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Nano-Technologie vs. Viren

Internationale Forschergruppe mit Beteiligung der Freien Universität stellt innovativen und kostengünstigen antiviralen Wirkstoff vor

Nr. 214/2018 vom 17.08.2018

Ein internationales und interdisziplinäres Team aus Virologen und Biochemikern mit Beteiligung der Freien Universität hat günstige und „zellfreundliche“ Nano-Gele entwickelt, die Virus-Infektionen effizient verhindern können. Die flexiblen Wirkstoffe imitieren Rezeptoren auf der Zelloberfläche, an die sich viele Viren binden. Die Krankheitserreger heften sich dauerhaft an die Gel-Moleküle, sodass die Wahrscheinlichkeit einer Infektion von Körperzellen deutlich sinkt. Am Projekt beteiligten sich Forscher und eine Forscherin des Potsdamer Instituts für Biochemie und Biologie, der Indian Association for the Cultivation of Science und des Instituts für Chemie und Biochemie sowie des Zentrums für Infektionsmedizin der Freien Universität. Die fachübergreifende Kooperation wurde durch den Sonderforschungsbereich 765 der Freien Universität und durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert. Der Artikel erschien als Online-Publikation bei ACS-Nano.

Viren existieren in unüberschaubarer Vielfalt – die medizinische Forschung steht also vor entsprechend vielfältigen Herausforderungen. Die meisten heute verfügbaren Medikamente sind allerdings nur gegen ein einziges Virus oder wenige verwandte Viren wirksam, da sie lediglich spezifische Virusproteine blockieren, um den viralen Replikationszyklus in den infizierten Zellen zu unterbrechen. Neben möglichen Nebenwirkungen dieser Substanzen stellt das Auftreten resistenter Virusstämme eine ernstzunehmende medizinische Gefahr dar.

Viele Viren teilen trotz ihrer Arten- und Formenvielfalt einige Gemeinsamkeiten. Häufig interagieren sie multivalent mit spezifischen Rezeptoren und Ko-Rezeptoren auf Zelloberflächen, die sie zur ersten Kontaktaufnahme und zur Diffusion in das Innere der Zellen nutzen. Die Aufschlüsselung des komplexen Mechanismus der Virus-Zell-Interaktion ist also ein zentrales Forschungsfeld, um effektive antivirale Mittel mit Breitbandwirkung zu entwickeln.

Heparansulfatproteoglykane – abgekürzt „HS“ – bilden in der Zellmembran Eintrittspforten für eine Vielzahl von Viren. Bisher wurden verschiedene Arten von Nanopartikeln entworfen, um den Viruseintritt über die HS-Moleküle zu blockieren. Sie basieren vorrangig auf starren Materialien wie Gold- und Silberpartikeln; alternative, weichere und flexiblere Stoffe wurden hingegen kaum erforscht.

Dem deutsch-indischen Forscherteam gelang es nun, Nano-Gele mit unterschiedlichen Flexibilitätsgraden zu entwickeln, die zelluläre HS-Proteine nachahmen. Der Wirkstoff auf dendritischer Polyglycerolsulfat-Basis kann Viren effektiv und dauerhaft an sich binden, sodass er die für Viren anfällige Zelloberfläche abschirmt und somit Infektionen verhindert. Nano-Gele bieten dabei den Vorteil, dass sie sich flexibel an die Virusoberfläche anpassen können. Dadurch verstärken sich ihre multivalenten Wechselwirkungen mit den Viruspartikeln, und die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass sich die Pathogene wieder ablösen können. Die Forscherin und Forscher synthetisierten zwei sulfatierte Nano-Gele, die gegen Herpes- wie auch Arteriviren bei Menschen und Tieren wirken. Dabei können die erzeugten Nanogele einen inhibitorischen Effekt von bis zu 90 Prozent erreichen. Die Stoffe bleiben für eine relativ lange Zeit im Körper wirksam und bieten auch Schutz vor Viruspartikeln, die aus bereits infizierten Zellen freigesetzt werden. Die Herstellung der Nano-Gele ist im Vergleich mit der Produktion herkömmlicher antiviraler Medikamente sehr günstig. So können sie auch vermehrt bei der Behandlung von Tieren eingesetzt werden. Darüber hinaus wirken die polymerischen Gele schonend und „zellfreundlich“ – im Gegensatz zu starren, unflexiblen Materialien – und können zu kleineren Fragmenten abgebaut und über die Nieren ausgeschieden werden.

Weitere Informationen

Kontakt

Dr. Walid Azab, PhD am Institut für Virologie der Freien Universität Berlin, Robert von Ostertag-Haus – Zentrum für Infektionsmedizin, Robert von Ostertag-Straße 7-13, 14163 Berlin.
Telefon: +49-30-838 50087, Fax: +49-30-838 451847, E-Mail: walid.azab@fu-berlin.de

Prof. Rainer Haag, am Institut für Chemie und Biochemie, Freie Universität Berlin, Takustrasse 3, 14195 Berlin.
Telefon: +49-30-838-52633, Fax -452611, Email: haag@chemie.fu-berlin.de

Studie

Der Forschungsartikel ist online abrufbar unter: https://pubs.acs.org/doi/full/10.1021/acsnano.8b01616

Titel: Multivalent Flexible Nanogels Exhibit Broad-Spectrum Antiviral Activity by Blocking Virus
Autoren: Pradip Dey, Tobias Bergmann, Jose Luis Cuellar-Camacho, Svenja Ehrmann, Mohammad Suman Chowdhury, Minze Zhang, Ismail Dahmani, Rainer Haag and Walid Azab
ACS Nano 2018 12 (7), 6429-6442
DOI: 10.1021/acsnano.8b01616