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Ein Krieg mit mehr als zwei Parteien

Der amerikanische Historiker Timothy Nunan forscht an der Freien Universität zur Bedeutung des Nahen Ostens während des Kalten Krieges

22.02.2017

„Der Kalte Krieg war nicht nur ein Kampf zwischen Ost und West“, sagt der Historiker Timothy Nunan.

„Der Kalte Krieg war nicht nur ein Kampf zwischen Ost und West“, sagt der Historiker Timothy Nunan.
Bildquelle: Bernd Neeser / iStock

Timothy Nunan forscht an der Freien Universität zur Rolle des Nahen Ostens im Kalten Krieg.

Timothy Nunan forscht an der Freien Universität zur Rolle des Nahen Ostens im Kalten Krieg.
Bildquelle: Manuel Krane

Der Kalte Krieg wird vielfach als Auseinandersetzung zwischen Ost und West beschrieben. Wenig Beachtung fand dabei bisher der Nahe Osten als weiterer Schauplatz dieser weltpolitischen Auseinandersetzung. Timothy Nunan, der an der Princeton University studiert hat und in Oxford promoviert wurde, will das ändern.

Nunan forscht zur Rolle des Nahen Ostens im Kalten Krieg. Sein Forschungsvorhaben trägt den Titel „The Cold War's Clash of Civilizations: The Soviet Union, the Left, and the International Origins of Islamism“ (Der Zusammenprall der Zivilisationen im Kalten Krieg: die Sowjetunion, die Linke und die internationalen Wurzeln des Islamismus). Nunans Projekt, das am Friedrich-Meinecke-Institut für Geschichtswissenschaft der Freien Universität angesiedelt ist, wird von der VolkswagenStiftung im Rahmen des Freigeist-Fellowship-Programms gefördert.

„Zur Zeit des Kalten Krieges sind viele Staaten im Nahen Osten durch eine der beiden Blockmächte gefördert worden, die sich damals gegenüber gestanden haben“, führt Timothy Nunan aus. Der Konflikt zwischen der UdSSR und den Ländern des Warschauer Pakts auf der einen Seite und den NATO-Staaten auf der anderen Seite sei in den jeweiligen Ländern aber nie von zentraler Bedeutung gewesen, sagt der Historiker. „Der Unterschied zwischen Kapitalismus und Kommunismus wurde in diesen Ländern als eine Wahl zwischen zwei westlichen Entwicklungsmodellen wahrgenommen“, sagt er, „vielen Geistlichen und Intellektuellen im Nahen Osten ging es aber darum, islamische Gesellschaften aufzubauen.“

Versuche von Ost und West, in der islamischen Welt Verbündete zu finden und dadurch eine Art Sicherheitsgürtel aufzubauen, seien zwar anfangs erfolgreich gewesen, sagt der Historiker: So hätten die Staaten im Nahen Osten die Mittel der Blockmächte zur Entwicklungshilfe gern angenommen. Die wirtschaftliche Entwicklung, die sich die Staaten des Nahen Ostens durch die Hilfe der Blockmächte erhofft hätten, sei allerdings ausgeblieben. In den 1970er Jahren habe sich daher dort Enttäuschung breitgemacht.

„Die Menschen in den islamischen Staaten wollten damals zurück zu den Wurzeln, zu einer authentischen Lebensweise“, sagt Nunan. Die bestehenden Systeme sollten stärker islamisch geprägten Staaten weichen. Ein erster Erfolg sei in dieser Hinsicht die Iranische Revolution gewesen, während derer sich im Jahr 1979 Schiiten um Ajatollah Chomeini durchsetzten. Dass der Iran fortan schiitisch regiert wurde, sei von Machthabern der Staaten mit einem großen sunnitischen Bevölkerungsanteil als Bedrohung empfunden worden, erläutert der Wissenschaftler.

Krieg innerhalb der islamischen Welt

Timothy Nunan leitet die Forschungsfrage, wie der Kampf gegen den Sozialismus sich zu einem Krieg innerhalb der islamischen Welt entwickeln konnte. „Von den 1980er Jahren an waren die Schiiten für die Sunniten eine größere Bedrohung, als es die USA oder die Sowjetunion waren“, sagt Nunan. Die USA hätten die sunnitischen Mudschaheddin in Pakistan und Afghanistan unterstützt, allerdings, sagt Nunan, ohne zwischen den unterschiedlichen Glaubensrichtungen im Islam zu unterscheiden.

„Man hat weder in Washington noch in Moskau begriffen, dass der Kampf in Afghanistan und anderswo einen sektiererischen Kampf überlagerte“, sagt der Historiker. Während Staaten wie der Irak, Saudi-Arabien und Kuwait versucht hätten, die Ausbreitung des Einflusses des revolutionären Irans durch den Iran-Irak-Krieg im Westen einzudämmen, hätten sie gleichzeitig antischiitische islamische Milizen in Afghanistan unterstützt, um auf diese Weise eine Art Sicherheitsring um den Iran zu ziehen.

Der Kalte Krieg sei spätestens seit den 1980er Jahren nicht mehr ausschließlich als Ost-West-Konflikt zu verstehen, betont der Historiker. „Wir tendieren aber dazu, uns als den Hauptgegenstand der Außenpolitik unseres Gegners wahrzunehmen – ohne dass dies zwangsläufig auch so war“, sagt der US-Amerikaner Timothy Nunan mit Blick auf sein Heimatland.

Die Entstehung und Ausbreitung des sogenannten Islamischen Staates kann nach Nunans Ansicht auch als Spätfolge des Kalten Krieges gelesen werden: Seit der Islamischen Revolution habe sich die Glaubensrichtung der Schiiten im Nahen Osten ausgebreitet. Als im Jahr 2003 der säkulare irakische Diktator Saddam Hussein gestürzt wurde – und mit ihm die regierende Baath-Partei – hätten sich im Irak Schiiten etablieren können. Dies sei von den Sunniten als Gefahr angesehen worden, weshalb sich infolgedessen der sunnitisch geprägte „Islamische Staat“ gegründet habe. „Es geht also vor allem um einen Kampf zwischen Sunniten und Schiiten und viel weniger um einen Kampf gegen die westliche Welt“, sagt Nunan.

Recherchen in Russland und Afghanistan

Der US-Historiker spricht neben seiner Muttersprache auch Russisch und Persisch; Arabisch will er in den kommenden Jahren lernen. „Die wichtigsten Texte für mein Forschungsvorhaben sind in russischer und persischer Sprache verfasst“, sagt er. Es sei für das Verständnis seines Themas wichtig, die Sprachen mehrerer Konfliktparteien zu beherrschen. Bis 2021 will Nunan sein Forschungsprojekt abgeschlossen haben, dann soll auch ein Buchmanuskript fertig sein. In den kommenden Jahren sind Recherchereisen nach Russland und Afghanistan geplant.

Berlin liege als Mittelpunkt des Kalten Krieges nicht nur geografisch günstig, sagt der Historiker. Er habe sich bewusst für das Friedrich-Meinecke-Institut (FMI) der Freien Universität als Forschungsort für sein Projekt entschieden. Er schätzt besonders dessen wissenschaftlich breite Ausrichtung: „Ich erhoffe mir, dass ich es dort mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu tun habe, mit denen ich über internationale Verflechtungen, die Rolle von Religionen und viele andere Dinge sprechen kann, die mein Forschungsprojekt berühren.“

Das Freigeist-Fellowship wird von der Volkswagen-Stiftung für fünf Jahre vergeben. Durch die Förderung will die Stiftung Postdoktoranden unterstützen, die – so formuliert es die Stiftung – „Spaß am kreativen Umgang mit Unerwartetem“ haben, „auch mit unvorhergesehenen Schwierigkeiten“.

Weitere Informationen

Timothy Nunan, Freie Universität Berlin, Friedrich-Meinecke-Institut, Koserstraße 20, 14195 Berlin, E-Mail: Timothy.Nunan@fu-berlin.de