Quantentechnologien auf dem Prüfstand
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität, der Universität Innsbruck, der Universität Köln und der University Sydney entwickeln neue Methode
Nr. 123/2017 vom 17.05.2017
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität Berlin haben gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland, Österreich und Australien eine neue Methode zur Prüfung quantenmechanischer Prozesse entwickelt und experimentell erprobt. Zu diesem Zweck haben sie Methoden aus dem sogenannten compressed sensing auf die Quantenmechanik übertragen. Die Ergebnisse wurden gemeinsam mit der Universität Innsbruck in Österreich, der Universität Köln und der Universität Sydney in Australien erzielt. Sie wurden im renommierten Fachjournal Nature Communications publiziert.
„Jede Technologie erfordert Methoden und Protokolle, die ihre Funktionstüchtigkeit überprüfen“, erklärt Dr. Jens Eisert, Professor für Quantenphysik an der Freien Universität Berlin. Nur wenn garantiert werden könne, dass die Komponenten richtig zusammenspielen, könnten komplizierte Geräte verlässlich arbeiten. In vielen Fällen seien die Prüfmethoden standardisiert - etwa beim Auto. „Die Quantentechnologien sind hier keine Ausnahme“, sagt der Physiker. Mit Quantentechnologien bezeichnet man neuartige Technologien, die auf Basis von anderen physikalischen Gesetzen funktionieren, als wir sie aus dem Alltag kennen. „Die Welt der Atome, Moleküle und Lichtteilchen, also der Welt im Kleinen, wird durch die Quantenmechanik beschrieben, für die ganz andere Regeln gelten“, erklärt Jens Eisert. So könne man beispielsweise kein Objekt messen, ohne dessen Zustand ein wenig zu verändern – eine Einsicht, die im sogenannten Heisenbergschen Unschärfeprinzip formuliert ist.
Nun tauge die Quantenmechanik allerdings nicht nur zur Beschreibung der Natur auf kleinen Skalen, sondern auch zu technologischen Anwendungen. So seien, basierend auf den besonderen Gesetzen der Quantenmechanik, abhörsichere Kommunikation, neue schnelle Superrechner und Simulationsmethoden möglich. Es sei jedoch besonders schwierig, für die Quantentechnologien Protokolle zu entwickeln, die die Funktionstüchtigkeit sicherstellen. „Dies hat mit den benannten Regeln der Quantenmechanik zu tun“, erklärt Jens Eisert. „Nicht nur verändert man mit der Messung das Objekt, es ist auch so, dass der Konfigurationsraum der Quantenmechanik gigantisch groß ist – also der abstrakte Raum, in dem man quantenmechanische Systeme beschreibt.“ Ohne neue Ideen und Methoden sei es völlig unrealistisch, Prüfmethoden zu konzipieren: Man wäre in dem riesigen Konfigurationsraum der Möglichkeiten verloren.
In der von den Forschern aus Berlin, Innsbruck, Köln und Sydney nun entwickelten Methode kommen neuartige Ideen aus der angewandten Mathematik zum Tragen, die aus dem sogenannten compressed sensing stammen. Diese finden eigentlich in der Signal- und Bildverarbeitung Anwendung: Hier werden statt in einer passenden Basis vollständige Daten aufzunehmen, weitaus weniger in völlig zufälliger Weise aufgenommen. Die zentrale Einsicht sei, dass gegenwärtige Methoden der Bildverarbeitung eigentlich einem Missverständnis zugrundeliegen: „Wenn man Bilddaten so stark komprimieren und in exponentieller Weise reduzieren kann, muss dies eigentlich heißen, dass man die Bilddaten schon falsch aufgenommen hat“, erläutert der Quantenphysiker. Es müsse also Methoden geben, die Information wie Bilddaten effizienter aufzunehmen. Das für dünn besetzte Vektoren erstmals von Emmanuel Candès, Terence Tao, and David Donoho und für Matrizen von Emmanuel Candès und Benjamin Recht entwickelte compressed sensing erlaube dies: Die Einsparung an Daten, die aufgenommen werden müssen, um etwa Bilder zu rekonstruieren, ist enorm.
Diese Ideen übertrugen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Quantenmechanik, entwickelten sie weiter und erprobten sie im Experiment. „In diesem genuin interdisziplinären Projekt sind Methoden der angewandten Mathematik, der theoretischen Physik und der Experimentalphysik zum Tragen gekommen“, erklärt Jens Eisert. Zum Erproben der Techniken hätten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einzelne Ionen verwendet, die einer Perlenkette ähnlich aufgereiht wurden und so den Quantenzustand von sieben Ionen in einem fehlerkorrigierenden Code sehr exakt rekonstruieren. Weitergedacht, sei mit solchen Methoden tatsächlich ein Prüfstand für die Präparationen von Quantensystemen denkbar, gewissermaßen ein TÜV für die Quantentechnologien.
Gefördert wurde das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Bereich der angewandten Mathematik und von der Templeton Foundation für die Implikationen und Anwendungen in der Quantenmechanik komplexer Systeme.
Die Publikation
Jens Eisert, Rainer Blatt, Thomas Monz, David Gross, Steve Flammia (2017): „Experimental quantum compressed sensing for a seven-qubit system“, in: Nature Communications. DOI: 10.1038/ncomms15305. URL: www.nature.com/articles/ncomms15305
Kontakt
- Prof. Dr. Jens Eisert, Fachbereich Physik der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-54781, E-Mail: jenseisert@gmail.com
- Dr. Christian Flatz, Wissenschaftskommunikation & Digitalisierung an der Universität Innsbruck, Telefon: +43 512 507-32022, E-Mail: christian.flatz@uibk.ac.at