Springe direkt zu Inhalt

Zellen helfen, sich selbst zu helfen

Neue Wege in der Forschung gehen Wissenschaftler der Berlin-Brandenburg Schule für Regenerative Therapie

Neue Wege in der Forschung gehen Wissenschaftler der Berlin-Brandenburg Schule für Regenerative Therapie
Bildquelle: iStock

Berlin-Brandenburger Schule für Regenerative Therapien bildet Ärzte, Biologen und Ingenieure aus

Von Florian Michaelis

Die Freie Universität Berlin ist im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder auf ganzer Linie erfolgreich gewesen. In einer Artikelreihe stellen wir die als besonders förderungswürdig bewerteten Wissenschaftsprojekte näher vor. Heute berichten wir über die Berlin-Brandenburg School for Regenerative Therapies.

Die Chancen auf dauerhafte Heilung des 61-jährigen Patienten standen schlecht: Mit akutem Herzinfarkt kam er in die Klinik, eine Transplantation erschien zu riskant, die Ärzte schlossen den Mann zunächst an eine Herzpumpe an. Schließlich entschieden sich die Mediziner dafür, einen völlig neuen Weg auszuprobieren: Warum nicht die körpereigenen Stammzellen des Patienten nutzen? Sie entnahmen Knochenmark, extrahierten ein Zellkonzentrat und spritzten es dem Mann. Es dauerte einen Monat, bis sie die Herzpumpe abschalten und einen weiteren Monat, bis sie den Patienten entlassen konnten.

Das ist gut drei Jahre her und spielte sich am anderen Ende der Welt ab: Damals gelang es japanischen Ärzten zum ersten Mal in der Geschichte der Medizin, einen Patienten, der an einem Herzinfarkt litt, mit einer Stammzellen-Therapie zu heilen. Sie nutzten dabei zwei Eigenschaften der Stammzellen aus: Sie können sich einerseits immer wieder teilen, offenbar unbegrenzt; andererseits können aus ihnen alle Zellarten des menschlichen Körpers entstehen. Stammzellen sind die Alleskönner unter den Zellen. Das macht sie begehrt. Der medizinischen Forschung geht es darum, dem Körper zu helfen, sich selbst zu helfen: Wenn ein Organ krank ist oder beschädigt, wollen die Mediziner den körpereigenen Zellen auf die Sprünge helfen, es wieder herzustellen – körpereigene Gewebeheilung. Die Stammzellen-Variante ist dabei nur ein Beispiel für sogenannte Regenerative Therapien, andere sind der Einsatz von Implantaten oder die Transplantation von Knochenmark.

Was sich relativ leicht anhört, führt oft zu aufwendigen Verfahren und Therapien, bei denen die Medizin eng mit anderen Wissenschaften zusammenarbeiten muss. Damit die Stammzellen das Zellwachstum fördern können, brauchen sie eine Art Gerüst, einen Träger, auf dem sie überleben können: eine Matrix, wie es in der Fachsprache heißt. Die muss von Materialwissenschaftlern entwickelt werden. Biochemiker und Pharmazeuten müssen Erkenntnisse über bestimmte Wirkstoffe liefern. Auch beim Einsatz von Implantaten, die sowohl aus Medikamenten, Zellen und technischen Produkten bestehen, müssen die Forscher interdisziplinär arbeiten. Das Problem dabei: Allzuoft sprechen Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen unterschiedliche Sprachen.

Hier setzt die Arbeit der „Berlin-Brandenburg School for Regenerative Therapies“ (BSRT) an. Die Graduiertenschule wird seit vergangenem Herbst, nach einem Antrag der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der gemeinsamen medizinischen Fakultät von Freier Universität und Humboldt-Universität, im Rahmen der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern gefördert. Sie soll neue Therapien und Ausbildungskonzepte entwickeln und ermöglichen, dass Ingenieure, Ärzte, Biologen und Biochemiker ein Grundverständnis für die anderen Disziplinen entwickeln. „Gemeinsame Kommunikation heißt das Ziel“, sagt Georg Duda, Professor am Julius-Wolff-Institut und Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie der Charité. Er wird zusammen mit Hans-Dieter Volk, ebenfalls Professor an der Charité, für die Schule sprechen und sie leiten. „Wichtig ist uns dabei, dass die Doktoranden ihrer Disziplin treu bleiben“, sagt Duda, „wir wollen keine Generalisten ohne Tiefgang, sondern Spezialisten mit Vernetzung, sie sollen sich gegenseitig verstehen lernen.“ Er benutzt dafür ein Bild aus seinem Fachgebiet: Die Doktoranden sollen Rezeptoren für die ihnen fremden Disziplinen entwickeln – Rezeptoren sind Zellen oder Moleküle, die Reize wahrnehmen.

Nach eigenen Angaben ist das Konzept der Graduiertenschule bisher einmalig im internationalen Vergleich. „Wir versuchen, drei Welten zusammenzubringen“, sagt Duda, es gibt daher drei Ausbildungspfade: den medizinischen, den biologischen und den ingenieurwissenschaftlichen. Die Graduiertenschule verknüpft diese Pfade eng miteinander und bietet ihren Doktoranden auch Vorlesungen zu fachfremden Themen: So erfahren Ingenieure mehr über die Biologie und umgekehrt. Jeder Doktorand wird von mindestens zwei Professoren aus verschiedenen Fächern betreut. Die Geschäftssprache ist Englisch – schließlich kommen die jungen Wissenschaftler aus der ganzen Welt: aus Nord- und Südamerika, aus Australien und Asien. Gerade läuft das Bewerbungsverfahren, an dessen Ende 15 Doktoranden ihre Arbeit in Berlin aufnehmen werden. Neun haben in einer Startgruppe bereits mit ihren Projekten begonnen.

Auf vier Krankheitsfelder wird sich die Forschung der BSRT konzentrieren: auf Störungen des Immunsystems, auf Erkrankungen des Herzmuskels, auf beschädigte Knochen und Knorpel und auf das Nervensystem – hier vor allem auf Schlaganfälle, Alzheimer und Multiple Sklerose. Immer geht es darum, dem Körper zu helfen, sich selbst zu helfen – und das am besten, ohne dass Fremdstoffe zurückbleiben. Fehlt zum Beispiel nach einem Unfall einem Patienten ein Stück Knochen, wird ihm ein Implantat eingesetzt, das sich möglichst komplett auflösen soll, sobald sich die Zellen regeneriert haben. „Das können spezielle Polymere sein, also Kunststoffe“, erklärt Duda, „da müssen Ärzte und Materialwissenschaftler sich verstehen und eng miteinander arbeiten.“ Das Ziel sei nicht nur, dass das „Ersatzteil“ ebenso gut funktioniere wie das Original, sondern dass man es später nicht mehr als Ersatzteil erkennen könne.

Die Graduiertenschule kann für ihre Aufgaben auf breite Unterstützung bauen: 25 Professoren bilden die Fakultät. Und die BSRT arbeitet eng zusammen mit dem „Berlin-Brandenburg Centre for Regenerative Therapies“ – einer interdisziplinären Institution, die vom Bundesforschungsministerium und der Helmholtz-Gemeinschaft finanziert wird. Das Zentrum wiederum arbeitet daran, Therapiekonzepte, die auf Regeneration setzen, in die klinische Praxis zu übersetzen. Auch außeruniversitäre Einrichtungen sind beteiligt.