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Kein Typ nach Schema F

Wissenschaftlerteam bezweifelt die Aussagekraft von Typentests: „Persönlichkeit ist vielschichtig und veränderbar“

12.02.2020

Die Persönlichkeit eines Menschen ist vielschichtiger als es Typentests abbilden können.

Die Persönlichkeit eines Menschen ist vielschichtiger als es Typentests abbilden können.
Bildquelle: Picture-Alliance/ZUMAPRESS

Ein Test, der verrät, welcher Persönlichkeitstyp man ist? Eine schöne Vorstellung, aber leider nicht realistisch, wie Wissenschaftler der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Ulm einmal mehr belegt haben. Denn Persönlichkeit sei vielschichtig und wandelbar – und lasse sich nicht so einfach in ein Typen- Schema pressen.

„Der Streit, ob Persönlichkeit in Typen oder Dimensionen erfasst werden kann, ist schon sehr alt“, sagt Jan-Philipp Freudenstein vom Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin. Mittlerweile gebe es in der Wissenschaft aber einen großen Konsens, der für die dimensionale Erfassung von Persönlichkeit spreche. „Man geht dabei von fünf breiten Persönlichkeitsdimensionen aus – den sogenannten Big Five: Extraversion (die Neigung zur Geselligkeit und zum Optimismus), Verträglichkeit, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus. Sie werden einzeln erfasst und beschreiben als Gesamtbild eine menschliche Persönlichkeit.“

Persönlichkeitstypologien sind zu ungenau

In der Zeitschrift Nature Human Behaviour erschien kürzlich eine Studie, in der US-amerikanische Wissenschaftler der Northwestern University allerdings zu einer anderen Erkenntnis kamen: Sie hatten aus den Datensätzen von 1,5 Millionen Menschen, die im Zuge unterschiedlicher Studien erhoben worden waren und öffentlich zur Verfügung stehen, mittels Algorithmen vier robuste Persönlichkeitstypen identifiziert: den durchschnittlichen, den zurückhaltenden, den vorbildlichen und den selbstzentrierten Typ.

Jan-Philipp Freudenstein und seine Kollegen Christoph Strauch (Universität Ulm), Patrick Mussel (Freie Universität) und Matthias Ziegler (Humboldt-Universität) haben sich denselben Datensatz angesehen – und kamen zu einem anderen Ergebnis. „In unserer Analyse hat sich die Stabilität der benannten Typen nicht über alle Datensätze hinweg bestätigt. Es ließen sich außerdem nur 42 Prozent der Befragten – und damit viel weniger als erwartet – den vier Persönlichkeitstypen zuordnen. Auch die Wahrscheinlichkeit der Zuordnung lag in unserer Auswertung nur bei etwa 50 Prozent.“ Zu unsicher also, umwirklich verlässlich zu sein, schlussfolgerten die Wissenschaftler.

Persönlicheitsmuster sind sehr individuell

Auch bei Typologisierungen gehe man davon aus, dass sich eine Persönlichkeit aus den fünf breiten, unterschiedlich ausgeprägten Persönlichkeitsdimensionen zusammensetze, sagt Freudenstein. Es werde aber ein Prototyp definiert, und das sei problematisch. Denn in der Realität seien Persönlichkeitsprofile sehr heterogen. „Nehmen wir den von den US-amerikanischenWissenschaftlern beschriebenen Vorbild-Typ: Ein solcher Mensch ist aufgeschlossen, gewissenhaft und empathisch, dazu gesellig und wenig verletzlich. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass es viel weniger Menschen als angenommen gibt, die sich genau diesem einen (Proto-)Typ zuordnen lassen. Vielmehr ist es so, dass eben einige Menschen sehr extravertiert und verträglich sind, gleichzeitig aber weniger gewissenhaft. Im Grunde ist da jede Kombination möglich, in unendlich vielen Abstufungen.“ Persönlichkeitsmuster seien also deutlich individueller, als Typologisierungen es abbilden könnten.

Persönlichkeit ist veränderbar

Darüber hinaus sei Persönlichkeit veränderbar: Zum einen finde im Laufe des Lebens ein Wandel statt, beispielsweise zeige sich, dass Menschen mit steigendem Alter gewissenhafter und verträglicher würden. Zum anderen sei es möglich, die eigene Persönlichkeit aktiv zu entwickeln, sagt Freudenstein. „Und in diesem Punkt wissen wir einfach nicht genau, ob Typologien das mit abbilden können. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche feinen Veränderungen im Längsschnitt verlorengehen, wenn wir uns auf Typologisierungen verlassen, ist sehr hoch.“

Auch wenn man im Hinblick auf die Big Five vom sogenannten Goldstandard in der Persönlichkeitsmessung spreche, sei diese Art der Messung ebenfalls nicht perfekt, erklärt Freudenstein. „In Typologien werden diese dimensionalen Informationen wiederum reduziert – auf Typen, wodurch dieUnzulänglichkeiten beider Methoden kombiniert werden und entsprechend unzuverlässige Ergebnisse entstehen.“

Und die Konsequenz? „Ich würde dazu raten, Persönlichkeitstypentests mit Vorsicht zu genießen und etwa bei der Personalauswahl auf dimensionale Messinstrumente zu bauen“, sagt Freudenstein, der sich in seiner Forschungsarbeit damit beschäftigt, diese Mess-Methoden zu verbessern.

Wissenschaft als Dialog

Die Ergebnisse der deutschenWissenschaftler wurden als Kommentar zur ursprünglichen Studie ebenfalls in Nature Human Behaviour veröffentlicht – und dort wiederum von ihren US-amerikanischen Kollegen mit einem Beitrag beantwortet. Jan-Philipp Freudenstein freut sich über diese Diskussion: „Das ist ein schönes Beispiel, wie Forschung funktionieren sollte: indem eine Publikation nicht isoliert stehenbleibt, sondern sich ein Dialog über wissenschaftliche Erkenntnisse entwickelt.“