Licht-Materie-Zwitter in künstlichen Goldkristallen
Forschungsteams unter Federführung der Freien Universität entwickeln neue Materialien
Nr. 133/2020 vom 29.07.2020
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität Berlin, der Universität Hamburg und der Bundesuniversität von Ceará in Brasilien haben gezeigt, dass Kristalle aus winzigen Goldkugeln Licht binden können. Mit einem solchen Material lasse sich Licht einfangen, oder es könnte in der Zukunft Grundlage für Computer sein, die mittels Licht rechnen. Die Erkenntnisse der Forschungsgruppe unter Leitung der Physikprofessorin Stephanie Reich von der Freien Universität Berlin sind in der jüngsten Ausgabe von „Nature“ erschienen.
„Das von uns hergestellte Material besteht aus Gold, aber es schimmert rosa und türkis“, sagt Dr. Niclas Müller, Physiker an der Freien Universität Berlin. Die künstlichen Kristalle bestehen aus winzigen Goldkügelchen, sogenannten Nanopartikeln aus Gold, und sie binden Licht. „Ein Lichtstrahl wird im Kristall gleichsam zu einem Zwitter aus Licht und Materie, in diesem Fall zu angeregten Elektronen im Gold“, erläutert die Forschungsgruppenleiterin, Professorin Stephanie Reich. „Die Farben und viele andere Eigenschaften der Goldnanokristalle konnten wir erst verstehen, als wir Licht explizit in unsere Berechnungen einschlossen.“ Solche lichtgebundenen Systeme würden schon seit Jahren intensiv theoretisch erforscht, hätten sich bislang aber nur mühsam herstellen und teuer untersuchen lassen. „Es ist uns gelungen, dass sich der exotische Zustand ganz natürlich beim Wachstum der Kristalle bildet“, sagt Stephanie Reich.
Die publizierte Arbeit entstand aus einer Kooperation mit den Physikochemikern Professor Holger Lange und Dr. Florian Schulz von der Universität Hamburg, die ursprünglich die Entwicklung von Katalysatoren zum Ziel hatte. Doch im Lauf ihrer Zusammenarbeit mit Professor Eduardo Barros, theoretischer Physiker an der brasilianischen Bundesuniversität von Ceará, erkannten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass im Zusammenspiel der Kristalle mit Licht die eigentliche Überraschung dieses Materials lag. Es waren viele Hürden zu nehmen, bis die Forscherinnen und Forscher den Licht-Materie Mischzustand, den „Zwitter“, zweifelsfrei nachweisen konnten. So erarbeitete die Gruppe in Hamburg, wie man künstliche Kristalle hoher Qualität aus Nanopartikeln von 50 Nanometern – in etwa die Größe kleiner Viren – wächst. In Berlin wurden spezielle Messplätze aufgebaut und in Brasilien numerische Berechnungen ausgeführt.
„Dieser Kristall soll nur unser erster Schritt sein“, erklärt Stephanie Reich. „Mit unseren neuen Methoden wollen wir viele verschiedene Kristalle züchten. Selbst bei gleichen Bausteinen bekommen wir auf diese Weise ganz unterschiedliche Materialien.“ Ziel ihrer weiteren Forschung sei ein Material, in dem zwei Lichtquanten miteinander in Wechselwirkung treten. „Das wäre ein entscheidender Baustein für eine Informationstechnologie mit Licht, die viel weniger Energie benötigt als unsere jetzigen Lösungen und neue Konzepte wie Quantencomputer ermöglicht.“ Einen Antrag zur weiteren Erforschung ihrer „Licht-Materie-Zwitter“ haben die drei Gruppen bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft bereits eingereicht.
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Kontakt
Prof. Dr. Stephanie Reich, Focus Area Nanoscale der Freien Universität Berlin, E-Mail: stephanie.reich@fu-berlin.de