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Konflikte mit Lehrern sind ein Risikofaktor für Amokläufe an Schulen

Forschungsergebnisse der Berliner Arbeitsgruppe des Verbundprojektes TARGET an der Freien Universität Berlin / 126 Taten weltweit ausgewertet

Nr. 299/2014 vom 27.08.2014

Im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekts TARGET ist an der Freien Universität Berlin erstmals die gesamte Forschungsliteratur zu schwerer, zielgerichteter Gewalt an Schulen systematisch analysiert worden. Das Ziel der Untersuchung war die Klärung der Frage, welche sozialen Dynamiken im sozialen Beziehungsnetz der Täter sich mit welcher Häufigkeit im Vorfeld von School Shootings beobachten lassen. Bislang war die Forschung davon ausgegangen, dass besonders Mobbing zwischen Gleichaltrigen und soziale Ausgrenzung der späteren Täter wichtige Faktoren darstellen, mit denen man Schulamokläufe erklären könne. Die Studie zeigt dagegen als ein Ergebnis, dass in vielen Fällen Konflikte von Schülern mit Lehrern deutlich ausgeprägt waren.

 Innerhalb des Teilprojektes im Forschungsverbund TARGET wurden 35 Studien mit insgesamt 126 Taten in 13 Ländern untersucht (USA, Kanada, Deutschland, Finnland, Brasilien, Argentinien, Australien, Bosnien, Griechenland, Ungarn, Niederlande, Schweden und Thailand). Zu 67 Taten konnten detaillierte weiterführende Analysen des schulischen Beziehungskontextes der Täter erstellt werden. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind nun zusammen mit Kommentaren nationaler und internationaler Experten in der aktuellen Ausgabe des „International Journal of Developmental Science“ veröffentlicht worden.

Die Studie hat ergeben, dass 88 Prozent der Täter im Vorfeld Probleme und Konflikte im sozialen Beziehungsnetz und 85 Prozent Formen sozialer Ausgrenzung erlebten. Die genauere Untersuchung dieser Konflikte und Ausgrenzungsformen zeigt jedoch, dass nur eine Minderheit von knapp 30 Prozent der Täter Opfer von physischem Mobbing durch Gleichaltrige war. Allerdings erlebten etwas mehr als die Hälfte (knapp 54 Prozent) der Täter Formen von Zurückweisung durch Gleichaltrige im Umfeld der Schule. Diese Häufigkeiten sind geringer als bislang angenommen und in verschiedenen Studien berichtet. Ebenfalls interessant ist, dass 13 Prozent der Täter selbst im Vorfeld als Mobbingtäter in Erscheinung getreten waren. Knapp ein Drittel der Täter hatte vor der Tat in Liebesbeziehungen Formen der Zurückweisung oder Enttäuschung erlebt – bei einigen Tätern war dies sogar das einzige Problem im Beziehungskontext der Schule.

Die eigentliche Überraschung war für die Wissenschaftler jedoch, dass 43 Prozent der Täter im Vorfeld ihrer Tat Probleme oder Konflikte und Ungerechtigkeitserlebnisse mit Lehrern und Schulvertretern hatten. Dass problematische Lehrer-Schüler-Beziehungen an der Entwicklung zu einem School Shootings beteiligt sein können, war bereits in der Untersuchung sieben deutscher School Shootings im Rahmen des Berliner Leaking-Projektes an der Freien Universität herausgearbeitet worden – diese Ergebnisse werden ebenfalls in der aktuellen Ausgabe des International Journal of Developmental Science veröffentlicht. Die aktuelle Untersuchung hat erbracht, dass auch in den USA die Täter im Vorfeld Probleme und Konflikte mit Lehrern hatten. Diese Tatsache ist jedoch wissenschaftlich kaum untersucht worden und fand in der Öffentlichkeit keine große Beachtung. Gleichwohl sind US-amerikanische Taten stärker als deutsche Taten durch Konflikte zwischen Gleichaltrigen (Bullying) geprägt.

Auch hinsichtlich der sozialen Stellung der späteren Täter im sozialen Beziehungsnetz der Schule lassen sich Unterschiede zu bisherigen Untersuchungen feststellen, wie die Wissenschaftler herausfanden. Während 48 Prozent der Täter von anderen als „Einzelgänger“ bezeichnet worden seien, hätten sich nur bei 24 Prozent der Täter Selbstbeschreibungen gefunden, die dies bestätigen. Ebenfalls aufschlussreich sei die Tatsache, dass 43 Prozent der Täter durchaus Freunde hatten und nicht in dem Maße sozial isoliert waren, wie es in früheren Studien dargestellt wurde.

Letztlich kamen die Wissenschaftler zum Ergebnis, dass in den verschiedenen Fällen höchst unterschiedliche soziale Dynamiken zu beobachten waren. Keiner der bislang in der Wissenschaft diskutierten sozialen Risikofaktoren habe in allen Fällen vorgelegen, und es sei daher nicht möglich, von notwendigen kausalen Faktoren – oder Ursachen – zu sprechen. Vielmehr müsse die Forschung künftig stärker verschiedene Typen von Tätern und verschiedene Entwicklungsverläufe im Vergleich herausarbeiten. Zudem zeigt die Untersuchung die methodischen Schwierigkeiten der bisherigen Forschung zu School Shootings. Zum Beispiel greifen viele Studien allein auf Medienberichte zurück, es sind keine Vergleichsuntersuchungen vorhanden, und die meisten Ergebnisse basieren auf der Mehrfachauswertung einiger prominenter Fälle, etwa Beispiel die Gewalttaten von Columbine oder Emsdetten, während weniger prominente Fälle nicht einbezogen wurden. Damit wirft die Untersuchung auch ein kritisches Schlaglicht auf die bislang in der Öffentlichkeit diskutierten „Ursachen“ für Amokläufe an Schulen.

Bibliographische Angaben

Sommer, F., Leuschner, V., & Scheithauer, H. (2014). Bullying, romantic rejection, and conflicts with teachers: The crucial role of social dynamics in the development of school shootings – A systematic review. International Journal of Developmental Science, 8, 3–24. DOI 10.3233/DEV-140129.

Bondü, R., & Scheithauer, H. (2014). Peer and teacher relationships in German school shooters. International Journal of Developmental Science, 8, 57–63. DOI 10.3233/DEV-140131.

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