Corpus Avesticum Berolinense
Deutsche Forschungsgemeinschaft bewilligt Forschungsprojekt zunächst für die Dauer von drei Jahren
Nr. 004/2018 vom 16.01.2018
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat die Förderung eines auf zwölf Jahre angelegten Forschungsprojektes an der Freien Universität über Texte in einer altiranischen Sprache, dem Avestischen, zunächst für die Dauer von drei Jahren bewilligt. Die Beteiligten des am Institut für Iranistik angesiedelten Projektes „Corpus Avesticum Berolinense“ wollen eine neue Ausgabe aller zoroastrischen Rituale in avestischer Sprache erstellen. Avestisch ist eine der beiden belegten altiranischen Sprachen und der Zoroastrismus ist eine Religion, die Vermutungen zufolge im östlichen iranischen Hochland entstanden ist. Die bewilligte Förderung beläuft sich auf insgesamt 1,03 Millionen Euro; geleitet wird das Projekt von Professor Dr. Alberto Cantera Glera, es startet zum ersten April 2018.
„In den vergangenen dreißig Jahren hat sich unser Verständnis der avestischen Texte grundlegend verändert“, erklärt Alberto Cantera Glera. Während sie bislang als Fragmente eines sehr langen Buches verstanden worden seien, glaube man heute, dass diese Texte für denselben Zweck verfasst wurden, indem sie auch heute noch verwendet werden: die Rezitation in unterschiedlichen Ritualen, wie sie in der zoroastrischen Gemeinde üblich sind. Tatsächlich enthielten die meisten dieser Texte vollständige Beschreibungen von Ritualen und neben dem avestischen Text auch Anweisungen im Hinblick auf die Rituale in unterschiedlichen Sprachen – je nachdem wo das Manuskript produziert wurde, erklärt der Iranist.
„Jede Ausgabe sollte die Funktion der Texte reflektieren, aber, aus einigen, sehr unterschiedlichen Gründen, war dies in den älteren Ausgaben nicht der Fall“, erklärt Alberto Cantera Glera. Gründe seien beispielsweise die spätantike Überlieferung der Texte oder die vergleichsweise veränderte Perspektive der modernen Scholastik auf das Avestische. Als Resultat werde der liturgische Charakter der avestischen Texte in keiner modernen Ausgabe des Avestischen berücksichtigt. Die Gelehrten hätten die Texte –losgelöst von ihrem rituellen und performativen Kontext – herausgegeben; die meisten seien sogar in einer anderen Reihenfolge zusammengefügt als in den Ritualen. Zudem seien einige Varianten und Kombinationen überhaupt nicht aufgegriffen worden, da man sie wohl für zweitrangige Neu-Arrangements hielt.
Die in dem Projekt angestrebte neue Edition werde die Einsichten und Tendenzen aufgreifen, die sich in den Studien des Avestischen seit den 1950er Jahren herausgebildet haben. Sie werde als erste Edition alle Texte des Avestischen versammeln und sie in ihrer konkreten Form vereinen: als Ritualtexte und strikt den Manuskripten entsprechend. Diese textuelle Korrektheit setzt neue Anforderungen für die editorische Praxis: Die Diversität der Rituale müsse dargestellt und der performative Charakter müsse berücksichtigt werden. Zudem müssten die Texte historisch korrekt wiedergegeben werden. Somit sei diese Ausgabe die erste historische Darstellung des zoroastrischen rituellen Lebens: ein komplexes System von Ritualen, das in der achämenidischen Zeit ihren Ursprung hat und bis heute noch lebendig geblieben ist.
Die angestrebte Ausgabe baut auf der bisherigen Arbeit des „Avestan Digital Archive“ auf, welches unter Leitung von Alberto Cantera an der Universität von Salamanca in Spanien zwischen 2008 und 2016 aufgebaut wurde. Es befindet sich seit Mai 2016 an der Freien Universität. Neben der Entdeckung von fast dreihunderter Manuskripten wurde im Rahmen dieses Projektes auch ein neuer Zweig der Überlieferung ausfindig gemacht, und zwar der iranische: Bislang hätten alle Ausgaben der avestischen Texte auf indischen Manuskripten basiert. „Die iranischen Schriften verdeutlichen, dass die awestische Überlieferung dynamisch, quasi fluide ist und stark beeinflusst von der rituellen Performance“, erklärt Alberto Cantera Glera. Unter diesen Umständen scheine die Rekonstruktion eines ahistorischen Archetypus nicht länger vernünftig. Hingegen beabsichtigen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Rituale derart wiederzugeben, wie sie historisch vollzogen worden sind. Als zeitlichen und räumlichen Rahmen haben sie sich die Safavid-Periode (1501-1722) in der Region von Yazd-Kerman gesetzt, da sich in den in dieser Zeit und dort entstandenen Manuskripte die größte rituelle Varietät und die älteste Schreibweise finde. Mit unterschiedlichen Methoden der Textkritik werden Alberto Cantera Glera und seine Team die textuellen und rituellen Variationen diachron und diatopisch herausarbeiten.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Alberto Cantera Glera, Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-61148, E-Mail: alberto.cantera@fu-berlin.de