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Wie entsteht ein Nervenimpuls?

Biophysikerinnen und Biophysiker lösen lichtinduzierte Strukturänderungen einer Natriumpumpe mit höchster zeitlicher und räumlicher Präzision auf

Nr. 082/2020 vom 22.05.2020

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin, des Paul-Scherrer-Instituts im Schweizer Villigen und der israelischen Hebrew University of Jerusalem ist es erstmals gelungen, die Natriumpumpe von Bakterienzellen in Aktion aufzunehmen. „Ein Nervenreiz wird im menschlichen Körper dadurch ausgelöst, dass Natrium vermehrt in das Zellinnere der Nervenzelle strömt“, erläutert Physiker Joachim Heberle von der Freien Universität Berlin. Das Natrium in der Zelle werde dann von sogenannten Natriumpumpen wieder nach außen transportiert, damit der nächste Nervenimpuls ausgelöst werden könne. „Die Forscherinnen und Forscher kombinierten die Methode der zeitaufgelösten Röntgen-Kristallographie mit experimenteller und theoretischer Spektroskopie. „Wir konnten erstmals die für die katalytische Funktion eines Proteins charakteristischen Strukturänderungen direkt auf atomarer Ebene nachweisen, und das über den gesamten chemischen Zeitbereich von Femtosekunden bis Millisekunden,“ sagt Joachim Heberle. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung könnten zu Fortschritten bei der Entwicklung neuer Methoden in der Neurobiologie führen; sie wurden in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift Nature publiziert.

Natrium ist das sechsthäufigste Element der Erde, in unbelebter Materie ist es als Bestandteil des Kochsalzes (NaCl) bekannt, in Lebewesen spielt Natrium eine zentrale Rolle bei der biologischen Energie- und Signalübertragung. In den zellulären Mechanismen der Nervenleitung sind die zeitlichen Veränderungen der Natriumkonzentration am Entstehen eines Nervenimpulses (Aktionspotenzial) beteiligt. Die Ausbildung eines Natriumgradienten über die Zellmembran entsteht durch Membranproteine, die sogenannten Natriumpumpen, die unter Verbrauch von Adenosintriphosphat (ATP) Natriumionen von der einen Seite der Membran auf die andere transportieren. „Wie die dafür verantwortlichen Strukturänderungen räumlich und zeitlich koordiniert ablaufen, war bis dato nicht bekannt,“ erläutert Joachim Heberle. Die Forschenden deckten mit ihren Untersuchungen außerdem die molekularen Veränderungen auf, mit denen die Pumpe verhindert, dass die einmal aus der Zelle beförderten Natrium-Ionen wieder durch sie in die Zelle zurückströmen. „Dafür zeigt eine spezifische Protonentransferreaktion verantwortlich, die die Richtung der Natriumpumpe bestimmt“, erklärt der Biophysiker.

Für die zeitaufgelösten Experimenten an der Natriumpumpe nutzte das Forschungsteam das Rezeptormolekül Krokinobacter eikastus rhodopsin 2, kurz KR2. „KR2 kann durch einen ultrakurzen sichtbaren Laserpuls photoaktiviert werden und durchläuft dann eine Photoreaktion“, erklärt Joachim Heberle. In dem Versuch betrugen die Zeitintervalle zwischen dem aktivierenden, sichtbaren Laserpuls und dem beobachtenden Röntgenpuls zwischen 800 Femto- und 20 Millisekunden. „Durch jeden Röntgenpuls entsteht eine einzelne Aufnahme der durch das Licht induzierten Strukturänderungen im Protein“, erläutert der Wissenschaftler. Für die vorliegenden Untersuchungen nutzte die Arbeitsgruppe von Jörg Standfuss am Paul-Scherrer-Instituts einen Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL. Die damit erstellten Bilder setzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dann zu einem Film zusammen. 

Da die Positionsänderungen von massearmen Teilchen wie Elektronen und Protonen, die für den Mechanismus von Proteinen von entscheidender Bedeutung sein können, mit dieser Technik nur schwer aufgelöst werden können, kombinierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese Methode mit einer weiteren: der Spektroskopie, die den sichtbaren und infraroten Spektralbereich abdeckt. Die entsprechenden zeitaufgelösten Experimente an Kristallen wurden am Fachbereich Physik der Freien Universität Berlin von David Ehrenberg, Doktorand in der Arbeitsgruppe Experimentelle Molekulare Biophysik unter der Leitung von Prof. Dr. Joachim Heberle ausgeführt.

Die experimentellen Resultate wurden unterstützt durch quantenmechanische Berechnungen, die aufgrund der Größe der simulierten Moleküle ebenfalls eine große Herausforderung darstellen. Hier trug Dr. Rajiv K. Kar aus der Arbeitsgruppe von Dr. Igor Schapiro vom Fritz Haber Center for Molecular Dynamics und der Hebrew University of Jerusalem, die Berechnung von elektronischen und vibronischen Spektren auf der Basis der Kristallstrukturen der Photozyklusintermediate bei. „Diese Berechnungen waren grundlegend für die Interpretation der experimentellen Daten“, sagt Heberle.

Die Arbeiten werden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1078 der Freien Universität Berlin gefördert, dessen Sprecher Joachim Heberle ist. Innerhalb dieses Forschungsverbunds wird die Rolle der Protonierungsdynamik bei der Proteinfunktion auf atomarer Ebene erforscht. Methodisch wird dazu eine Kombination aus neuen biophysikalischen Experimenten mit molekularen Simulationen und quantenchemischen Berechnungen eingesetzt. Mit dieser Grundlagenforschung können neue Ansätze in den Energiewissenschaften (lichtgetriebene Wasseroxidation) angeregt und die Entwicklung neuer maßgeschneiderter Werkzeuge in der Biomedizin unterstützt werden (Optogenetik).

Weitere Informationen

Die Publikation

Petr Skopintsev, David Ehrenberg, Tobias Weinert, Daniel James, Rajiv K. Kar, Philip J. M. Johnson, Dmitry Ozerov, Antonia Furrer, Isabelle Martiel, Florian Dworkowski, Karol Nass, Gregor Knopp, Claudio Cirelli, Christopher Arrell, Dardan Gashi, Sandra Mous, Maximilian Wranik, Thomas Gruhl, Demet Kekilli, Steffen Brünle, Xavier Deupi, Gebhard F. X. Schertler, Roger M. Benoit, Valerie Panneels, Przemyslaw Nogly, Igor Schapiro, Christopher Milne, Joachim Heberle & Jörg Standfuss (20. Mai 2020): “Femtosecond to millisecond structural changes in a light-driven sodium pump” in: Nature ,DOI: 10.1038/s41586-020-2307-8

Kontakt

Prof. Dr. Joachim Heberle, Fachbereich Physik der Freien Universität Berlin, Telefon: 030/838-56161, E-Mail: joachim.heberle@fu-berlin.de