Lehrer trainieren das richtige Verhalten im Umgang
Freie Universität Berlin, Senat und DENKZEIT-Gesellschaft starten Weiterbildungsoffensive
Nr. 27/2008 vom 04.02.2008
Wie begegne ich als Lehrer gewaltbereiten Schülern? Auf diese Frage wissen viele Pädagogen keine Antwort. Sie fühlen sich aggressiven Schülern gegenüber ohnmächtig, denn in ihrer Lehrerausbildung sind sie auf solche Situationen nicht ausreichend vorbereitet worden. Die DENKZEIT-Gesellschaft startet jetzt in Kooperation mit der Freien Universität Berlin und der Senatsbildungsverwaltung eine bisher einmalige Weiterbildungsoffensive. In unterschiedlichen Qualifizierungsangeboten lernen knapp 400 Berliner Lehrer den richtigen Umgang mit aggressiven Schülern.
Die Lehrer wählen aus mehreren Weiterbildungsangeboten: Sie können "Studientage" besuchen, in denen sie wissenschaftliche Erkenntnisse über Jugendkriminalität erwerben, sie können unter Anleitung der DENKZEIT-Pädagogen "Projekttage" mit ihren Schulklassen durchführen, sie können über längere Zeit regelmäßig in kleinen Gruppen zusammenkommen und sich wiederum unter Anleitung über besonders schwierige Schüler beraten. Bei Interesse können Lehrer auch die Weiterbildung zum "DENKZEIT-Trainer" durchlaufen und die Qualifikation erwerben, mit einzelnen, aggressiven und dissozialen Schülern zu arbeiten. Alle Angebote sind kostenlos. Der Europäische Sozialfonds und die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung unterstützen das Vorhaben finanziell. Die Freie Universität übernimmt die wissenschaftliche Begleitung.
Die DENKZEIT-Gesellschaft ist aus einem Forschungsprojekt mit delinquenten Jugendlichen an der Freien Universität Berlin hervorgegangen. Der Verein arbeitet seit Jahren sehr erfolgreich mit einem wissenschaftlich fundierten Konzept zur Verhinderung von Straffälligkeit bei Jugendlichen. Mit einem speziellen Training werden bei den Jugendlichen Fähigkeiten gefördert, die sie aufgrund ihres sozialen Umfeldes nicht entwickeln konnten: zum Beispiel die Fähigkeit zu Mitgefühl, zur Affektkontrolle oder zum Abschätzen, welche Folgen ihr Handeln hat.
In Kooperation mit der Freien Universität Berlin hat die DENKZEIT-Gesellschaft nicht nur die hohe Wirksamkeit ihrer Methode statistisch belegt, sondern auch eine Reihe neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse gewonnen, die von großer Bedeutung für die pädagogische Arbeit sind. Besonders wichtig ist das Ergebnis, dass sich jugendliche Gewalttäter sehr stark voneinander unterscheiden, und dass man die Unterschiede kennen muss, um mit ihnen erfolgreich umgehen zu können.
Drei Beispiele:
- Der "instrumentell" Aggressive: Ein Jugendlicher wird gewalttätig, wenn er seine Ziele nicht durchsetzen kann. Zum Beispiel schlägt er einen Mitschüler, um ihn zu zwingen sein neues Handy herzugeben. Dieser Typ des aggressiven Jugendlichen sieht das Unrecht seiner Tat nicht ein und hat danach auch kaum Schuldgefühle. Er muss lernen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und deren Interessen zu berücksichtigen.
- Der "reaktiv" Aggressive: Ein Jugendlicher schlägt immer dann zu, wenn er sich provoziert fühlt. Solche Provokationen sind von außen häufig nur schwer nachzuvollziehen. Der Täter aber ist sich sicher, dass der andere ihn "angemacht" hat, und er kann seine Wut über ihn nicht kontrollieren. Hinterher tut es ihm oft leid, weil er weiß, dass er überreagiert hat. Dieser Typ des Jugendlichen muss lernen, seine Affekte zu beherrschen und sich nicht so leicht provoziert zu fühlen.
- Der "Frusttäter": Er spürt in sich ständig einen dumpfen Groll, der von Zeit zu Zeit in sehr aggressiven und kaum kontrollierbaren Ausbrüchen gipfelt. Manchmal suchen diese Jugendlichen ein fast beliebiges Opfer, um die angestaute Wut los zu werden, und sie schlagen vielleicht einen Menschen nieder, nur weil er gerade im Wege stand. Nach der Tat fühlen sie sich zunächst besser, so als hätten sie sich für ein erlittenes Unrecht gerächt. Mit diesen Jugendlichen pädagogisch zu arbeiten, ist besonders schwierig, weil sie lernen müssen, ihre tief sitzende Wut zu beherrschen, die sie schon seit vielen Jahren mit sich herumtragen.
Es liegt auf der Hand, dass Lehrer mit allen drei Jugendlichen sehr unterschiedlich umgehen müssen. Der erste reagiert auf konsequentes Strafen und auf Kontrolle. Seine Einsichtsfähigkeit ist eingeschränkt und deshalb ist er moralischen Argumenten gegenüber nur schlecht zugänglich. Der zweite muss Strategien entwickeln mit deren Hilfe er seine Wut kontrollieren kann, und der dritte muss sein Selbstwertgefühl erhöhen, um zu erreichen, dass die innere Spannung nachlässt, die zu den unkontrollierbaren Durchbrüchen führt.
Wenn die Lehrer befähigt werden, die Innenwelt von gewalttätigen Jugendlichen zu verstehen und zu differenzieren, können sie bei Gewaltvorfällen und einer drohenden Eskalation gezielt eingreifen.
Weitere Informationen
Nähere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
- Rebecca Friedmann, Leiterin des Weiterbildungsprojektes, Telefon: 030 / 838-55807
- Prof. Dr. Jürgen Körner, Leiter der Forschungsgruppe „Jugendliche Delinquenz“ an der Freien Universität Berlin,
Telefon: 030 / 838-56323
Weitere Informationen und Anmeldeunterlagen:
- Im Internet unter www.denkzeit.com (unter Projekte)