Universität als Zufluchtsort
In vielen Ländern weltweit ist die Wissenschaftsfreiheit massiv bedroht – und mit ihr sind es auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. An der Freien Universität finden einige Schutz und Unterstützung.
27.09.2022
In Sri Lanka wurde es zu gefährlich für ihn: Mohamed Shareef Asees musste aus dem pazifischen Inselstaat fliehen. Seit Jahren gibt es in dem Land politische Unruhen. Zuflucht fand der promovierte Politologe und Friedensforscher in Berlin. „Ich möchte eine feste Anstellung finden – in oder auch außerhalb der akademischen Welt – und mit meiner Familie in Deutschland bleiben“, sagt er. Demnächst wird Mohamed Shareef Asees sein erstes Seminar an der Freien Universität Berlin halten und einen Forschungsantrag einreichen.
Ähnlich wie ihm geht es auch anderen geflüchteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutschland. Doch der Neustart im fremden Land ist oft nicht leicht. Viele Hochschulen und Forschungseinrichtungen bieten deshalb Hilfe an. Die Freie Universität Berlin engagiert sich bereits seit vielen Jahren und ist Teil mehrerer Förderprogramme, darunter auch der „Academy in Exile“. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von vier Wissenschaftsinstitutionen unter der Leitung der Universität Duisburg-Essen. Seit fünf Jahren vergibt die „Academy in Exile“ Forschungsstipendien an geflüchtete Postdocs, die sich in ihren Heimatländern für Menschenrechte, Frieden und Demokratie eingesetzt haben. Eine große Chance: Die Fellows können bis zu zwei Jahre lang an den jeweiligen Partnerinstitutionen forschen und lehren. Ein erster wichtiger Schritt, um im deutschen Wissenschaftssystem Fuß zu fassen.
Forschende, die vor Krieg und Verfolgung flüchten müssen
Die Freie Universität hat bereits 27 Stipendiatinnen und Stipendiaten in einem Programm der „Academy in Exile“ aufgenommen, welches von der Mellon Foundation und Open Society Foundations gefördert wird. Die Forschenden kommen aus allen Teilen der Welt, unter anderem aus der Ukraine, der Türkei, aus Afghanistan und Hongkong. Sie mussten vor Krieg oder Verfolgung durch autoritäre Regime fliehen. „In diesen Ländern ist kritisches Denken und kreatives Forschen nahezu unmöglich“, sagt Achim Rohde, Ansprechpartner der „Academy in Exile“ an der Freien Universität Berlin. „Umso wichtiger ist es, dass sie einen sicheren Zufluchtsort finden.“
Dasselbe Ziel verfolgt auch ein weiteres Projekt: „Academics in Solidarity“, kurz AiS. Dahinter steht die Idee, geflüchtete Forscherinnen und Forscher durch ein deutschlandweites, transnationales Netzwerk und ein Mentoring-Programm zu unterstützen. Angesiedelt ist das Projekt an der Freien Universität Berlin. „Wer weiterhin in der Wissenschaft arbeiten möchte, muss Kontakte knüpfen, muss sich im höchst kompetitiven deutschen Wissenschaftssystem auskennen und jede Menge administrativen Papierkram bewältigen – wir stehen den geflüchteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dabei zur Seite“, erklärt Christina Rogers, Leiterin von AiS.
Es wird noch mehr Geld benötigt
„Wir unterstützen beispielsweise dabei, Forschungspartnerschaften aufzubauen und Anträge zu stellen; außerdem vergeben wir kleine Fördersummen.“ Auch Konferenzen, Fortbildungen und Publikationen sind Teil des Projekts. „Academics in Solidarity“ ist ein großer Erfolg, doch seine Zukunft erscheint trotzdem ungewiss. Finanziert wurde AiS bisher vor allem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Nach Kürzungen der Bundesmittel im laufenden Jahr fehlt nun das Geld, um das Projekt dauerhaft fortzuführen. AiS braucht dringend neue Mittelgeberinnen und -geber.
Die beiden Programme – „Academy in Exile“ und „Academics in Solidarity“ – ermöglichen es, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach ihrer Flucht schnell wieder ihre Forschungstätigkeit aufnehmen oder auch einen Berufsweg außerhalb der Wissenschaft beschreiten können. Das kann ein großer Gewinn für die deutsche Wissenschaft und Wirtschaft sein. Für exilierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wiederum ist die Unterstützung durch die Programme von unschätzbarem Wert
„Forschende wie ich, die nach Deutschland gekommen sind, stehen vor gewaltigen Herausforderungen bei der Arbeitssuche und beim Aufbau von Netzwerken“, sagt der aus Sri Lanka geflohene Politikwissenschaftler Mohamed Shareef Asees: „,Academics in Solidarity‘ hat mir sehr geholfen.“
Weitere Informationen
- Campusleben-Interview mit Florian Kohstall, Leiter Welcome Initiative und Begründer von AiS, über die erste Netzwerkkonferenz des Projekts „Academics in Solidarity“, erschienen am 18. November 2019