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Studie: Mitgliedschaft der Grünen legte 2019 um mehr als 28 Prozent zu / Zugewinne für alle Oppositionsparteien mit Ausnahme der Linkspartei / SPD und CDU mit Verlusten / SPD bleibt mitgliederstärkste Partei

Politologe Prof. Dr. Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin analysiert neue Zahlen der Mitgliederentwicklung der politischen Parteien in Deutschland

Nr. 149/2020 vom 31.08.2020

Die Partei Bündnis 90/Die Grünen hat einer Studie des Politologen Prof. Dr. Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin zufolge im Jahr 2019 einen Boom bei der Zahl der Mitglieder verzeichnet. Sie legte um 28,2 Prozent zu. Gewinne gelangen auch der AfD mit einem Plus von 3,7 Prozent, der FDP mit einem Zuwachs von 2,5 Prozent und der CSU mit 0,6 Prozent zusätzlichen Mitgliedern. Die mit 4,2 Prozent stärksten Einbußen musste die SPD hinnehmen, gefolgt von der CDU mit minus 2,2 Prozent. Als einzige Oppositionspartei musste die Linkspartei einen Rückgang hinnehmen, ihr Minus betrug 1,9 Prozent. Mitgliederstärkste Partei bleibt die SPD; sie behauptet diesen Platz seit dem Jahr 2016. Die Ergebnisse basieren auf Angaben der Mitgliederverwaltungen der Parteien. Die Studie erschien in der jüngsten Ausgabe (2/20) der Zeitschrift für Parlamentsfragen. Alle Daten sowie zusätzliche Tabellen und Schaubilder enthält ein Arbeitspapier der Freien Universität:

https://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/empsoz/team/ehemalige/Publikationen/schriften/Arbeitshefte/P-PMIT20_Nr_31.pdf

Die Rangfolge der im Bundestag vertretenen Parteien – gemessen an der Zahl der Mitglieder – blieb der Erhebung zufolge im Jahr 2019 unverändert: Der Rückgang führte bei der SPD zu einer Mitgliederzahl von 419.340 Ende des Jahres 2019. Die CDU als zweitgrößte Partei erreichte 405.816 Mitglieder. Drittstärkste Partei blieb die CSU, die Ende vergangenen Jahres 139.130 Mitglieder verzeichnete. Bündnis 90/Die Grünen als viertgrößte Partei legten auf 96.487 Mitglieder zu. „Bei den Grünen spiegelt die Mitglieder-Entwicklung von 2019 die Erfolgsgeschichte der Partei in den Umfragen wieder“, sagt Prof. Dr. Oskar Niedermayer. Ein solcher Zuwachs sei in der Geschichte der Partei nur 1983 übertroffen worden. Fünftgrößte Partei blieb der Studie zufolge die FDP mit 65.479 Mitgliedern zum Jahresende, gefolgt von der Linken mit 60.862 Mitgliedern auf Platz 6 und der AfD mit 34.751 Mitgliedern auf Platz 7.

„Betrachtet man statt der absoluten Mitgliederzahlen die Rekrutierungsfähigkeit der Parteien – also den Anteil der Parteimitglieder an den jeweiligen Parteibeitrittsberechtigten – dann verändert sich die Rangordnung zwischen den Parteien“, betont Oskar Niedermayer. Zu berücksichtigen sei, dass die Parteien auch 2019 ein unterschiedliches Mindestalter für einen Parteieintritt gehabt hätten– 16 beziehungsweise 14 Jahre – und dass die CDU, anders als alle anderen Parteien mit Ausnahme der CSU nur außerhalb Bayerns Mitglieder gewinnen könne und die CSU auf Bayern beschränkt sei. Die CDU erreichte 2019 ungeachtet dieses Nachteils der Studie zufolge – wie durchgehend seit 1999 – einen höheren Rekrutierungswert als die SPD: Die CDU kam auf rund 0,68 Prozent (2018: 0,69 Prozent) der Bevölkerung ohne Bayern ab 16 Jahren, während die SPD auf rund 0,58 Prozent (2018: 0,60 Prozent) der gesamtdeutschen Bevölkerung ab 14 Jahren kam. Beide Parteien lagen bei dieser Betrachtung allerdings weiterhin deutlich hinter der CSU. Sie zählte 1,24 Prozent (unverändert zu 2018) der Bevölkerung Bayerns ab 16 Jahren als Mitglieder. Die Werte der Rekrutierungsfähigkeit der derzeitigen Oppositionsparteien lagen deutlich darunter: Bündnis 90/Die Grünen kamen auf 0,13 (2018: 0,10 Prozent) und steigerten damit als einzige Partei ihren Wert. Die FDP erreichte einen Wert von 0,09 Prozent (2018: ebenfalls 0,09 Prozent). Die Linkspartei erreichte 0,08 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren als Mitglieder (2018: 0,09 Prozent), die AfD 0,05 Prozent (2018: ebenfalls 0,05 Prozent). CDU/CSU gemeinsam kamen auf einen Rekrutierungswert von 0,77 Prozent (2018: 0,78 Prozent).

Die Rekrutierungsfähigkeit über die Parteigrenzen hinweg sei in den vergangenen drei Jahrzehnten deutlich gesunken, unterstreicht der Politologe. „So waren insgesamt 1980, nach dem Hinzukommen der Grünen, in der alten Bundesrepublik knapp vier Prozent der beitrittsberechtigten Bevölkerung in einer der fünf Parteien organisiert.“ Dies habe knapp zwei Millionen Bürgern der alten Bundesrepublik entsprochen. „Ende 1989 waren es noch 3,6 Prozent, nach der Vereinigung und dem Hinzukommen der damaligen PDS 3,7 Prozent“, führt Oskar Niedermayer aus. Ende 2019 hätten, trotz des Hinzukommens der AfD, nur noch 1,7 Prozent der beitrittsberechtigten Bevölkerung einer der sieben im Bundestag vertretenen Parteien angehört. „Insgesamt war trotz des Hinzukommens neuer Parteien bis Ende 2016 eine kontinuierlich abnehmende gesellschaftliche Verankerung des gesamten Parteiensystems zu beobachten“, stellt der Wissenschaftler fest. Die Bundestagswahl 2017 habe eine leichte Erholung gebracht, die aber Ende 2019 schon wieder fast aufgezehrt sei.

In der Studie wurde auch die Rekrutierungsfähigkeit der Parteien in den einzelnen Bundesländern analysiert. „Die Rekrutierungsfähigkeit der einzelnen Parteien ist regional sehr unterschiedlich ausgeprägt“, konstatiert Oskar Niedermayer. Bei der CDU – mit Ausnahme von Thüringen – sowie bei der SPD und den Grünen und der FDP bildeten die ostdeutschen Bundesländer nach wie vor das Schlusslicht. Dies gelte bei der FDP zudem für Bayern. „Die Linkspartei ist von ihrer Mitgliederverteilung her immer noch eine ostdeutsche Regionalpartei, die im Westen eine geringe Organisationsbasis aufweist.“ Auch das lange Zeit rekrutierungsstarke Saarland sei deutlich zurückgefallen. Aber auch in ihren ostdeutschen Hochburgen hat die Linkspartei nicht annähernd die Rekrutierungsfähigkeit von CDU, CSU und SPD in den westdeutschen Bundesländern erreicht“, sagt der Wissenschaftler. Bei der AfD, bei der der Mitgliederzuwachs im Osten deutlich stärker verlaufe als im Westen, verschöben sich die Werte zugunsten der ostdeutschen Bundesländer, die 2019 in der Rekrutierungsfähigkeit die ersten vier Plätze einnahmen. Eine Sonderrolle spiele Sachsen-Anhalt, das 2017 noch den 11. Platz eingenommen habe und nun auf Platz 4 vorgerückt sei. „Nimmt man alle Parteien zusammen, so findet sich der mit Abstand höchste Anteil an Parteimitgliedern im Saarland“, hebt der Wissenschaftler hervor. Dort seien Ende 2019 rund 4,3 Prozent der beitrittsberechtigten Bevölkerung Mitglied in einer der sechs Parteien gewesen, gefolgt von Rheinland-Pfalz mit 2,4 Prozent. „Das Schlusslicht bildeten Sachsen und Sachsen-Anhalt mit weniger als 0,9 Prozent, gefolgt von den anderen drei ostdeutschen Bundesländern.“

„Betrachtet man den gesamten Zeitraum seit 1990, so haben alle Parteien mit Ausnahme der Grünen und der AfD Mitglieder verloren, wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße“, betont der Politologe. Am stärksten habe es die Linke getroffen, die – trotz des Zuwachses durch die Fusion von PDS und WASG im Juli 2007 – Ende 2019 mehr als 78 Prozent weniger Mitglieder hatte als die PDS Ende 1990. „Die FDP verlor seit 1990 61 Prozent ihrer Mitglieder, die SPD knapp 56 Prozent, die CDU knapp 49 Prozent und die CSU gut 25 Prozent“, erläutert Oskar Niedermayer. „Die AfD hingegen konnte seit ihrer Gründung 2013 ihre Mitgliedschaft fast verdoppeln; sie kam auf einen Zuwachs von 96,5 Prozent.“ Die Grünen hätten ihre Mitgliedschaft seit 1990 um mehr als 133 Prozent gesteigert. „Nimmt man aber alle Parteien zusammen, so ist die Zahl der Parteimitglieder seit 1990 um knapp die Hälfte gesunken“, sagt der Wissenschaftler.

Die Entwicklung der Mitgliederzahlen in den einzelnen Bundesländern ist der Erhebung zufolge 2019 für die Parteien sehr unterschiedlich verlaufen. „Die CDU verlor wieder fast flächendeckend: Lediglich in Berlin stagnierte die Mitgliederzahl“, stellt der Wissenschaftler fest. In Bayern habe die CSU leicht um 0,6 Prozent zulegen können. Bei der SPD seien die Mitgliederzahlen 2019 in allen 16 Bundesländern mehr oder weniger stark zurückgegangen. Im Jahr 2018 war die regionale Entwicklung bei der SPD noch uneinheitlich gewesen sei – acht Bundesländer hatten 2018 einen mehr oder minder starken Mitgliederrückgang hinnehmen müssen, in fünf Ländern hatten sich die Zahlen leicht erhöht, und Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen konnten einen deutlichen Zuwachs verbuchen. „Die FDP hingegen konnte ihre Mitgliedschaft in 14 von 16 Bundesländern steigern, und die Grünen legten flächendeckend in hohem Maße zu“, erläutert der Wissenschaftler. Am stärksten sei dies Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg gelungen, wo die Partei nach der Landtagswahl auch zur Regierungspartei aufstieg. Die Linkspartei verlor der Studie zufolge in allen ostdeutschen Bundesländern weiterhin Mitglieder; auch in Berlin, Schleswig-Holstein und sehr stark im Saarland seien die Zahlen zurückgegangen. „Die AfD, die 2018 überall zugelegt hatte, musste 2019 in fünf Bundesländern Verluste hinnehmen, mit Abstand am stärksten in Bremen, ihrem ohnehin mitgliederschwächsten Landesverband“, hält Oskar Niedermayer fest.

„Betrachtet man die Parteien nach dem Anteil der Frauen an den Mitgliedschaften, so gibt es wie in den Vorjahren große Unterschiede“, sagt Oskar Niedermayer. Den mit 17,8 Prozent geringsten Anteil habe die AfD; die CSU liege bei 21,3 Prozent. Einen mit 21,6 Prozent ähnlichen Wert verzeichne die FDP. Die CDU kommt der Studie zufolge auf 26,5 Prozent, bei der SPD sind ein 32,8 Prozent ihrer Mitglieder Frauen. Auf Platz 2 der Parteien liegt die Linkspartei mit 36,4 Prozent, auf Platz 1 kommt Bündnis 90/Die Grünen mit 41 Prozent. Im Jahr 2019 hat sich der Frauenanteil im Vergleich zum Jahr 2018 bei allen Parteien – mit Ausnahme von Linkspartei und FDP, wo er unverändert blieb – leicht erhöht. Die Zuwächse lagen zwischen zwei Zehntelpunkten und fünf Zehntelpunkten.

In der Altersstruktur der Parteien bestanden der Studie zufolge auch im Jahr 2019 große Unterschiede. „Der Anteil der jüngeren Mitglieder bis 30 Jahre ist im Jahr 2019 insbesondere bei den Grünen, aber auch bei der FDP und der Linkspartei gestiegen“, hebt Oskar Niedermayer hervor. Er liege jetzt bei Bündnis 90/Die Grünen bei knapp 18 Prozent, bei der FDP bei 17 Prozent und bei der Linken bei etwa 19 Prozent. „Die CDU kommt immer noch auf einen Anteil von unter 6 Prozent, und bei der CSU ist der Anteil der bis 30-Jährigen nach einem zwischenzeitlichen Abfall wieder auf etwas mehr als 5 Prozent gestiegen“, erläutert der Politologe. Bei der SPD sei der Anteil Jüngerer nach einem zwischenzeitlichen Anstieg wieder auf knapp 8 Prozent gefallen. „Bei den Christdemokraten und der SPD ist die absolute Mehrheit der Mitglieder älter als 60 Jahre, bei der Linkspartei war dies bis 2015 der Fall, jetzt liegt der Anteil bei 44 Prozent. Bei der FDP ist ein Drittel der Mitglieder älter als 60 Jahre, bei den Grünen nur knapp 24 Prozent“, sagt Oskar Niedermayer. Für die AfD lägen keine Zahlen vor. „Betrachtet man das Durchschnittsalter aller Mitglieder, so sind die Grünen mit 48 Jahren die ,jüngste‘, die CSU und SPD mit einem Durchschnitt von 60 und die CDU mit 61 Jahren die ,ältesten‘ Parteien“, konstatiert der Wissenschaftler. Die Mitglieder der FDP hätten ein Durchschnittsalter von 51 Jahren, die der Linkspartei von 55 Jahren. Für die AfD lagen auch hier keine Zahlen zur Auswertung vor.

Oskar Niedermayer, geboren 1952 in Schönau bei Heidelberg, lehrte bis 2017 fast ein Vierteljahrhundert am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität; er führt die 2001 begonnene Parteienstudie im Ruhestand fort. Basis des jährlich erscheinenden systematischen Überblicks über die Entwicklung, regionale Verteilung und sozialstrukturelle Zusammensetzung der Mitgliedschaften sind Daten der Parteien. Oskar Niedermayer studierte Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre und Politische Wissenschaft an der Universität Mannheim. Er promovierte mit summa cum laude über das Thema „Europäische Parteien? Zur grenzüberschreitenden Interaktion politischer Parteien im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft“ und habilitierte sich 1988 im Fach Politische Wissenschaft an der Universität Mannheim. Oskar Niedermayer lehrte an den Universitäten Mannheim, Konstanz und Heidelberg und war mehrere Jahre lang Direktor des Zentrums für Europäische Umfrageanalysen und Studien (ZEUS). Im Jahr 1993 folgte er dem Ruf an die Freie Universität Berlin. Zu seinen Schwerpunkten zählten Politische Soziologie, das politische System Deutschlands, Europaforschung und Methoden der Politikwissenschaft.

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Prof. Dr. Oskar Niedermayer, Telefon: 0175-2551174 , E-Mail: oskar.niedermayer@fu-berlin.de

Literatur