Die fehlende Generation
Eröffnung einer Ausstellung an der Freien Universität Berlin über verfolgte China-Wissenschaftler von 1933 bis 1945
Nr. 188/2013 vom 27.06.2013
Die wenig im öffentlichen Bewusstsein verankerte Verfolgung von China-Wissenschaftlern in der Zeit des Nationalsozialismus ist Gegenstand einer Ausstellung, die am 5. Juli 2013 an der Freien Universität Berlin eröffnet wird. Konzipiert wurde die Poster-Ausstellung mit dem Titel „Verfolgte China-Wissenschaftler, 1933–45. Die fehlende Generation“ von der Sinologin Prof. Dr. Dr. h. c. Mechthild Leutner vom Ostasiatischen Seminar der Universität. Die Eröffnungsveranstaltung am 5. Juli um 16 Uhr und der Besuch der Ausstellung sind kostenfrei. Sie ist bis zum 30. Oktober von Montag bis Freitag jeweils geöffnet zwischen 10 und 16 Uhr.
Die nationalsozialistische Diktatur hatte auch gravierende Auswirkungen auf das noch junge Fach Sinologie und die wissenschaftliche Beschäftigung mit China insgesamt. Von etwa 50 Personen, die in Universitäten, Museen, Verlagen, Bibliotheken oder anderen Institutionen sich im weiteren Sinne mit China wissenschaftlich beschäftigten oder gerade ihr Studium abgeschlossen hatten, waren mehr als 30 gezwungen, zu emigrieren, erhielten Berufsverbot oder kehrten von China- und anderen Auslandsaufenthalten nicht mehr nach Deutschland zurück. Adolf Reichwein und Philip Schaeffer wurden aufgrund ihrer Tätigkeit im politischen Widerstand hingerichtet, Henri Maspero starb im Konzentrationslager Buchenwald; anderen politisch und rassisch Verfolgten gelang rechtzeitig die Flucht. Die Ausstellung, verantwortet vom Institut für Sinologie/Chinastudien der Freien Universität Berlin, zeigt die lebensgeschichtlichen Brüche der Verfolgten auf und verdeutlicht anschaulich, welche gravierenden Auswirkungen dies auf die Ausprägung des Faches nicht allein während der Zeit des Faschismus hatte, sondern auch danach. Nur zu Gasttätigkeiten kehrten wenige der inzwischen in China, in den USA, Großbritannien und Frankreich tätigen Wissenschaftler zurück.
Die von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern repräsentierte sehr breite Ausdifferenzierung des Faches – sie waren Ethnologen, Sozialwissenschaftler und Linguisten, Historiker, Kunsthistoriker und Religionswissenschaftler mit einem Fokus auf China – fehlte nach 1945 beim Wiederaufbau des Faches in Deutschland. Einige der Migranten waren wesentlich beteiligt an der Entwicklung und am Ausbau der China-Wissenschaften in ihren Exilländern; sie begründeten dort teilweise ganze Schulen. In Berkeley lehrten Ferdinand Lessing und Wolfram Eberhard; an der Columbia University, New York, forschten und unterrichteten Karl August Wittfogel, Anneliese Bulling und Otto Mänchen-Helfen; an der University of Washington, Seattle, waren Hellmut Wilhelm und Ruth Krader-Schlesinger tätig. In England wiederum fanden Walter Simon, Bruno Schindler und Gustav Haloun ein neues Arbeitsfeld. Andere Migranten konnten ihre wissenschaftliche Arbeit nicht fortsetzen: Ihre Namen sind heute kaum noch bekannt, ihre Schicksale vergessen.
Es dauerte mehr als 30 Jahre, bis sich in beiden Teilen Deutschlands erneut eine jüngere Generation mit einem so breiten Fachverständnis herausgebildet hatte, wie es vor 1933 vor allem unter jüngeren China-Wissenschaftlern etabliert gewesen war. Noch heute zeigt sich in der deutschen Sinologie schmerzlich das Fehlen dieser Generation und der von ihnen geprägten Ausrichtung.
Zeit und Ort
- Freitag, den 5. Juli 2013, Beginn: 16 Uhr
- Ehrenbergstrasse 26-28, 1. Stock Foyer, 14195 Berlin, U-Bhf. Thielplatz (U3), S-Bhf. Lichterfelde-West (S1)
Weitere Informationen
Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Mechthild Leutner, Freie Universität Berlin, Ostasiatisches Seminar, Sinologie, Tel.: 030 / 838-53598, E-Mail: mleutner@zedat.fu-berlin.de