Springe direkt zu Inhalt

Die Emotionen der Forscher

Ein Team aus Ethnologen, Affenforschern und Literaturwissenschaftlern untersucht die Gefühle, die bei wissenschaftlichem Arbeiten eigentlich ausgeblendet sein sollten.

16.10.2012

Erzeugen solche gemeinsamen Abbildungen ein falsches Bild von der Natur des Affen? Katja Liebal in einer Auffangstation für Orang-Utans in Indonesien mit einem sieben Jahre alten Jungtier.

Erzeugen solche gemeinsamen Abbildungen ein falsches Bild von der Natur des Affen? Katja Liebal in einer Auffangstation für Orang-Utans in Indonesien mit einem sieben Jahre alten Jungtier.
Bildquelle: Katie Slocombe

Eine Bambushütte am Strand von Java. Hier landen diejenigen, die von der indonesischen Gesellschaft „ausgespuckt“ wurden: Kinder und Jugendliche, die von zu Hause weggelaufen sind und die Abstand brauchen von ihrem anstrengenden Leben auf den Straßen von Yogyakarta. Die lebendige Stadt ist einer der touristischen Anziehungspunkte auf der bevölkerungsreichsten indonesischen Insel. Thomas Stodulka ist hier, um zu arbeiten, der junge Ethnologe will seine Magisterarbeit schreiben. Seine erste Emotion ist Überraschung. Die Jugendlichen entsprechen so gar nicht dem Bild, das man als Europäer von Straßenkindern und Obdachlosen hat. Sie sind höflich, freundlich und interessiert, sie bieten Tee und Süßigkeiten an.

In den folgenden sechs Monaten durchlebt Thomas Stodulka heftige, zum Teil widersprüchliche Gefühle: Bewunderung für die Art, wie sich die Jugendlichen ohne Geld und Unterkunft durchschlagen, und Ärger über die Gesellschaft, die es ihnen so schwer macht. Es folgen Anziehung und Abstoßung, Euphorie und Erschöpfung. Heute, elf Jahre später, will er diese Emotionen zu einem Forschungsthema machen. „Objektivität und Emotion wurden in der Wissenschaft lange Zeit als Gegensätze gesehen. Das wollen wir infrage stellen“, sagt Thomas Stodulka. Mit Katja Liebal, Affenforscherin und Juniorprofessorin für Evolutionäre Psychologie an der Freien Universität Berlin, und Oliver Lubrich, Professor für Komparatistik und Neuere deutsche Literatur an der Universität Bern – zuvor Juniorprofessor für Rhetorik der Emotion an der Freien Universität – , hat er zwei Mitstreiter gefunden. Gemeinsam rücken sie nun die Gefühle in den Blickpunkt, die sonst aus Forschungsprozessen ausgeblendet werden. Ziel des Projekts „Die Affekte der Forscher“ ist es, diese für die Wissenschaft und deren Verständnis nutzbar zu machen. Die VolkswagenStiftung fördert dieses Vorhaben in der Reihe „Schlüsselthemen für Wissenschaft und Gesellschaft“ bis 2016 mit 750 000 Euro.

An dem Projekt sind drei sehr unterschiedliche Disziplinen beteiligt – eine Geistes-, eine Natur- und eine Sozialwissenschaft. Die Wissenschaftler wollen nicht nur „nebeneinander forschen“, erläutert Oliver Lubrich. Alle Studien im Rahmen von „Die Affekte der Forscher“ sind eng miteinander verzahnt. Sie kombinieren Methoden aus den beteiligten Disziplinen auf jeweils eigene Art. Dabei sollen die Emotionen von Ethnologen und Affenforschern, sogenannten Primatologen, nicht bloß durch Selbstbeobachtung der beteiligten Wissenschaftler protokolliert werden, sondern auch durch Erhebung bei anderen Forschern empirisch-quantitativ erfasst und in deren Schriften rhetorisch untersucht werden.

So wollen die beiden Doktoranden aus der Literaturwissenschaft, die am Projekt beteiligt sind, Reise-Reportagen, Feldtagebücher und Berichte von Primatologen analysieren. Sie entschlüsseln die Bedeutung einzelner Gefühle, und sie erkennen Dramaturgien, welche die Gefühle von Forschern oder Reisenden während eines Aufenthalts in der Fremde regelmäßig durchlaufen. Solche Affektverläufe finden sich bereits in den Tagebüchern von Forschungsreisenden wie Alexander von Humboldt oder Charles Darwin, berichtet der Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich. Nur habe man diese Texte noch nicht unter jenem Blickwinkel betrachtet.

Auf Augenhöhe begegnen: Der Wissenschaftler Thomas Studulka nimmt während einer Demonstration in Yogyakarta die Perspektive von Straßenkindern ein.

Auf Augenhöhe begegnen: Der Wissenschaftler Thomas Studulka nimmt während einer Demonstration in Yogyakarta die Perspektive von Straßenkindern ein.
Bildquelle: Agung Prihartono

Um eine Vergleichbarkeit herzustellen, werden alle Studien am Beispiel Indonesiens vorgenommen. Wechselseitige Hospitanzen in der Feldforschung ermöglichen es, an den Erfahrungen der anderen beteiligten Wissenschaftler teilzuhaben: „Gerade, wenn es um Affekte im Feld geht,“ sagt Oliver Lubrich, „scheint es mir unerlässlich, dass Literaturwissenschaftler nicht am Schreibtisch verharren, sondern auch vor Ort erfahren, wie Feldforschung tatsächlich funktioniert.“

Auch in der Primatologie müssen Forscher, die eigentlich eine neutrale Rolle einnehmen sollen, mit ihren eigenen Emotionen umgehen. Sie bauen etwa zu bestimmten Tieren eine engere Bindung auf, wie Katja Liebal berichtet. Zudem müsse man als Wissenschaftler Verhalten, das aus menschlicher Sicht verabscheuungswürdig und furchtbar sei – etwa die „Vergewaltigung“ eines Primatenweibchens durch ein Männchen – akzeptieren und nicht mit menschlichen Maßstäben messen.

In welchem Maße aber Emotionen, Erfahrungen oder auch Vorurteile im Forschungsprozess von Bedeutung sind und eventuell auch die Auswertung scheinbar neutraler Daten beeinflussen, sei in der Primatologie – ähnlich wie in der Ethnologie – bisher kaum systematisch erforscht worden, meint Katja Liebal. Dass sie aber bei vielen populären Büchern der Primatologie eine Rolle spielen, scheint nicht unwahrscheinlich: So stellt beispielsweise der berühmte Verhaltensbiologe Frans de Waal in „Das Prinzip Empathie“ Tiere als die besseren Menschen dar, und bedeutende Freilandforscher wie Richard Wrangham streichen eher die kriegerische Seite des Zusammenlebens von Primaten heraus.

„Wenn mir jemand vor drei Jahren die Frage gestellt hätte, ob ich eine Schnittstelle zwischen Primatologie und Literaturwissenschaft sehen kann, hätte ich dies mit Sicherheit verneint“, sagt Katja Liebal. Das habe sich durch die gemeinsame Arbeit am Exzellenzcluster Languages of Emotion verändert. Die interdisziplinäre Arbeit eröffne ihr eine ganz andere Perspektive auf die eigene Disziplin. „Ich hinterfrage die theoretischen Grundlagen, wir versuchen Methoden der einen Disziplin auf die andere zu übertragen und stellen dabei immer wieder fest, dass es diverse Gemeinsamkeiten gibt – und auch noch viele Fragen, die wir durch die Kombination unserer Perspektiven und Expertisen hoffentlich am Ende des Projektes beantworten können.“