Jahr 2006 ausgezeichnet wurden. Im Juli dieses Jahres hat die BMS ihr neues Domizil auf dem Campus Dahlem bezogen. In dem Gebäude an der Arnimallee 6, dessen Fassade die Kreiszahl Pi ziert, forschen etwa 80 Wissenschaftler. Ihnen steht eine technische Infrastruktur zur Verfügung, die den Einsatz von Hochleistungsrechnern, modernsten Visualisierungsplattformen, 3D-Scannern und Druckern für komplexe Simulationen ermöglicht. FU