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Arabistin Beatrice Gründler erhält wichtigsten europäischen Forschungspreis

Wissenschaftlerin der Freien Universität wird nach dem Leibnizpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einen Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates geehrt / Auszeichnung ist mit 2,4 Millionen Euro dotiert / Pressefoto

Nr. 074/2017 vom 08.04.2017

Einen Monat nach der Verleihung des höchsten deutschen Forschungspreises an die Arabistin Prof. Dr. Beatrice Gründler von der Freien Universität Berlin ist der Wissenschaftlerin der renommierteste europäische Forschungspreis zugesprochen worden. Beatrice Gründler erhält nach dem Leibnizpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft Mitte März nun auch einen Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC), wie der ERC am Freitag in Brüssel mitteilte. Ausgezeichnet wird Beatrice Gründler für ihr Projekt zur Erforschung und Herausgabe einer digitalen kritischen und kommentierten Edition des in Fabelform verfassten Fürstenspiegels Kalila und Dimna, einem Glanzstück arabischer Prosa aus dem 8. Jh. n. Chr. Das Werk umspannt Einflüsse des Hinduismus, des Buddhismus, des Islam und des Christentums. Der Advanced Grant des ERC ist mit 2,4 Millionen Euro dotiert und damit ähnlich hoch wie der Leibnizpreis.

Die Nutzung des Pressefotos ist honorarfrei bei einer Berichterstattung über die Zuerkennung des ERC Grant und bei Nennung der Quelle Bernd Wannenmacher

Das von Beatrice Gründer erforschte Werk Kalila und Dimna verschwand nach seiner Veröffentlichung im 8. Jahrhundert ein halbes Jahrtausend im Dunkel der Geschichte, bis es wieder in zahlreichen drastisch variierenden Manuskripten in Erscheinung trat. Gleichzeitig wurden Übersetzungen in Europa und im Nahen Osten verfasst. In der ersten modern europäischen Sprache – nach Latein, Hebräisch und Altspanisch im 12. bis 13. Jahrhundert – tauchte es 1482 auf, nämlich in der deutschen Übersetzung von Anton von Pforr. „Es war ein Bestseller des Mittelalters rund um das Mittelmeer und wurde sogar mit der Bibel verglichen“, erläuterte die Arabistin. Beide Förderentscheidungen erfüllten sie mit großer Dankbarkeit: „Die Tatsache, dass ich nun über beide Unterstützungen verfüge, erlaubt mir, in meiner Arbeit weiter auszugreifen und zum Beispiel die neuerlichen Übersetzungen von Kalila und Dimna in mehrere indische Sprachen im 19. Jahrhundert zu untersuchen, denn das Werk kehrte nach über einem Jahrtausend gewissermaßen in den Kulturraum seines Ursprungs zurück.“ Dank der Förderung durch den ERC und die DFG könne sie das Werk so darstellen, wie es über mehr als ein ganzes Jahrtausend hinweg nach außen gewirkt habe, als „eine kulturelle Brücke zwischen indischen Quellen und einer mittelpersischen ersten Redaktion einerseits und einer vielfachen Präsenz in den Sprachen Europas und Asiens andererseits“.

„Dieser Wandel zwischen den Kulturen und rund 40 Sprachen macht das Werk so interessant“, betont die Arabistin, denn es oszilliere nach innen und nach außen. Nach außen oszilliere das Werk, weil jeder Übersetzer es in die eigene Kultur heimgebracht und dabei einiges abgeändert habe: „Das ging leicht, denn es ist eine Rahmenerzählung mit eingebauten Versatzstücken, also Weisheitssprüchen und bildlichen Analogien, die sehr leicht ausgetauscht werden konnten. Innerhalb seiner Geschichte wandert das Werk vom Hinduismus und Buddhismus über den Zoroastrismus in den Islam und das Christentum.“

Bislang übersehen worden sei das innere Oszillieren des Werks, betont die Arabistin: „Dieser Paradetext früharabischer Prosa wurde von halbgebildeten Kopisten des 13. bis 19. Jahrhunderts umgeschrieben, gekürzt oder erweitert. Und zwar oft an ganz gewissen Stellen, die über das menschliche Miteinander, strategische oder moralische Fragen Aussagen machen.“ Es trage also die Stimmen von Autoren in sich, deren Namen und Identitäten unbekannt seien. Und dies sei bereits sehr früh zu beobachten, lange bevor im 18. Jahrhundert solche Schriftsteller, die nicht zur Elite gehörten, eigene Bücher verfasst hätten, etwa Tagebücher und Lokalgeschichte. „Es bewahrt also die Stimmen anonymer Individuen, die den ursprünglichen arabischen Übersetzer-Redaktor Ibn al-Muqaffa’ (st. 756) sozusagen aus seinem eigenen Werk herausschrieben und sein Werk in eigener Sache fortschrieben“, hob Beatrice Gründler hervor.

Beatrice Gründler betonte, dass die Förderung es ermögliche, weitere Aspekte des Werkes umfassend zu untersuchen: „Kalila und Dima überschreitet zahlreiche Grenzen in der arabischen Literatur: Es wechselt zwischen der klassischen Hochsprache und einer hybriden Variante, auch Mittelarabisch genannt. Es ist ein fiktionales Buch, in einer Tradition, die Fiktion geringschätzt, aber durch seinen ethischen Inhalt und hohen Stil erringt es von Anfang an Respekt und gehört zum Kanon.“ Diese beiden Aspekte bedingten einander und müssten gemeinsam untersucht werden. Beatrice Gründler fügte hinzu, es betreffe lange nicht nur dieses Werk sondern ähnliche, die an der Grenze zwischen hoher und Volksliteratur lägen: „Es ist zwar ein einzigartiges Werk doch auch Teil einer ganzen Reihe von Werken, die aus Indien, dem Iran und Griechenland über das Arabische noch Europa kamen, und mit diesen muss es verglichen werden.“ Die beiden Preise zusammen ermöglichten es, die Sprach- und Literaturexpertise zusammenzubringen, ohne die man dem Werk nicht gerecht werden könne. Der Forschungsstandort in Berlin sei hier ideal, betonte Beatrice Gründler: „An der Freien Universität und an Partnereinrichtungen arbeiten viele Kolleginnen und Kollegen in den Kultur- und Geisteswissenschaften, mit denen ich kooperieren kann.“

Der Präsident der Freien Universität, Prof. Dr. Peter-André Alt, beglückwünschte Beatrice Gründler: „Es ist für unsere Universität ein großer Glücksfall, dass Beatrice Gründler für ihre exzellente Arbeit nun auch auf europäischer Ebene geehrt wird.“ Beatrice Gründler erforsche die Verflechtungen arabischer und europäischer Wissenstraditionen und trage damit auch zur Verständigung zwischen verschiedenen Kulturräumen bei, unterstrich Alt.

Beatrice Gründler, Jahrgang 1964, studierte in Straßburg, Tübingen und Harvard, wo sie 1995 auch promoviert wurde. Nach einer Zwischenstation am Dartmouth College lehrte sie von 1996 an der Yale University, zunächst als Assistenzprofessorin, seit 2002 als Professorin für arabische Literatur. 2014 kehrte sie nach Deutschland zurück, wo sie seitdem an der Freien Universität Berlin forscht und lehrt. Beatrice Gründler ist Principal Investigator der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien und der Graduiertenschule Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies. Dort leitet sie gemeinsam mit Dimitri Gutas, Professor für graeco-arabische Studien an der Yale University und Einstein Visiting Fellow, ein von der Einstein Stiftung Berlin gefördertes Projekt einer multisprachlichen Edition der Poetik des Aristoteles einschließlich der Erforschung des kulturellen Kontexts der arabischen, hebräischen, syrischen und lateinischen Übersetzungen. Zurzeit erarbeitet sie zudem im Rahmen eines E-Learning/E-Research-Vorhabens eine digitale Teiledition des obengenanten Fürstenspiegels, die dem ERC-Antrag als Pilotprojekt vorausging. Beatrice Gründler ist Mitglied des Vorstands des Dahlem Humanities Center der Freien Universität Berlin. Sie war 2016-2017 Präsidentin der American Oriental Society.

Seit der Einführung der ERC Advanced Grants wurden damit insgesamt neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität Berlin mit diesem Preis ausgezeichnet, darunter fünf aus den Geisteswissenschaften.

Im Internet

http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/semiarab/arabistik/Seminar/Mitarbeiterinnen-und-Mitarbeiter/Professuren/Gruendler/index.html

Weitere Informationen

Prof. Dr. Beatrice Gründler, Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin; Seminar für Semitistik und Arabistik; Telefon: 030 / 838 / 60489, E-Mail: beatrice.gruendler@fu-berlin.de

Pressefoto

Die Nutzung des Pressefotos ist honorarfrei bei einer Berichterstattung über die Verleihung des Leibniz-Preises und bei Nennung der Quelle Bernd Wannenmacher