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Ein neues Kapitel in der Biosphärenforschung mit mikrobiellen Systemen

Studie der Freien Universität Berlin in Kooperation mit der University of Virginia

Nr. 139/2019 vom 21.05.2019

Im Rahmen einer Studie haben sich Biologen der Freien Universität Berlin und der University of Virginia (USA) mit der Weiterentwicklung von Konzepten zur Entwicklung sogenannter abgeschlossener ökologischer Systeme auseinandergesetzt; bei solchen Systemen findet ein Austausch von Energie zum Beispiel in Form von Licht statt, jedoch kein Materieaustausch mit der Umgebung. Ziel der Studie ist, die Voraussetzungen und Konzepte zu entwickeln, um experimentelle Untersuchungen von abgeschlossenen Ökosystemen zu ermöglichen. Veröffentlicht wurde die Studie in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA (DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.1904326116). Unterstützt wurde das Projekt von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und von einem ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates.

Ausgangspukt für die Biologen ist das in den 1990er Jahren im US-amerikanischen Bundesstaat Arizona durchgeführte Experiment Biosphere-2. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versuchten dabei, ein von der Außenwelt unabhängiges, sich selbst erhaltendes Ökosystem zu schaffen. Nach zwei Versuchen wurde das Experiment abgebrochen. „Man kann Biosphere-2 als gescheitert betrachten. Der Versuch, ein abgeschlossenes ökologisches System zu bauen, sollte recht schwer sein“, sagt Prof. Dr. Matthias Rillig von der Freien Universität; er ist gemeinsam mit Prof. Dr. Janis Antonovis von der University of Virginia Autor der Studie.

Eine Anziehungskraft übe das Thema dennoch aus. „Ökologische Systeme sind eng verknüpft mit Anforderungen der bemannten Raumfahrt, bei der sie als Lebenserhaltungssysteme für Astronautinnen und Astronauten dienen sollen“, erklärt Matthias Rillig. Ziel von Matthias Rillig und Janis Antonovis ist es deshalb ein neues wissenschaftliches Teilgebiet, der sogenannten microbial biospherics zu erarbeiten, also mikrobielle Ökosystemen zu nutzen für die Erforschung abgeschlossener Biosphären.

Ein Vorteil des Einsatzes von mikrobiellen Ökosystemen ist Matthias Rillig zufolge die Möglichkeit der Replikation. „Wir möchten im Labor Ökosysteme in kleinem Maßstab untersuchen, gewissermaßen Mini-Ökosysteme. Riesige Gebäude mit entsprechender Technik wie in dem Experiment in Arizona wären dann nicht mehr notwendig.“ Zudem hätten sich die Voraussetzungen für die Bearbeitung künstlicher Systeme in den letzten Jahren durch genauere und kostengünstigere Sensortechnik, etablierte Methoden um Mikroorganismen zu untersuchen, sowie den Einsatz von Robotik deutlich verbessert.

Damit könne man auch Antworten auf spezifische Fragen finden, etwa zum Scheitern von Ökosystemen. „Vermutlich hören viele Systeme auf zu funktionieren. Bislang werden aber vor allem Veränderungen von Ökosystemen oder Stoffkreisläufen untersucht, nicht jedoch Gründe für ihr Scheitern“, sagt Matthias Rillig. Mithilfe künstlicher mikrobieller Ökosysteme könnten allerdings Übersichten erstellt werden, die Überlebenskurven von Arten oder Populationen ähneln. Dadurch ließen sich neue Erkenntnisse darüber gewinnen, ob bestimmte Mini-Ökosysteme früher erlöschen als andere und welche Faktoren den Überlebensverlauf beeinflussen.

Die Wissenschaftler beschäftigt zudem die Frage, ob Nährstoffkreisläufe in künstlich erstellten Ökosystemen ohne evolutionäre Einflüsse bestehen können. Diese seien bislang in Versuchen mit experimentellen, abgeschlossenen Ökosystemen außer Acht geblieben. „Sie könnten jedoch essenziell sein für das Verständnis von abgeschlossenen Systemen“, erklärt Matthias Rillig. „Neueren Theorien zufolge können Nährstoffkreisläufe selbst als Einheiten für Evolutionsprozesse gedacht werden, die entweder Bestand haben oder nicht. Mikrobielle Biosphären wären ideale Testsysteme für diese Ideen.“

Die Autoren der Studie erhoffen sich nicht nur neue Impulse für die ökologische und evolutionäre Forschung, sondern auch für die Lehre. „Wir führen Studierende der Biologie im ersten Semester auf die Wiese, benutzen also ein bereits extrem komplexes System. Aber besonders in der Anfangsphase des Studiums sollten eher einfach aufgebaute Ökosysteme und Stoffkreisläufe betrachtet werden“, sagt Matthias Rillig. Letztendlich könnten abgeschlossene ökologische Systeme auch Einblicke geben, wie Kreislaufwirtschaften funktionieren.

Weitere Informationen

Veröffentlichung

Rillig MC, Antonovics J. 2019. Microbial biospherics for the experimental study of ecosystem function and evolution. Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA. DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.1904326116

Kontakt

Prof. Dr. Matthias C. Rillig, Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie der Freien Universität Berlin, Institut für Biologie, Ökologie der Pflanzen, Telefon: 030 / 838 53165, E-Mail: matthias.rillig@fu-berlin.de