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Wenn Nervenzellen nicht mehr reden

Berliner Neurowissenschaftler entschlüsseln wichtigen Mechanismus der Nervenzellkommunikation

Nr. 394/2011 vom 16.12.2011

Durch ihre Forschung an Fruchtfliegen ist es Berliner Neurowissenschaftlern des Exzellenzclusters NeuroCure gelungen, einen wichtigen Mechanismus der neuronalen Kommunikation besser zu verstehen. Sie konnten zeigen, dass ein bestimmtes Protein für die Signalübertragung zwischen Nervenzellen von entscheidender Bedeutung ist. Dies ist von besonderem Interesse, da manche Menschen mit Autismus – einer funktionellen Entwicklungsstörung des Gehirns – genetische Defekte in diesem Protein aufweisen. Somit könnten die Erkenntnisse die Möglichkeiten für eine effektivere Behandlung dieser Erkrankung verbessern. Die Ergebnisse werden in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Science vorgestellt.

Wenn unser Gehirn arbeitet, wir beispielsweise ein Bild betrachten, eine Bewegung planen, kommunizieren die Nervenzellen des Gehirns miteinander. Dazu verfügen sie über spezielle Kontaktstellen, sogenannte Synapsen. Dabei sind die beiden Seiten einer Synapse spezialisiert und komplex aufgebaut, sodass die Informationsübertragung an einer einzelnen Synapse immer nur in eine Richtung möglich ist. Der Sender – die präsynaptische Seite – ist mit einem Botenstoff gefüllt, der auf ein elektrisches Kommando in Richtung des Empfängers ausgeschüttet wird – der postsynaptischen Seite. Was hier einfach klingt, ist tatsächlich ein äußerst komplizierter biochemischer Prozess, der in weniger als einer Millisekunde abläuft und räumlich wie zeitlich streng kontrolliert wird. Viele spezialisierte Proteine müssen zusammenarbeiten, damit die Freisetzung des Botenstoffes perfekt abläuft. Eine entscheidende Rolle spielt hierbei das Protein „RIM binding protein“ (RBP). Wie Wissenschaftler des Exzellenzclusters NeuroCure um Stephan Sigrist (Freie Universität Berlin) und Dietmar Schmitz (Charité – Universitätsmedizin Berlin und Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen) zeigen konnten, ist das RBP-Protein für die Freisetzung des Botenstoffes von großer Bedeutung.

Als Modellorganismus bedienten sich die Neurowissenschaftler der Fruchtfliege. Diese lässt sich durch den simplen Aufbau von Gehirn und Synapsen ideal für experimentelle Untersuchungen nutzen. Gleichzeitig sind die synaptischen Proteine zwischen Fliege und Mensch sehr ähnlich, ein Erbe der gemeinsamen Abstammung von vor vielen Hundert Millionen Jahren. Durch funktionelle Experimente und eine neue Methode hochauflösender Mikroskopie erhielten die Wissenschaftler Einblicke in bisher verborgene Bereiche, an denen die Übertragung stattfindet. Die Neurowissenschaftler fanden heraus, dass das RBP-Protein in der Präsynapse der Fruchtfliege eine Schlüsselposition inne hat. Dort ist es notwendig, um die Freisetzung des Botenstoffes effektiv an das elektrische Kommando zu koppeln; es macht so die sinnvolle Kommunikation zwischen Nervenzellen möglich.

Im Menschen mehren sich die Hinweise, dass genetische Defekte in RBP-Proteinen bei Autismus eine Rolle spielen können. Die erste funktionelle Beschreibung des RBP-Proteins in der Fruchtfliege erweitert daher nicht nur unser Verständnis von neuronaler Kommunikation, sie bietet auch einen Anhaltspunkt, um Fehlfunktionen des Gehirns bei Autismus besser zu verstehen. So hoffen die Neurowissenschaftler, zu den Grundlagen für eine effektivere Behandlung dieser Erkrankung beitragen zu können.

NeuroCure wird als Exzellenzcluster im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gefördert. Im Rahmen des seit 2007 geförderten Forschungsverbundes wird neurowissenschaftliche Grundlagenforschung und klinische Anwendung eng vernetzt betrieben, um neue Erkenntnisse zur Funktion des Nervensystems und dessen Erkrankungen in effektive Therapien übertragen zu können.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Stephan Sigrist, Institut für Biologie / Genetik der Freien Universität Berlin,
Tel.: 030 / 838 56940, E-Mail: stephan.sigrist@fu-berlin.de

Im Internet

www.neurocure.de