Induzierten Erdbeben auf den Grund gehen
Forschung an der Freien Universität Berlin zu geophysikalischen Prozessen bei Erderschütterungen nicht natürlichen Ursprungs
Nr. 229/2018 vom 07.09.2018
Ein Team bestehend aus einer Geophysikerin und zwei Geophysikern vom Fachbereich Geowissenschaften der Freien Universität Berlin hat die zeitliche und räumliche Ausbreitung von Erdbeben in Oklahoma, USA, zwischen 2013 und 2016 untersucht. Die Forscher analysierten offizielle Daten zu unterirdischen Druck- und Spannungsveränderungen, die ihnen zufolge zu den Erderschütterungen führten. Basierend auf den Untersuchungen haben sie ein Modell entwickelt, mit dem das Entstehungsrisiko von sogenannten induzierten Erdbeben besser eingeschätzt werden könne. Induzierte Erdbeben werden nicht durch natürliche Bewegungen der Erdplatten verursacht, sondern durch Aktivitäten wie dem „Hydraulic Fracturing“, das zur Schiefergasförderung eingesetzt wird, dem Anlegen von Stauseen oder untertägigem Bergbau. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht: www.rdcu.be/3NdE.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zufolge treten in den US-Staaten Oklahoma und Kansas kaum natürliche Erdbeben auf; dennoch sei die Zahl registrierter Erdbeben in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Expertinnen und Experten vermuten einen Zusammenhang zwischen den Beben und dem Volumen von sogenanntem verpressten Brauchwasser. Hierbei wird Wasser, das bei der Förderung von Öl und Gas mitproduziert wird, mithilfe von Bohrungen in tiefliegende Gesteinsschichten geleitet.
Grundlegend für induzierte Beben sind Schwachstellen im Gestein sowie ein mechanisches Spannungsfeld, das durch die Bewegung der Lithosphärenplatten entsteht. Das Spannungsfeld wird unterteilt in Normalspannungen, die senkrecht zu einer Schwachstelle im Gestein verlaufen, der sogenannten Störungsfläche, sowie Scherspannungen parallel zur Störungsfläche. Nimmt die Scherspannung zu oder die Normalspannung ab, wird das Gestein instabil. Auch die Druckzunahme im sogenannten Porenraum, dem Hohlraum im Gestein, führt zur Destabilisierung.
In dem von den Geophysikern und der Geophysikerin definierten Untersuchungsgebiet in Zentral-Oklahoma wurden nach Einschätzung von Expertinnen und Experten zwischen 2009 und 2016 jährlich 1,8 bis 3 Millionen Kubikmeter Wasser in den sogenannten Arbuckle Aquifer verpresst. Diese Gesteinsschicht ist durch eine hohe Porosität charakterisiert, sodass große Mengen des Brauchwassers aufgenommen werden können. „Die meisten Beben treten jedoch nicht innerhalb des Aquifers auf, sondern sehr viel tiefer entlang von großen Störungszonen im granitischen Grundgestein, dem sogenannten Basement“, erläutert Lisa Johann von der Freien Universität. Aus dieser Beobachtung schließen sie und ihre Kollegen, dass nicht nur eine Modifikation des Drucks für die Beben verantwortlich ist, sondern auch Spannungsänderungen. Diese werden auch als poroelastische Kopplung bezeichnet. Des Weiteren hätten die Untersuchungen gezeigt, dass viele Beben in Gebieten auftreten, die weit entfernt von Brunnen mit hohen Einpressraten liegen.
Den Wissenschaftlern und der Wissenschaftlerin von der Freien Universität zufolge ähneln diese Befunde Studienergebnissen, die sich mit Erdbeben beschäftigen, die im Zuge des Befüllens von Stauseen auftraten. „Vergleicht man die Beobachtungen am Arbuckle Aquifer zum Beispiel mit Studien, die schon 1945 am Hoover Dam in Nebraska, USA, durchgeführt wurden, sind große Ähnlichkeiten festzustellen“, sagt Lisa Johann. Mit sogenannten Reservoir-induzierten Erdbeben beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit, zum Beispiel am Koyna-Damm in Indien.
Auf Grundlage der ähnlichen Forschungsergebnisse haben die Geophysiker und die Geophysikerin ein mathematisches Modell entwickelt. „Underground Reservoir-Induced Seismicity, kurz URIS, basiert auf der Annahme, dass große Mengen an verpresstem Brauchwasser nicht vom hydraulischen System abgebaut werden können“, erklärt Lisa Johann. Das Wasser sammle sich daher im Aquifer an. Durch zusätzliche Auflast komme es augenblicklich zur Modifikation des Spannungszustands im Basement. Zusätzlich nehmen die Forscher an, dass sich der Druck des Brauchwassers im Basement ausbreiten kann. „Die Ausbreitung ist jedoch zeitabhängig, und auch sie verändert den Spannungszustand. Letztlich ist es also eine Kombination von zeitabhängigen und stationären physikalischen Prozessen, die zur Destabilisierung und damit zu den Erdbeben führt“, konstatiert Lisa Johann.
In den meisten Fällen seien diese Beben nicht spürbar, sagt Lisa Johann. „In der Vergangenheit kam es jedoch vermehrt zu stärkeren Beben, die volkswirtschaftliche Schäden verursachten. Ein genaues Verständnis der physikalischen Prozesse, die zu induzierten Erdbeben führen, ist aber nicht nur für die Industrie grundlegend, sondern auch für die Gefahreneinschätzung.“ Ein Vergleich der Modellergebnisse mit den Beobachtungen in Oklahoma habe gezeigt, dass das URIS-Modell das zeitliche und räumliche Auftreten der Erdbeben erfasst. Damit könnten die Auswirkungen von verpresstem Brauchwasser und das dadurch entstehende Risiko von Erdbeben in einer bestimmten Region besser bewertet werden. Mithilfe des Modells könnten außerdem zukünftige Brunnenstandorte besser geplant werden.
Im Gegensatz zu induzierten Erdbeben werden Erdbeben sogenannten tektonischen Ursprungs durch natürliche Bewegungen der Lithosphärenplatten ausgelöst, die die obere feste Schicht des Erdkörpers bilden. Durch die Bewegungen bauen sich über geologische Zeiträume mechanische Spannungen auf. Die Ansammlung solcher tektonischen Spannungen kann zum Bruch des Gesteins führen sowie zu einer abrupten Energiefreisetzung. Diese verursacht Erschütterungen, die als Erdbeben wahrgenommen werden.
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Lisa Johann, Fachbereich Geowissenschaften, Freie Universität Berlin, E-Mail: lisa.johann@geophysik.fu-berlin.de