Von Mäusen und Menschen
Wissenschaftler des Exzellenzclusters NeuroCure charakterisieren neues Autismus-Gen
Nr. 110/2012 vom 03.05.2012
Nervenzellen kommunizieren per Signalübertragung an synaptischen Kontaktstellen miteinander. Diese Kontaktstellen werden durch Gerüstproteine stabilisiert, zu denen auch das sogenannte ProSAP1/Shank2 Protein zählt. Um die Rolle dieses Proteins an der Synapse und letztlich bei der Entstehung von Autismus zu verstehen, haben die Forscher Mäuse genetisch modifiziert und das entsprechende Protein ausgeschaltet. Die Wahl dieses Proteins ist nicht ganz zufällig: Im Vorfeld der aktuellen Studie fanden einige der beteiligten Wissenschaftler Hinweise dafür, dass Mutationen dieses Proteins beim Menschen zu Autismus führen können. Unter dem Begriff „Autismus“ werden verschiedene neuronale Entwicklungsstörungen zusammengefasst, die sich durch soziale und kommunikative Verhaltensauffälligkeiten sowie stereotype Handlungen äußern.
Auch im Mausmodell hat das Fehlen dieses Gerüstproteins sichtbare Auswirkungen: Tiere mit der Gen-Mutation sind hyperaktiv und zeigen zwanghafte Wiederholungen bestimmter Handlungen – etwa bei der Fellpflege. In Verhaltensexperimenten werden zudem Auffälligkeiten in der sozialen und kommunikativen Interaktion deutlich.
In den Gehirnen der Mäuse fanden die Forscher auffällige Veränderungen an den synaptischen Kontaktstellen – spezifisch an erregenden Synapsen. Bindet der Botenstoff Glutamat an die dort ansässigen Glutamatrezeptoren, wird die Nervenzelle erregt. Fehlt den Mäusen nun das Gerüstprotein, findet sich dort vermehrt ein verwandtes Gerüstprotein, das sogenannte ProSAP2/Shank3. Auch dieses Protein wird mit der Entstehung von Autismus in Zusammenhang gebracht. Gleichzeitig verändert sich die Zusammensetzung der Glutamatrezeptoren.
Doch was passiert nun, wenn man in Mäusen dieses verwandte Gerüstprotein ausschaltet? Auch das untersucht die vorliegende Studie. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass es auch hier zu Veränderungen an den erregenden Synapsen kommt. Offenbar erfüllen beide Gerüstmoleküle in Wechselwirkung stehende Funktionen.
“Die Studie verdeutlicht die Rolle des glutamatergen Systems bei Autismus und trägt dazu bei, die synaptischen Veränderungen bei Autismus besser zu verstehen.”, berichtet Stephanie Wegener, eine beteiligte Wissenschaftlerin der Charité Berlin. Die Studie ist damit ein wichtiger Teil der wissenschaftlichen Grundlage, welche für die Entwicklung möglicher Therapien bei Autismus unverzichtbar ist.
NeuroCure ist ein im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gefördertes Exzellenzcluster an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Im Fokus des interdisziplinären Forschungsverbundes steht die Übertragung (Translation) neurowissenschaftlicher Erkenntnisse der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung. Ein besseres Verständnis von Krankheitsmechanismen trägt dazu bei, wirksame Therapien für neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall, Multiple Sklerose oder Epilepsie zu entwickeln. Neben der Charité sind die Humboldt-Universität zu Berlin, die Freie Universität Berlin, das Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin (MDC), das Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und das Deutsches Rheumaforschungszentrum (DRFZ) Partner von NeuroCure.
Weitere Informationen
- Prof.Dr. Dietmar Schmitz, Sprecher Exzellenzcluster NeuroCure, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Tel.: 030 / 450539054, E-Mail: dietmar.schmitz@charite.de
- Prof. Dr. Tobias M. Böckers, Universität Ulm, Tel.: 0731 / 50023220, E-Mail: tobias.boeckers@uni-ulm.de