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Studie: Unterschiedliche Akzeptanz des Einsatzes von Gesichtserkennungstechnologie in China, Deutschland, Großbritannien und den USA

Team von Wissenschaftlerinnen der Freien Universität Berlin und der Universität St. Gallen befragte 6.500 Menschen in vier Ländern

Nr. 032/2020 vom 12.02.2020

Einer Studie von Wissenschaftlerinnen der Freien Universität Berlin und der Universität St. Gallen zufolge akzeptieren 51 Prozent der befragten Internetnutzerinnen und -nutzer den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie und sind der Meinung, dass die Vorteile gegenüber den Nachteilen überwiegen. Nur jede fünfte Person bekundet der Studie zufolge eine ablehnende Haltung. Die Studie basiert auf einer für Internetnutzerinnen und -nutzer repräsentativen Online-Befragung von insgesamt mehr als 6.500 Personen zwischen 18 und 65 Jahren in China, Deutschland, Großbritannien und den USA. Wie die Studie weiter ergab, variiert die Akzeptanz von Gesichtserkennungstechnologie im Ländervergleich jedoch sehr stark. In China gibt es demnach die höchste Zustimmungsrate, in Deutschland ist die Skepsis am größten. Gesichtserkennungstechnologie wird zunehmend von staatlichen Organen und privaten Unternehmen zur Identifikation von Personen eingesetzt. Die Studie wurde am Mittwoch am Digital Governance Center an der Hertie School of Governance in Berlin vorgestellt.

Weltweit setzen Regierungen und Privatunternehmen zunehmend technische Anwendungen zur optischen Gesichtserkennung durch Künstliche Intelligenz (KI) ein. Von der Entriegelung des eigenen Smartphones über den Grenzschutz bis hin zur sozialen Kontrolle werden verschiedene Zwecke verfolgt. Bisher war nicht untersucht worden, wie Bürgerinnen und Bürger in verschiedenen Ländern die Vorteile und Risiken von Gesichtserkennungstechnologie einschätzen. Die Studie der Freie Universität und der Universität St. Gallen zeigt unter anderem, dass im Durchschnitt jede zweite befragte Person den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie allgemein akzeptiere und 22 Prozent den Einsatz generell ablehnten.

Diese Akzeptanz variiert im Länder- und regionalen Vergleich. „In China findet sich die höchste Zustimmungsrate. Dort stehen rund 67 Prozent der Menschen dem Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie aufgeschlossen gegenüber“, sagt Genia Kostka, Sinologie-Professorin an der Freien Universität und Co-Autorin der Studie. „In Deutschland sind die Menschen am skeptischsten. Hier begrüßen oder akzeptieren lediglich 38 Prozent der Menschen den Einsatz der Technologie.“ Die Akzeptanz der Befragten in den USA und in Großbritannien liege mit 47 Prozent und 50 Prozent im Mittelfeld. Dieses Verhältnis zeige sich auch in der Ablehnung von Anwendungen zur Gesichtserkennung. 32 Prozent der deutschen und lediglich 8 Prozent der chinesischen Befragten hätten Ablehnung geäußert; in den USA seien es 25 Prozent und in Großbritannien 23 Prozent. Der Studie zufolge ist die Akzeptanz für die private Nutzung von Gesichtserkennungstechnologie höher als für staatliche (52 Prozent im Vergleich zu 42 Prozent). Jedoch wird staatlichen Anbietern ein höheres Vertrauen im Umgang der Technologie ausgesprochen als Privatunternehmen (60 Prozent im Vergleich zu 17 Prozent).

„Die hohe Akzeptanz begründet sich darin, dass für viele Befragte die Vorteile überwiegen“, erklärt Genia Kostka. „Im Vordergrund stehen vor allem eine erhöhte Sicherheit durch staatliche Anwendungen sowie Bequemlichkeit und Effizienz durch eine private Nutzung.“ Die Ergebnisse hätten gezeigt, dass die Akzeptanz am höchsten ist bei den jüngeren, männlichen Befragten mit einem höheren Einkommen und einer höheren Bildung, welche der mehrheitlichen ethnischen Gruppe in ihrem Land angehören. Befragte höheren Alters mit geringerem Einkommen, welche Teil einer ethnischen Minderheit sind, hätten sich dagegen tendenziell ablehnend gezeigt. Als Gründe hätten die Befragten eine Verletzung der Privatsphäre und Furcht vor staatlicher Überwachung genannt. Eine mögliche Diskriminierung habe vor allem für Befragte in Großbritannien und den USA eine Rolle gespielt.

Für die individuelle Wahrnehmung einer neuen Technologie spielt der kulturell-historische Kontext der Länder und Regionen eine wichtige Rolle. So führen die Forscherinnen die allgemein hohe Akzeptanz in China auf die verbreitete Nutzung von Gesichtserkennung im Alltag zurück. In China nutzen mehr als 30 Prozent der Internetnutzerinnen und -nutzer solche Anwendungen täglich, wohingegen mehr als jede zweite befragte Person in Deutschland, den USA und Großbritannien keinerlei Nutzungserfahrung damit hat. „Die regelmäßige private Nutzung der Technologie im Alltag ist einer der Hauptgründe für die hohe Akzeptanz in China“, sagt Professorin Genia Kostka von der Freien Universität Berlin. „Aber auch in den USA und Großbritannien ist eine allmähliche Änderung zu bemerken, wobei eine Nutzung im Alltag auch hier die Akzeptanz erhöht.“ Ein weiterer Grund für die hohe Akzeptanz in China sei die fehlende Pressefreiheit. „Diskussionen in der Presse über den Schutz der Privatsphäre oder negative Auswirkungen gibt es kaum“, sagt Kostka. „Viele Menschen sind auch resigniert und fühlen sich dem Überwachungsstaat ausgeliefert.“

„Deutschland ist bei den vier Ländern ein Sonderfall“, sagt Genia Kostka. Anders als in den anderen Ländern hätten Befragte mit großem Einkommen und höherer Bildung am häufigsten Ablehnung gegen die Technologie gezeigt. 26 Prozent der Befragten in Deutschland gaben an, sich verschiedener Überwachungsmethoden in der Geschichte Deutschlands bewusst zu sein. „Die Ablehnung unter diesen Befragten war besonders hoch“, erläutert Kostka. „Familienerinnerungen an Überwachungsmethoden im Nationalsozialismus oder der DDR könnten eine Rolle spielen.“ 15 Prozent der Befragten im Westen und 9 Prozent im Osten der Bundesrepublik hätten dabei eine sehr starke Ablehnung von Gesichtserkennungstechnologie gezeigt.

„Die Studie hat in der Bevölkerung regional spezifische Abwägungen von Vorteilen und Risiken der Gesichtserkennungstechnologie gezeigt und deutlich gemacht, wie diese die soziale und politische Gestaltung der Digitalisierung in verschiedenen Gesellschaften beeinflusst“, erläutert Genia Kostka. Die mehrheitliche Zustimmung oder teils strikte Ablehnung spiegele sich auch auf nationaler Ebene: Vor diesem Hintergrund seien die gegenwärtigen Pläne in Deutschland, der Europäischen Union und sogar der USA für ein vorübergehendes Verbot der Technologie zu sehen. Die europäische Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) sehe ohnehin schon strengere Beschränkungen für die Verwendung von Gesichtserkennungstechnologie vor, als es in China der Fall sei. „Angesichts der großen auch länderübergreifenden Unterschiede wirft dies Fragen auf, wie man international Lösungsansätze entwickeln kann, um den Einsatz der Gesichtserkennungstechnologie zu steuern“, sagt die Wissenschaftlerin.

Weitere Informationen

https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3518857

Kontakt

Genia Kostka, Professorin für Politik Chinas, Freie Universität Berlin, genia.kostka@fu-berlin.de