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Die Entstehung der Kooperation unter anarchischen Verhältnissen

90. Workshop der Dahlem Konferenzen zur genetischen und kulturellen Evolution der Kooperation

Nr. 143/2002 vom 12.06.2002

Die biologische Evolutionslehre ist in ihren Grundzügen eine Theorie der Konkurrenz um Überleben und Fortpflanzung. Sie wird daher oft mit Metaphern wie dem "Kampf ums Dasein" in Verbindung gebracht. Dabei wird nur allzu leicht übersehen, dass die erstaunlichsten Leistungen der Evolution in der Erzeugung kooperativer Phänomene bestehen. Zum Beispiel kooperieren Gene innerhalb von Zellen in einem solchen Ausmaß, dass letztere uns wie hochorganisierte Hightech Fabriken erscheinen. Zellen wiederum arbeiten so wirkungsvoll zusammen, dass daraus Organismen mit all ihren Fähigkeiten entstehen. Manche Organismen und ganz besonders Menschen sind ihrerseits in der Lage, imposante kollektive Leistungen zu vollbringen, man denke etwa an den Flug zum Mond.

Raumflüge sind zweifellos Glanzstücke menschlicher Planung und Kooperation. Verblüffend ist aber, dass große kollektive Leistungen auch ohne Planung und ohne die ordnende Hand eines Organisators zu Stande kommen können. Als Musterbeispiel kann in diesem Zusammenhang das nicht-kommerzielle Betriebssystem Linux angesehen werden, das in der Szene der Programmier-Tüftler in einem anarchisch anmutenden Prozess entstand und der kommerziellen Konkurrenz dennoch neue Qualitätsmaßstäbe setzte. Im Fehlen der ordnenden Hand und der verblüffenden Güte des anarchisch und gleichsam aus dem Chaos entstandenen Produkts zeigen sich bemerkenswerte Parallelen zwischen genetischer und kultureller Evolution.

Wie aber sind genetische und kulturelle Evolution in der Lage, derartige Kooperationen zu erzeugen? Zu dieser Frage sind in den letzten Jahren neue Forschungsansätze entstanden. Nun nimmt sich der 90. Workshop der Dahlem Konferenzen der Freien Universität dieses Themas an. Im Folgenden sind beispielhaft einige konkrete Fragestellungen des Workshops aufgelistet. Wie wurden Bakterien in andere Zellen integriert, denen sie heute in Form der Mitochondrien als Kraftwerke dienen? Warum beteiligen sich die Kraftwerke der Zelle aktiv an der Exekution der Zelle im Rahmen des programmierten Zelltods? Verhalten sich Putzer-fische gegenüber Fischen, die sie putzen, wie ein Geschäftsmann, der Lauf- und Stammkundschaft unterscheidet? Gelten hier die Gesetze eines Marktes und gibt es andere biologische Märkte? Wie werden im Tierreich die Früchte der Kooperation unter den Kooperierenden aufgeteilt? Was charakterisiert menschliche Freundschaften? Welche Rolle spielen in der Natur Bestrafung und polizei-ähnliche Mechanismen? Warum werden Normen selbst dann noch respektiert, wenn sie eigentlich schon längst überholt sind?

Initiator des Workshops ist Professor Peter Hammerstein, Sprecher des gerade an der Humboldt-Universität gegründeten Sonderforschungsbereichs "Theoretische Biologie". Beteiligt sind unter anderen der Evolutionsbiologe Eörs Szathmáry, Autor des gemeinsam mit John Maynard Smith verfassten Buches "The major transitions in evolution", Laurent Keller, Verhaltensbiologe und Mitautor der aktuellen Studie über Superkolonien bei Ameisen, Robert Boyd und Peter Richerson, die Autoren des Buches "Culture and the evolutionary process", der Ökonom Peyton Young, der sich mit der Entstehung und vor allem der Starrheit sozialer Normen befasst sowie Ernst Fehr, der die Auswirkung von Emotionen und eingeschränkter Rationalität auf das Wirtschaftsgeschehen untersucht und auf der Basis seiner experimentellen Befunde zu einer Revolution des Denkens in Ökonomie und Biologie aufruft.

Für Journalisten besteht die Möglichkeit, an dem Dahlem Workshop "Genetic and Cultural Evolution of Cooperation" teilzunehmen. Bitte wenden Sie sich dazu vorab an Angela Daberkow, Tel.: 838 56602, E-Mail: dahlem@zedat.fu-berlin.de.

Über die Ergebnisse des Workshops informieren wir Sie auf einer Pressekonferenz am Donnerstag, den 27. Juni 2002, im Harnack-Haus, Ihnestr. 16–20, 14195 Berlin (Thielplatz, U-Bahn Linie 1) um 14.30 Uhr. Einzelheiten zu dieser Pressekonferenz teilen wir Ihnen rechtzeitig in einer gesonderten Einladung mit.